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Der laute Alltag

Gegen Lärm hilft nur der Rückzug in Ruheoasen

Unser Leben ist vom ersten bis zum letzten Tag mit Geräuschen verbunden. Schall ist erwünscht, ohne ihn kann es kein soziales Miteinander geben. Besonders in Großstädten gibt es aber oft zu viel davon. Wie kommen wir damit klar?

Noch zu wenig Rücksicht: Wie laut es in den Städten und Dörfern ist, hängt auch vom Verhalten der Menschen ab. Experten mahnen dazu, sich mehr Gedanken über die eigene Lebensweise zu machen.
Noch zu wenig Rücksicht: Wie laut es in den Städten und Dörfern ist, hängt auch vom Verhalten der Menschen ab. Experten mahnen dazu, sich mehr Gedanken über die eigene Lebensweise zu machen. Foto: Swen Pförtner /dpa

Wenn es Ludger Brümmer einmal zu laut wird, zieht er sich gerne in seine „zweite Schale“ zurück. Sein Zuhause. Tür zu, Ruhe einkehren lassen. Er lauscht. Die extra schalldichten Fenster halten das Rauschen des Verkehrs auf der belebten Pulverhausstraße zuverlässig zurück.

Der Lärm der Stadt ist nur wenige Zentimeter entfernt, und doch fühlt sich der Karlsruher in eine andere Realität versetzt. „Es ist doch eine starke Sache“, sagt Brümmer. „Das Hören bestimmt über meine Empfindung der Umwelt.“

Ludger Brümmer ist ein Ohrenmensch. Der 64-Jährige leitet das Hertz-Labor im ZKM, lehrt Musik an der Hochschule Trossingen und komponiert selbst. Seine Werke können laut sein, gerade noch erträglich für die Zuhörer, aber auch so leise, dass die Menschen im Publikum den Atem anhalten, um jeden Ton zu hören.

„Die Lautstärke an sich entscheidet oft, wie wir bestimmte Klänge erleben. Ist das Lärm oder ist das Musik? Letztlich ist das subjektiv“, sagt der Experte. „Mit 120 dB kann Bruckner so dröhnen wie ein Düsenjet, das ist für manche in Ordnung. Andere Menschen nehmen vielleicht ruhige Musik als lärmend wahr, wenn sie ihnen nicht gefällt.“

Mit 120 dB kann Bruckner so dröhnen wie ein Düsenjet.
Ludger Brümmer, Komponist aus Karlsruhe

Es gibt kein Leben ohne Geräusche. Im modernen Stadtleben steht die permanente Geräuschkulisse auch für eine attraktive Dynamik und Lebendigkeit, die viele Menschen nicht missen möchten.

Bei den vielen Schallquellen, die uns umgeben, kommt es aber auf zwei Dinge an. Erstens der Blickwinkel: Während sich jemand über ein vorbeifliegendes Flugzeug ärgert, wird ein Fan der Luftfahrt den Krach über seinem Kopf vielleicht sehr interessant finden. Zweitens das Maß: Wir können Geräusche nur in gewissen Grenzen ertragen und setzen unsere Gesundheit aufs Spiel, wenn sie dauerhaft überschritten werden.

Laut und nicht immer notwendig: Laubbläser tragen zur Lärmbelastung in den Städten bei.
Laut und nicht immer notwendig: Laubbläser tragen zur Lärmbelastung in den Städten bei. Foto: Matthias Bein /dpa

Musikinstrumente waren früher leiser

Die Welt war nicht immer solch ein unruhiger Ort wie jetzt. Im Mittelalter hatte die Musik weniger laute Bässe, und die Instrumente klangen insgesamt leiser. Verglichen mit den heutigen Automotoren, erzeugten Pferdekutschen kaum Lärm.

Im 18. Jahrhundert veränderte das Rattern der ersten Fabrikmaschinen das Klangbild der Zivilisation. Seitdem haben sich die Menschen an die zunehmende Dauerbeschallung stoisch angepasst – bis es ihnen zu viel wurde.

„Unzulässiger Lärm“, der die „Allgemeinheit erheblich belästigt“, ist hierzulande seit über 20 Jahren eine Ordnungswidrigkeit. Eine ganze Reihe von Gesetzen, Verordnungen und EU-Richtlinien garantiert den Bundesbürgern theoretisch ihre ersehnte Tag- und Nachtruhe. Doch nicht immer und überall lässt sich der Schallpegel bis ins letzte Detail rechtlich regeln. Unsere Wohn- und Arbeitsorte heute sind auch deswegen so laut, weil wir es zulassen.

Man beschallt alle Menschen, an denen man vorbeifährt. Das ist egoistisch.
Florian Schelle, Lärmexperte am Institut für Arbeitsschutz

Der Lärm-Experte des Instituts für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA), Florian Schelle, vermisst in Deutschland oft die elementare Rücksichtnahme auf die Mitmenschen.

„Da stehen beispielsweise Autos an der Schranke zu einem Bahnübergang, und mitten in der Nacht wird in diesen Autos so laut Musik gehört, dass die Anwohner aus dem Schlaf gerissen werden. Das muss doch nicht sein.“ Auch über die Räder mit Lautsprechern, in denen laute Musik spielt, ärgert sich Schelle sehr: „Man beschallt alle Menschen, an denen man vorbeifährt. Das ist egoistisch.“

Laubbläser, Automotor und Co.: Alltäglicher Lärm wäre oft vermeidbar

Der in unserem Alltag oft vorkommende Lärm ist in vielen Fällen vermeidbar, sagt der Fachmann. Die Menschen müssten dazu allerdings manche Gewohnheiten, Kaufentscheidungen und Regelungen auf den Prüfstand stellen.

Muss man die Nachbarn unbedingt mit seinem elektrischen Laubbläser quälen? Kann ein Staubsauger nur dann leistungsstark sein, wenn sein Motor ordentlich dröhnt? Ist für den Lernprozess von Schulkindern zu vernachlässigen, wenn die mobilen Reiniger in ihren Klassenräumen laut brummen, während die Viren aus der Atemluft herausgefiltert werden?

Lärmometer
Lärmometer Foto: BNN/Katrin Wörner

Und macht es Sinn, wenn heute in vielen Großraumbüros Dauertelefonierer neben Mitarbeitern sitzen, die konzentriert arbeiten müssen? Der IFA-Experte beantwortet jede dieser Fragen mit einem Nein. Schelle plädiert unter anderem für die Einführung eines transparenten und leicht verständlichen Lärmlabels für Haushaltsgeräte, wie er heute für den Energieverbrauch üblich ist.

Im Sinne einer gesünderen Arbeitsumgebung rät er Arbeitgebern, abgeschirmte „Zonen für kommunikative Tätigkeiten“ in ihren Büros zu schaffen und die Schallübertragung durch Schutzwände und Akustikdecken zu verringern.

Ruhige Oasen als Ausgleich für den Lärm

Ob klein oder groß, die Stadt ist letztlich ein Lebensort, der nicht für Ruhe steht. Im geräuschvollen Alltag gilt sonst die generelle Empfehlung: Wer den Lärm nicht hören will, muss fliehen. Regelmäßig stille Oasen in einem Park, am Fluss oder im Wald aufsuchen, bewusst durchschnaufen.

Will man daheim die Ruhe haben, hilft vor allem der fachgerechte Einbau von hochwertigen, schallschützenden Fenstern. Aus der Sicht von Medizinern sollten Anlieger an stark befahrenen Straßen vor allem ihre Nachtruhe schützen und nach Möglichkeit in den abgewandten Zimmern auf der Hofseite schlafen.

An Tagen ohne Autos wäre es so still, viele Menschen würden ihre Städte neu entdecken.
Ludger Brümmer, Karlsruher Komponist

Ludger Brümmer mag „kleine Quellen“. Der Karlsruher Komponist meint damit harmonische Geräusche, die seine Ohren wirksam entspannen. Das Geplätscher eines Brunnens, das raschelnde Laub, der Vogelgesang: „Klänge, die unserem Gehör einen Stimulus geben und signalisieren: Entspanne dich, es gibt keine Gefahr.“

Brümmer stellt sich Einkaufszentren vor, die mit einer sanften Geräuschkulisse aus Vogelstimmen beschallt würden. Vielleicht wäre das gut gegen den Lärmstress? Am besten fände er aber einen Tag in der Woche, an dem keine Autos fahren: „Es wäre so still, und viele Menschen würden ihre Städte neu entdecken“.

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