Ist der Nordschwarzwald eine Reichsbürger-Hochburg? Mehrere Razzien im Zusammenhang mit Ermittlungen der Bundesanwaltschaft gegen mutmaßliche Terroristen sind am Mittwochmorgen in Pforzheim, dem Enzkreis sowie in Pfinztal im Landkreis Karlsruhe durchgeführt worden.
Nach Informationen dieser Redaktion kam es im Enzkreis zu mehreren Durchsuchungen. Zu den Einsatzorten der Bundespolizei gehörten Anwesen in den Gemeinden Kämpfelbach und Keltern. Ein zunächst in Zusammenhang mit den Razzien gesehener Polizeieinsatz, der sich auf Gebäude in Ölbronn-Dürrn sowie in Pforzheim bezieht, beschäftigt zwar den Staatsschutz, hat aber wohl eher nichts mit der Reichsbürgerszene zu tun.
In den zuständigen Rathäusern zeigte man sich am Mittwoch überrascht. Nachfragen ergaben, dass bislang weder im Kelterner noch in Kämpfelbacher Rathaus aktive Reichsbürger bekannt waren.
Polizei steht plötzlich vor geschockter syrischer Flüchtlingsfamilie
Das Polizeipräsidium in Pforzheim bestätigte auf Anfrage zunächst lediglich Einsätze im Präsidiumsgebiet Nordschwarzwald. Ob möglicherweise nicht nur Pforzheimer Beamte, sondern auch Verhörräume zur Verfügung gestellt wurden, wollte ein Polizeisprecher nicht kommentieren.
Eine Panne unterlief den Ermittlern am Mittwochmorgen gegen 6 Uhr in Pfinztal. Nach BNN-Informationen sprengten SEK-Beamte zunächst die falsche Tür in der Gartenstraße im Ortsteil Wöschbach. Demnach sprengten die Einsatzkräfte die Haustür einer Flüchtlingswohnung, in der sich die Eltern und sechs Kinder befanden.
Ein extrem lauter Knall hat uns geweckt. Das war so laut, das können Sie sich nicht vorstellen.Syrischer Familienvater
Die Bewohner reagierten geschockt. Der syrische Familienvater berichtet: „Ein extrem lauter Knall hat uns geweckt. Das war so laut, das können Sie sich nicht vorstellen. Wir hatten Riesenglück. Wenige Minuten später wären die Kinder im Gang gewesen. Sie hätten dann wahrscheinlich – nein, sicher – die umherfliegenden Teile der Tür abbekommen.“ Irgendwann hätten die Polizisten ihren Fehler erkannt. „Sie sind gegangen. Und haben sich noch entschuldigt.“
Erst im zweiten Anlauf gelang der Zugriff im Nachbarhaus. Bei dem Festgenommenen soll es sich um einen Mann Mitte 50 handeln, der von Anwohnern als zurückhaltend bis „arrogant“ beschrieben wurde.
Insgesamt wurden bei der konzertierten Aktion allein in Baden-Württemberg 38 Objekte durchsucht. Neben den Razzien in Pforzheim, dem Enzkreis, und im Landkreis Karlsruhe sind auch der Ortenaukreis sowie die Landkreise Breisgau-Hochschwarzwald, Freudenstadt, Rottweil und der Bodenseekreis betroffen.
Wie lange die Ermittler teilweise vor Ort waren zeigte sich in Keltern-Niebelsbach. Pünktlich um 13.30 Uhr zogen dort in der Schwabenstraße mehrere vermummte Beamte eine Türe zu. Sie hatten zahlreiche gefüllte Kartons in die Kofferräume zweier Autos mit Euskirchener und Berliner Nummer geschleppt und verstaut.
In dem zweistöckigen Haus sind im oberen Stockwerk die Fensterladen geschlossen, als die Ermittler mit hohem Tempo davon brausten. Im unteren Stockwerk leuchtet dunkel Licht. An der Haustüre hängt etwas Holz ab. Es ist nicht ersichtlich, ob es sich dabei um Beschädigungen handelt.
Bereits am frühen Morgen soll es in dem unscheinbaren Haus Zugriff auf mindestens einen Reichsbürger gegeben haben. Beobachtet wurde das Geschehen von Nachbarn aus ihren Fenstern. Reden wollten aber nur wenige. „In der Vergangenheit ist mir nichts aufgefallen“, sagte eine ältere Dame. Wer in dem Haus wohnt und wie viele Personen könne sie nicht sagen. Ein Mann erklärte, dass die Personen im Haus eigenartig, aber nicht unfreundlich seien. Immer wieder seien Autos mit unterschiedlichen Kennzeichen davor gestanden. Von Verbindungen zur Reichsbürgerszene habe er aber nichts geahnt. Ähnlich äußerte sich ein Paketbote, der von häufigen Lieferungen berichtet.
Generalbundesanwalt: Verbindungen zu QAnon-Bewegung
Deutschlandweit wurden 130 Objekte durchsucht. Generalbundesanwalt Peter Frank nannte am Mittwochnachmittag bei einer Pressekonferenz in seiner Behörde in der Karlsruher Brauerstraße weitere Details. Frank zufolge waren acht der 25 festgenommenen Verdächtigen am Mittwoch bereits in Untersuchungshaft. Er bestätigte, dass es sich bei den Verdächtigen um Personen aus der Reichsbürgerszene handele. Zudem gebe es Verbindungen zur ebenfalls verschwörungsideologischen QAnon-Bewegung. Die Beschuldigten sollen eine terroristische Vereinigung gebildet haben, die mutmaßlich den Umsturz des politischen Systems in Deutschland vorbereiten wollte.
Als ein Rädelsführer gilt der Unternehmer Heinrich XIII. Prinz Reuß aus Hessen. Auch er ist dem Generalbundesanwalt zufolge unter jenen, für die Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof Untersuchungshaft angeordnet haben.
Rund 3.000 Polizeibeamte waren laut Bundesanwaltschaft im Einsatz gewesen. Die Operation im Morgengrauen zählt zu den größten Polizeieinsätzen gegen Extremisten in der Geschichte der Bundesrepublik, vor allem was die Zahl der eingesetzten Spezialkräfte angeht.