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Andere Finanzierungsmodell

KIT-Forscher will Kostenexplosionen wie bei der U-Strab künftig vermeiden

Wenn alles glatt gegangen wäre, stünde das Tiefbahnprojekt Stuttgart 21 jetzt vor der Fertigstellung. Und wenn die Kostenrechner Recht behalten hätten, wäre das Jahrhundertvorhaben mit den vor 20 Jahren kalkulierten 4,5 Milliarden Euro über die Runden gekommen. Die Wirklichkeit indes ist ernüchternd.

Tunnel
DIE VERTIKALTRÄGER der Oberleitung hängen schon von der Tunneldecke. Von März bis August 2020 sollen nach dem aktuellen Wunschplan der Kombi-Bauherrin Kasig die Fahrdrähte für die Straßenbahnen in der Röhre eingezogen werden. Die Schienen wurden 2019 im Stollen verlegt. Foto: jodo

Wenn alles glatt gegangen wäre, stünde das Tiefbahnprojekt Stuttgart 21 jetzt vor der Fertigstellung. Und wenn die Kostenrechner Recht behalten hätten, wäre das Jahrhundertvorhaben mit den vor 20 Jahren kalkulierten 4,5 Milliarden Euro über die Runden gekommen.

Die Wirklichkeit indessen ist ernüchternd: Es wird noch Jahre dauern bis zum Projektende, und schon jetzt ist man bei einem zweistelligen Milliardenbetrag gelandet.

Auch die Karlsruher Kombi-Lösung hält sich nicht an die einst verkündeten Eckdaten. Die ursprünglich geplanten Kosten von 500 Millionen Euro sind zwischenzeitlich auf eine Summe von 1,3 Milliarden Euro nach oben geschnellt.

Von anderen Vorhaben ganz zu schweigen: Die Hamburger Elbphilharmonie oder auch der Hauptstadt-Airport BER sind zu Symbolen planerischer Impotenz der Ingenieurnation Deutschland geworden. Oder ist dieses Verdikt zu streng, weil der Misserfolg viele Väter und Mütter hat? Warum überhaupt laufen so viele publikumswirksame Großprojekte in Deutschland aus dem Ruder?

Kostenschätzungen werden oft viel zu früh erstellt

Wenn die öffentliche Hand baut, dann spielen politische Strukturen eine nicht unwesentliche Rolle. Das Besucherzentrum im Nationalpark Schwarzwald ist ein Beispiel: Statt der veranschlagten 22,5 Millionen Euro sind die Kosten des Prestigeprojekts der Landesregierung auf deutlich mehr als das Doppelte gestiegen.

Für künftige Fälle allerdings gelobt die Regierung Besserung. Mit neuen Planungsverfahren sollen Preisexplosionen fortan verhindert werden.

Bislang war es nach Einschätzung des Finanzministeriums gängige Praxis, dass oft zu einem allzu frühen Zeitpunkt über komplexe Vorhaben entschieden wurde. Dabei erblickten Kostenschätzungen das Licht der Welt, die sich am Ende als unhaltbar erwiesen.

Fand die sogenannte Etatisierung, also die Ermittlung der Projektkosten und mithin die Landtagsentscheidung, ob gebaut wird oder nicht, bisher auf Grundlage der Entwurfsplanung statt, so ist das in Zukunft anders. Dann soll zunächst eine konkrete Ausführungs- oder gar bereits eine Vergabeplanung vorliegen, bevor verbindlich entschieden wird.

Werden Risiken im Vorfeld zu optimistisch eingeschätzt?

Während dieser Ansatz vor allem für staatliche Bauprojekte eine gewisse Linderung verspricht, gibt es weitere Stellschrauben, die sowohl die Großbauvorhaben der öffentlichen Hand als auch jene privater Bauherren berechenbarer machen könnte, erläutert Shervin Haghsheno. Der KIT-Professor ist zugleich promovierter Bauingenieur und Wirtschaftswissenschaftler, und er gilt als internationale Koryphäe für das Projektmanagement von Großbauvorhaben.

Den Schlüssel zur Verbesserung von Abläufen, Bauzeit und Kosteneffizienz sieht der 44-Jährige in straffen und realistischen Planungsprozessen.

Eine spätere Schieflage beginnt oft schon damit, dass bestimmte Risiken im Vorfeld eines Großprojekts zu optimistisch eingeschätzt werden, meint er. Mitunter werde auch bewusst das eine oder andere Auge zugedrückt, um ein Objekt unterhalb einer kritischen Kostenschwelle zu belassen, hat Haghsheno an der Front der Bauwirtschaft festgestellt.

Schludrigkeit lässt Kosten aus dem Ruder laufen

Bevor der Professor nämlich ans Institut für Technologie und Management im Baubetrieb (TMB) des KIT wechselte, war er neun Jahre lang für die Bilfinger Hochbau GmbH tätig. Er kennt also nicht nur die wissenschaftlich-theoretische Seite des Geschäfts sondern auch die praktische.

Deshalb weiß er auch: Wenn Großprojekte später aus dem Ruder laufen, hat man zuvor oft nur schludrig ermittelt, was das Projekt eigentlich leisten soll. „Es wird zu wenig investiert in eine systematische Bedarfsermittlung“, beschreibt Haghsheno das Problem.

Wenn also eine Schule gebaut werde, die Bedürfnisse der Nutzer – also von Lehrern, Schülern oder Eltern – zu wenig Berücksichtigung finden, muss das Programm während der weiteren Planung oder gar erst in der Bauphase geändert werden. Das kostet Zeit und Geld. Und zu Zeiten ohnehin galoppierender Baupreise schlägt dies erst recht ins Kontor.

Neuer Finanzierungs-Ansatz vorgeschlagen

Was lässt sich weiter tun, damit Großprojekte nicht aus dem Ruder laufen? Shervin Haghsheno plädiert grundsätzlich für eine neue Projekt-Philosophie. Er spricht vom „Allianzmodell“. Dabei werden die Beteiligten weiterhin nach Kompetenz und Wettbewerbskriterien ausgesucht.

Anders als bisher schließen die Unternehmen dann aber einen Mehrparteienvertrag ab, der ein gemeinsames Vergütungsmodell beinhaltet. Ein Teil des Geldes fließt als Steuerungsgröße in einen gemeinsamen Topf. Dadurch sind die Beteiligten schon sehr früh beisammen, entwickeln ein gemeinsames Verständnis für das Vorhaben und ziehen an einem Strang.

„Dieser sehr ganzheitliche Ansatz ermöglicht eine ökonomische und kulturelle Integration“ – auf diesen Nenner bringt es der Baumanagement-Fachmann des KIT.

Beispiele aus dem Ausland zeigen Vorteile

Seit rund fünf Jahren beschäftigen sich er und seine Kollegen wissenschaftlich mit solchen Vergabemodellen, die ursprünglich aus den USA und Australien stammen. Beispielprojekte aus dem Ausland zeigen einen Kostenvorteil von bis zu 20 Prozent. „Bauherren, Planer und Nutzer profitieren“, erklärt der Professor.

Zu den Verlierern im System gehören dann etwa diejenigen rechtlichen und baubetrieblichen Berater, die bisher bei allfälligen Konflikten auf den Plan treten. „Die Marktsituation ist jetzt so“, sagt Haghsheno, „dass die Bauherren mehr denn je über systemische Veränderungen bei der Vergabe nachdenken“.

Damit Desaster wie beim Bau von Stuttgart 21 oder der Elbphilharmonie in Zukunft möglichst ausbleiben.

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