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Aktuelle Literatur

„Putin im Wartezimmer“ – Karlsruher Ärztin legt Roman zum Ukraine-Krieg vor

Jahrelang war sie Chefärztin im Städtischen Klinikum Karlsruhe – dann beschließt sie, Bücher zu schreiben und zu verlegen. Unter dem Pseudonym Lou Bihl legt die Karlsruherin nun ihr drittes Werk vor.

Marie-Luise Sautter-Bihl Pseudonym: Lou Bihl Autorin Karlsruhe
Von der Chefärztin zur Autorin: Marie-Luise Sautter-Bihl hat nach jahrzehntelanger Tätigkeit am Städtischen Klinikum Karlsruhe im Ruhestand einen Neustart gewagt. Foto: Andrea Fabry

Die Situation wirkt grotesk: Während die Bilder von hungernden und frierenden Menschen in der Ukraine über die Bildschirme von TV-Geräten und Handys flimmern, treffen sich im Wartezimmer einer Hausärztin sechs übergewichtige Patienten zur regelmäßigen Ernährungsberatung.

Bis auf ihre Leibesfülle haben sie nichts gemeinsam. Die Jüngste in der Runde ist 19, die Älteste 74 Jahre alt. Der eine ist Historiker, der andere ein Computerfreak mit Hang zum Nerdtum. Amira kam als Flüchtling aus Syrien nach Deutschland, Frau Luxner leidet an einer beginnenden Demenz.

Sechs Charaktere, sechs Biografien, ganz viele verschiedene Baustellen und sehr unterschiedliche Sichtweisen auf die Welt – der Roman „Putin im Wartezimmer“ lässt in einer fiktiven Szenerie Welten und Meinungen aufeinander prallen. Mal ist man sich einig, mal streitet man. Immer hört man sich zu und redet.

Wartezimmer-Gespräche als Inspiration

Genau das ist es, was Marie-Luise Sautter-Bihl schon immer fasziniert hat. Jahrzehntelang war sie Chefärztin der Radioonkologie am Städtischen Klinikum in Karlsruhe. „Manchmal bin ich ganz fasziniert durch die Wartezone gelaufen“, sagt sie. „Was die Leute sich da erzählen, ist sehr ergiebig.“

Inzwischen ist Frau Professor im Ruhestand und hat einen Verlag gegründet. Die Geschichten, die sie im Laufe ihres Berufslebens gesammelt hat, und die Erfahrungen, die sie im Umgang mit Menschen gemacht hat, verarbeitet sie nun in Romanen. Drei Bücher sind bereits erschienen. Ihr jüngstes Werk heißt „Putin im Wartezimmer“ und handelt vom Beginn des Ukraine-Kriegs vor genau einem Jahr.

Verschiedene Sichtweisen zum Ukraine-Krieg

Geplant war das nicht. Als Putin in der Ukraine einmarschierte, war die Autorin eigentlich dabei, Kurzgeschichten für einen Band aufzuschreiben, der Einsichten über das marode deutsche Gesundheitswesen liefern sollte. „Aber nach der Zeitenwende wurde es schwierig, diese Themen als wichtig genug zu empfinden, um darüber zu schreiben“, erklärt Marie-Luise Sautter-Bihl.

In der Krise, die der Krieg am Rande Europas ausgelöst hat, hätten die beiden Themen sich dann aber angezogen und eine Sogwirkung auf sie als Autorin ausgeübt. So ist das fiktive Wartezimmer entstanden, in dem kontroverse Meinungen und radikal andere Perspektiven aufeinanderprallen.

Der Leser lauscht dem Faktenchecker und verhinderten Profi-Boxer Kevin, der leicht dementen, aber punktuell plötzlich sehr luziden Ex-Ingenieurin Luxner, dem ambitionierten Kommunalpolitiker Kunz, der Wohlstandsgöre Kira und all den anderen im Wartezimmer bei ihren wöchentlichen Treffen. Zu jeder Sitzung rückt ein anderer Aspekt des Krieges in den Fokus. Mal steht Putins Persönlichkeit im Mittelpunkt, mal geht es um die Frage der Waffenlieferungen, in einer anderen Sitzung wird diskutiert, ob die Ukraine reif für die EU ist.

Jedes Mal entfaltet sich der Fächer der Argumente, immer untermauert von vielen Fakten, deren Quellen im zwölfseitigen Verzeichnis am Ende des Buches minutiös dokumentiert sind. „Ich habe jahrelang wissenschaftliche Artikel geschrieben. Die Recherche und die Quellenangaben waren mir besonders wichtig“, sagt Marie-Luise Sautter-Biehl.

Trotzdem kommt auch die menschliche Seite nicht zu kurz. Der junge Kevin, die geschundene Amira und der in Ehren ergraute Historiker Wissmer sprechen jeweils in einer Sprache, die sie als Charaktere glaubwürdig macht. So knapp und straßenschlau der Eine, so akademisch und altklug der Andere.

Romane zu ganz aktuellen Themen

Auch die anderen Romane der Autorin, die sich unter dem Pseudonym Lou Bihl ihren Kindheitstraum vom Schreiben und Bücher machen erfüllt, widmen sich aktuellen Themen. „Amazonah“ beschreibt in einer Zukunftsvision wie skrupellose Politiker und eine zerfallende Gesellschaft mit einer neuartigen Pandemie umgehen.

„Aber auch was starke Frauen und die Liebe in Krisen bewirken können“, ergänzt die Autorin. „Ypsilons Rache“ handelt vom respektierten Pathologieprofessor, der kurz vor seinem Coming out als Transfrau an Prostatakrebs erkrankt.

Pünktlich zum Jahrestag des Ukrainekriegs nun kommt „Putin im Wartezimmer“. „Mit dem Schreiben habe ich praktisch gleich am nächsten Tag des Einmarsches begonnen“, sagt Marie-Luise Sautter-Bihl. Das wenig später von Olaf Scholz als „Zeitenwende“ beschriebene Ereignis, habe sich bei ihr als Gefühl schon am Tag des Einmarsches eingestellt.

Im Oktober schließlich war der Band fertig und die zehn Therapiesitzungen der kleinen Gruppen abgeschlossen. Wie sehr sich die Dicken, trotz ihrer unterschiedlichen Sichtweisen, in dieser Zeit auch menschlich nah kommen, zeigt das letzte Kapitel, für das der Ort der Handlung verlegt wird.

Schreiben als Auto-Psychotherapie

Das Schreiben sei für sie eine Art „Auto-Psychotherapie“ gewesen, gibt die Autorin zu. Dass die Geschichte sich durch die Dynamik der Ereignisse schnell überholen könnte, sei ihr Bewusst gewesen.

„Dennoch fand ich es lohnend, in der Rückschau den jeweiligen Stand der Diskussion festzuhalten.“ Warum? „In der Hoffnung, damit Entwicklungen nachvollziehbar zu machen“, schreibt sie im Nachwort zum Roman. Ihr Buch, so sagt sie, „war ein geplantes Wunschkind“.

Service

Lou Bihl: Putin im Wartezimmer. Mit Illustrationen von David Horowitz. Unken Verlag, 260 Seiten, 22 Euro.

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