Können die Menschen nicht zur Livemusik kommen, dann kommt die Livemusik zu ihnen: Da schleppt eine junge Frau mit langem kupferfarbenem Haar, schick gekleidet mit Tweedsakko, aus dessen Ärmeln Rüschen lugen, einen schwarzen Koffer durch die Frankenstraße in der Karlsruher Südweststadt.
Gabler singt zumeist ehrenamtlich auf dem Gehweg
Sie postiert sich damit vor der Zufahrt zur nahezu verwaisten Südendschule. Und der vermeintliche Koffer entpuppt sich als professionelle, akkubetriebene Beschallungsanlage. Die Koloratursopranistin Svenja Gabler bietet seit Mitte Dezember auf diese Weise zwei bis drei Mal pro Woche „Oper überall“ – und das ehrenamtlich. Manchmal erhält sie eine kleine Aufwandsentschädigung, oft aber, wie an diesem Tag, ein Geschenk als Dankeschön.
An diesem kalten Mittwoch hat sich Svenja Gabler mit Genehmigung des Ordnungsamtes gegenüber des Luitgardhauses aufgestellt, einer Einrichtung der katholischen Kirche in der Trägerschaft des Caritasverbandes Karlsruhe, die psychisch erkrankten Menschen im geschützten Rahmen eines Wohnheims eine möglichst selbstständige Lebensführung gestattet.
Der Abstand zur Sängerin, der wegen der Aerosole sein muss, ist gewährleistet, da die Bewohner auf der anderen Straßenseite stehen bleiben. Zu hören ist genug, dank der Anlage, die ihr das Musikhaus Schlaile für die Aktion zur Verfügung gestellt hat. Aber manche stehen nicht, sie wiegen sich im Takt und eine in eine Wolldecke gehüllte Dame tanzt auf dem Gehweg zum ersten Titel, den Svenja Gabler singt: „Es muss was Wunderbares sein, von dir geliebt zu werden“ aus „Im weißen Rössl“ von Ralph Benatzky.
In Seniorenheimen singen Bewohner auch mal mit
Operette ist Svenja Gablers Schwerpunkt bei diesen Terminen. Bislang war sie ausschließlich in Seniorenheimen unterwegs, und dort sind Operetten beliebt und wohlbekannt. „Da wird jeder Refrain mitgesungen“, erzählt sie und manche Senioren hätten sich „fein gemacht für die Oper“.
Heute stehen bei der Arie der Lauretta, „O mio babbino caro“, aus Giacomo Puccinis „Gianni Schicchi“ schon die ersten Leute aus den Nachbarhäusern an den Fenstern, und die wenigen Passanten bleiben, den Abstand wahrend, stehen. „Tulpen aus Amsterdam“ singen manche unter den Masken leise mit. Die Sopranistin präsentiert den Schlager zweisprachig, denn sie hat ihr Gesangsstudium an der Hochschule für Musik im niederländischen Tilburg absolviert. Für ihre Auftritte hat sie aus Aufnahmen die Gesangsstimme herausgefiltert, und sie verwendet Karaoke-CDs.
Sie singt bevorzugt Mozart, Rossini und Johann Strauß, ist freischaffende Künstlerin, hat aber in normalen Jahren wiederkehrende Termine wie ein festes Gastspiel bei der TourneeOper Mannheim oder bei der Sommeroperette in Rüdersdorf bei Berlin. Mit Operettenhits punktet sie auch hier: „Die ganze Welt ist himmelblau“ aus dem weißen Rössl und „Tanzen möcht ich...“ aus Emmerich Kálmáns „Csárdásfürstin“. Eine Frau schiebt auf dem Gehweg einen Kinderwagen im Zickzackkurs, um möglichst lange zuhören zu können; eine andere wendet ihr Lastenfahrrad und gönnt ihrem Kind und sich die musikalische Aufmunterung.
Veranstaltungen dürfen nicht angekündigt werden
Svenja Gabler hat ihr Programm „so fröhlich wie möglich“ zusammengestellt, und da dürfen auch Elizas „I Could Have Danced All Night” aus Frederick Loewes Musical „My Fair Lady“ und der durch die Comedian Harmonists populäre Song „Irgendwo auf der Welt gibt´s ein kleines bisschen Glück“ nicht fehlen. Von allen Seiten, auch aus dem Schulhof erschallen Zugabe-Rufe und so erklingt zum Abschluss „Schlösser, die im Monde liegen“ aus „Frau Luna“ von Paul Lincke.