Ich bin neuerdings ein echter Süßholzraspler, jedenfalls nonverbal. Seit ich mich intensiv mit dem Thema Lakritze respektive der geheimnisvollen Wurzel aus dem Süden beschäftige, hat das Wort für meine Begriffe nämlich eine ganz neue Bedeutung jenseits allen Schleimspurabsonderns erlangt. Denn: Süßholzraspelei in der Küche geht schon okay, nicht weil man sich an jemand heranmachen möchte, sondern um vielleicht etwas Ausgefallenes aufzutischen.
Glycyrrhiza glabra heißt die eher unbekannte mediterrane Lakritzpflanze in Lateiner- und Wissenschaftszirkeln. Klingt nach Glyzerin plus Diarrhöe, ist aber in gottlob nicht so schlimm.
Süßholz plus kuriose Mischung = Lakritze
Im Gegenteil: ursprünglich als Schleim (!) und Husten lösendes Arzneimittel vom Onkel Doktor verordnet und deshalb nur in der Apotheke erhältlich, wurde der Süßholzextrakt vor rund 300 Jahren erstmals durch Zusatz einer kuriosen Mischung aus Zucker, Glukosesirup, Mehl, Kartoffelstärke, Salmiak und Aromen für Naschkatzen interessant. Die Mutter des Lakritzkonfekts, wie es z. B. die Firma Riegel aus Bonn (besser bekannt als Haribo) seit Jahrzehnten an Süßmäuler und Lakritz-Junkies auf allen Kontinenten vertickt, war geboren.
Lakritze: es leben die Formen!
Fantasie und Experimentierlust haben mit den Jahren aus Lakritze allerhand entstehen lassen: die legendären Schnecken natürlich, Stafetten, Schnüre, Pastillen und auch vielerlei Miniaturen in Quader-, Kugel- und Röhrenformen, sogar Tiere, Gesichter und Monster klaubt oder fischt man heute aus Beuteln und Kunststoffbehältern an der Lakritztheke. Die meisten optisch aufgehübscht und massentauglich „veredelt“ durch zuckrige Schäume und brandgefährliche Plombenzieher aus Gummi.
Weil modernes Lakritzkonfekt Süßholzwurzelextrakt häufig nur noch in homöopathischem Maß enthält, kann man sich selbst durch übermäßigen Verzehr kaum noch ins Krankenhaus oder gar auf den Friedhof futtern. Aufpassen muss man vielleicht noch bei stärker dosierten Produkten, wie sie in Speziallakritzläden mit Sorten für Kenner feilgeboten werden (z. B. bei Schwarzes Gold in Berlin). Oder im Norden Europas (Dänemark aufwärts), wo die Lakritzhochburgen glitzern.
Lakritze als Arznei: Vorsicht!
Bei Arzneilakritze mit hohem Glyzyrrhizin-Faktor sieht das schon anders aus. Da können 100 Gramm Süßholzlösung schon mal zu heftigem Pumpenrasen oder Tilt-Anzeige auf dem Blutdruckmessgerät führen.
Lakritze polarisiert
Lakritze mag man. Oder man mag sie nicht. Dazwischen ist: Nichts. Nada. Niente. Wobei sich „Bärendreck“ (wer hat sich denn diesen Mistbegriff ausgedacht? Nur weil das Zeug bräunlich schwarz ist, braucht es doch nicht Kacke zu sein!) wahrscheinlich zur Überraschung vieler nicht nur in kalorienbombigem Naschwerk findet, sondern auch die moderne Küche erobert hat, wo das fenchelartige süße Aroma Überraschungsmomente generiert.
Lakritze in der Küche
Im Ganzen mitgekocht oder aber als Pulver zugefügt, verschafft Süßholz z. B. dem Esser einer mediterranen Fischsuppe einen süßlichen Extrakick (Rezept unten), aber auch Lamm, Ente und Muscheln profitieren von dezenter Süßholzraspelei.
Lakritzlikör und Lakritzsirup
An der Schnittstelle vom Sweetheart-Beglücker zum originellen Gewürz haben sich die Likör- und Sirupmacher eingenistet, die den schwarzen Süßstoff alkoholisch frisieren oder zu einer alkfreien Creme verflüssigen. Vanilleeis mit Lakritzsirup? Bombe! Noch geschmacksexplosiver: mit feinem hochprozentigem Lakritzlikör getoppt. „Liquore alla liquirizia“ aus dem Hause „Il Re dei Re“, der Gekrönte unter den Lakritzlikören (Sieger bei der World Spirit Selection 2016 in Mexiko), ist dafür erste Wahl. In Deutschland vertreibt dieses schwarze Gold exklusiv die Firma Tarbiana („High Qualitaly Food“).
Süßholzextrakt aus dem Lakritz-Paradies Kalabrien
Ihr Gründer Mario Narcisi aus Stutensee bei Karlsruhe bekommt leuchtende Augen, wenn er von dem Königsgetränk aus der Toskana schwärmt, das von ebenjener kleinen Manufaktur nach altem Familienrezept produziert wird - mit Süßholzextrakt aus dem Lakritz-Paradies Kalabrien!
Lakrids für Experten
Lakritz-Junkies und -Experten führt übrigens ein dänisches Unternehmen ans Ziel schwarzer Träume: Lakrids by Bülow. File under: Edelsüßstoff.
Angeklickt
Aufgelesen
Elisabeth Johansson/Helén Pe: Lakritz, LV-Buch, € 19,95
Aufgetischt
FISCHSUPPE MIT LAKRITZ
1,5 kg gemischte Fische bzw. Filets, z. B. Drachenkopf, Petersfisch, Rotbarbe, Wittling, Knurrhahn, Seeteufel, Kabeljau etc.6 lila Kartoffeln (vorgegart, in Scheiben)100 ml Olivenöl1 Fenchelknolle (in Streifen)je 2 gelbe + orange Karotten (in Scheiben)1 Stange Sellerie (in Scheiben)15 cm Weißes vom Lauch (in Ringen)4 junge Knobizehen (grob gehackt)1 große Zwiebel (z. B. Roscoff, in Streifen)1 TL Fenchelsaat, 2 frische Lorbeerblätter3 Streifen dünn abgeschälte BioOrangenschale100 ml weißer Portwein800 ml Fischfond, 2,5 l Wasser (heiß)1 EL Colatura di Alici (optional)4 mittelgroße Tomaten (geachtelt)1 kl. Bund glatte Petersilie (gehackt)3/4 TL Lakritzpulver, z B. Lakrids by BülowSalz, Pfeffer aus der Mühle- Ganze Fische in grobe Stücke schneiden, Filets mundgerecht portionieren.Fenchel, Karotten, Sellerie in einem großen Topf in Olivenöl anschwitzen, Lauch, Knobi und Zwiebel zugeben, ebenso Fenchelsaat, Lorbeer und Orangenschale.
- Mit Portwein ablöschen, etwas einkochen lassen. Salzen und pfeffern. Fond und Wasser zugeben und das Gemüse fast gar kochen.
- Fischstücke (außer Filets) einlegen und bei geringer Hitze gar ziehen lassen. Herausnehmen, Fleisch von Haut und Gräten befreien.
- Colatura die Alici (falls verwendet; Aufgegabelt!-Beitrag über Colatura di Alici ), Tomaten, die vorgegarten Kartoffeln, die Hälfte der Petersilie und das Lakritzpulver zugebe, dann nacheinander die Filets einlegen (festfleischige wie Seeteufel zuerst). Ausgelösten Fisch zufügen. Nochmals mit Salz und Pfeffer würzen. Mit restlicher Petersilie bestreut servieren.