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Kultlokal

Nach 33 Jahren hinter dem Tresen der Dorfschänke: Karlsruher Wirt Klaus Höger hört auf

Seit 33 Jahren ist Klaus Höger der Chef der Karlsruher Kult-Kneipe Dorfschänke. Im Dezember schließt das älteste Lokal der Stadt seine Pforten. Im Gespräch mit den BNN lässt Klaus Höger seine Zeit als Wirt im Dörfle Revue passieren.

Klaus Höger härt nach 33 Jahren als Wirt der Dorfschänke auf
Klaus Höger härt nach 33 Jahren als Wirt der Dorfschänke auf Foto: jodo

Die urige Kneipenatmosphäre ist in diesem Schankraum bereits am frühen Nachmittag spürbar. Fenster gibt es in der Dorfschänke nämlich keine und gegen die dunkle Holzvertäfelung und die schwarzen Stützbalken kommt das schummrige Kunstlicht kaum an.

Das ist wahrscheinlich das dunkelste Loch in ganz Karlsruhe.
Klaus Höger, Wirt der Dorfschänke

Die wenigen Stehtische haben schon bessere Zeiten gesehen, und der mit Patina überzogene Tresen erzählt Geschichten aus unzähligen durchzechten Nächten. „Das ist wahrscheinlich das dunkelste Loch in ganz Karlsruhe“, sagt Klaus Höger mit einem Schmunzeln. Seit 33 Jahren hält der Kneipier das älteste Lokal der Fächerstadt am Laufen. Wer hier noch einmal in den Genuss eines Kneipenabends kommen will, sollte sich allerdings nicht mehr allzu viel Zeit lassen. Im Dezember wird das Haus verkauft und die grüne Eingangstür zugesperrt. Und ein Nachfolger ist bislang noch nicht in Sicht.

Studenten waren früher die wichtigste Klientel

„Ich bin jetzt seit 36 Jahren in der Gastronomie tätig und habe fast jedes Wochenende in meinen Kneipen verbracht. Da ist die Zeit zum Aufhören einfach gekommen“, sagt der 62-Jährige.

Mangelnde Arbeit ist auf keinen Fall der Grund für seinen Rückzug. Bis zum Schlussakkord stehen jede Woche noch mehrere Veranstaltungen im Terminkalender. Außer an den Konzertabenden hat die Dorfschänke jedoch schon seit einigen Jahren nicht mehr geöffnet.

Die Studenten gehen heute nicht mehr so oft aus wie früher.
Klaus Höger, Wirt der Dorfschänke

„Die Studenten gehen heute nicht mehr so oft aus wie früher. Da haben sich normale Kneipenabende einfach nicht mehr gerechnet“, sagt Höger. Der erfahrene Gastwirt weiß, wovon er spricht. In den vergangenen dreieinhalb Jahrzehnten hat der bekennende Rockmusikfan die Kneipenszene im ehemaligen Dörfle schließlich mitgeprägt.

1985 übernahm Klaus Höger den Pfannestiel

Nach der Schule hatte der Sohn eines Druckers aber zunächst einmal eine Kaufmannslehre gemacht und anschließend in einem Möbelhaus in Hagsfeld als Computerfachmann gearbeitet.

Während eines Griechenlandurlaubs bekam Höger Lust auf einen beruflichen Tapetenwechsel und wurde im Sommer 1985 mit einem Geschäftspartner bei den Verpächtern des Wirtshauses Pfannestiel vorstellig. Obwohl die beiden Neueinsteiger keinerlei Vorkenntnisse hatten, erhielten sie den Zuschlag.

Offenbar zurecht, denn nachdem Braumeister Rudi Vogel im selben Jahr in der Kapellenstraße sein erstes Vogelbräu eröffnete, gehörten die benachbarten Lokale mit den Biergärten im Innenhof zwischen Kapellenstraße und der Straße Am Künstlerhaus schon bald zu den bekanntesten Ausgehadressen der Stadt.

Fußballübertragungen retteten das Sommergeschäft

„Wir hatten beide keine Ahnung vom Kneipengeschäft. Deshalb haben wir uns ausgetauscht und immer wieder neue Konzepte ersonnen“, erinnert sich Höger an die regelmäßigen Treffen mit Vogel.

Irgendwann stellten die beiden findigen Unternehmer auch Fernseher für Fußballübertragungen in die Gasträume. Högers letzter Tag als Pfannestiel-Wirt war nicht von ungefähr der 30. Juni 2002, als das Endspiel der Fußballweltmeisterschaft in Japan und Südkorea zwischen Deutschland und Brasilien über die Bildschirme flimmerte.

„Der Fußball hat uns damals den Sommer gerettet. Aber eigentlich lief das Geschäft schon länger nicht mehr richtig rund“, erinnert sich Höger. Während Vogel im Biergarten gegenüber bis heute mit badischen Spezialitäten um Kundschaft buhlt, blieb die Küche im Pfannestiel bis auf wenige aufgewärmte Snacks meistens kalt. „Mit der Küche stand ich schon immer auf Kriegsfuß“, sagt Höger rückblickend. Deshalb habe er sich auch bewusst auf den Kneipenbetrieb konzentriert.

Dorfschänke war früher eine Rotlichtkaschemme

In der Dorfschänke, einer ehemaligen Rotlichtkaschemme in Steinwurfweite zum Pfannestiel, die Höger 1987 mit seinem Kumpel Dieter Dickemann übernahm, spielte von Anfang an die Musik die Hauptrolle.

Das Wegbrechen der trinkfreudigen Studentenschaft konnte aber auch dort nicht kompensiert werden. Ein Grund für das geänderte Ausgehverhalten ist für Höger auf jeden Fall die Digitalisierung. „Früher haben sich die jungen Leute am Tresen die Köpfe heiß geredet oder an den Tischen Karten gespielt.

Dabei haben sie jede Menge Bier getrunken“, erzählt er. Heute würden sich junge Leute über soziale Medien verabreden und erst spät in der Nacht durch die Clubs ziehen. Selbst beim Kneipenbesuch sei das Smartphone ständig sichtbarer Begleiter.

Zahlreiche Bands traten bereits auf

Ist die Dorfschänke vielleicht aus der Zeit gefallen? Die verbeulten Metallschilder hängen seit drei Jahrzehnten an den Wänden und selbst der Bierpreis von 2,80 Euro für einen halben Liter wurde seit zehn Jahren nicht erhöht.

Fehlende Innovationsfähigkeit will Höger jedoch nicht als Grund für den Rückgang des Getränkeverkaufs gelten lassen. In den vergangenen Jahrzehnten gaben sich an der Eingangstüre schließlich etliche Livebands aus unterschiedlichen Genres wie Rock, Jazz, Blues oder Reggae die Klinke in die Hand. Selbst Techno-Events gingen im historischen Gastraum über die Bühne.

Nur eines kam für den Musikliebhaber nie in Frage: Tageslicht hereinlassen und den Schankraum mit modernen Möbeln in eine Lounge verwandeln. „In einer Stadt wie Hamburg wäre ein rustikales Lokal mit einer derart langen Geschichte mit Sicherheit ein echtes Schmuckstück“, sagt Höger.

Tatort "Freigang" wurde im Schankraum gedreht

Das sprach sich sogar bis zu den Produzenten des Stuttgarter Tatorts herum. In der Episode „Freigang“ unterhalten sich die Schauspieler Richy Müller und Herbert Knaup in ihren Rollen als Kommissar Thorsten Lannert und Gefängnis-Leiter Andreas Franke am Tresen bei einem Bierchen über die Arbeitsbedingungen im Knast.

Im Hintergrund begrüßen sich zwielichtige Gestalten, und auf der Bühne sorgt ein Elvis-Imitator für Kurzweil.

Wenn Höger nach seinen schönsten Dorfschänke-Erlebnissen gefragt wird, fallen ihm als erstes die vielen Konzerte ein.

Zum Abschied wünscht sich der Wirt die Dorfcombo

Wie sich Schlagzeuger Andy Ward von der britischen Prog-Rock-Band Camel nachmittags ans Klavier setzte und melancholische Weisen von Tom Waits zum Besten gab, hat sich ebenso ins Gedächtnis des Gastwirts eingebrannt wie die zahlreichen Auftritte der Hausband „One Hit! Wanda“.

Ein Auftritt der Dorfcombo wäre ein tolles Abschiedsgeschenk.
Klaus Höger, Wirt der Dorfschänke

Was er sich noch wünscht? „Ein Auftritt der Dorfcombo wäre ein tolles Abschiedsgeschenk und würde richtig gut in diesen Laden passen“, sagt Höger. Und das nicht nur wegen der ähnlichen Namen. Schließlich stammen die meisten der Dorfcombo-Musiker ebenso wie Klaus Höger aus dem Rheinstettener Stadtteil Mörsch.

Erfinder des Public-Viewing

Doch auch das gemeinsame Fußballschauen auf Großleinwänden bescherte der Dorfschänke erinnerungswürdige Abende. „Wahrscheinlich habe ich das Public Viewing nach Baden gebracht“, sagt Höger. Das war 2004. Die deutsche Nationalmannschaft war bei der Europameisterschaft in Portugal schon nach der Vorrunde ausgeschieden, und die Fußballeuphorie bei vielen Fans auf dem Nullpunkt angelangt. Auch Höger schaute etwas neidvoll in Richtung Südstadt, wo sich in den vielen Multikulti-Lokalen Anhänger der verbleibenden Teams zum gemeinsamen Fußball gucken trafen.

Also machte er aus der Not eine Tugend, lieh sich einen Beamer, zimmerte eine Leinwand zusammen und mietete für das Endspiel zwischen Griechenland und Portugal den Platz vor der Dorfschänke an. Als sich um 20 Uhr lediglich ein gutes Dutzend Leute vor der Leinwand tummelten, hatte Höger das Experiment bereits als gescheitert abgeschrieben.

„Ich bin dann nochmal in die Kneipe gegangen. Als ich kurz vor Anpfiff herauskam, saßen auf einmal 300 Leute auf dem Platz und haben zusammen gefeiert. Das war ein echter Gänsehaut-Moment“, erinnert sich Höger.

Nur mit Pelzmantel bekleidet

Gänsehaut-Momente erlebte er auch während der anderen Fußball-Großereignissen Im Sommer wird es während der Europameisterschaft deshalb noch einmal Public Viewing geben. Das kommt sogar bei den Nachbarn aus den Freudenhäusern gut an.

Als Höger anfing, war die Altstadt-Sanierung zwar bereits beendet, einige Dörfle-Immobilien waren aber noch in der Hand des Rotlichtmillieus. Mittlerweile ist die Szene hinter die Sichtschutzbarrieren der Brunnenstraße zurückgedrängt.

Die Zeiten, als eine Dame aus der Nachbarschaft mit einem Pelzmantel bekleidet in die Dorschänke kam – nur mit einem Pelzmantel, wohlgemerkt – sind schon längst vorbei.

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Nachfolger ist noch nicht in Sicht

Seit er seinen Rückzug aus der Kneipenszene bekannt gab, wird Klaus Höger von seinen Stammkunden und langjährigen Weggefährten regelmäßig zum Weitermachen gedrängt.

„Aber die älteren Leute gehen nicht mehr so oft aus. Von denen kann ich nicht leben“, sagt Höger und lacht. In Karlsruhe gebe es seit Jahren einen starken Trend zur System-Gastronomie Mit „Billigketten“ wollte er nicht konkurrieren.

Auch andere Kultkneipen in der Nachbarschaft wie das Café Wien oder das Carambolage sind bereits von der Karlsruher Kneipenkarte verschwunden.

Die ersten losen Anfragen für eine Verpachtung hat Klaus Höger bereits abgelehnt. Er will loslassen und das Gebäude, das ihm mit einem Kompagnon gehört, verkaufen. Was der künftige Käufer mit dem Altstadt-Haus macht, darauf hat Höger irgendwann keinen Einfluss mehr.

Es wäre schon toll, wenn es hier weiterhin eine Kneipe gibt.
Klaus Höger, Wirt der Dorfschänke

„Es wäre schon toll, wenn es hier weiterhin eine Kneipe gibt“, sagt Höger. Allzu viel verändert werden darf ohnehin nicht, denn der vordere Bereich des Gebäudes, für das bereits im Jahr 1715 eine Lizenz zum Ausschank von alkoholischen Getränken an Postkutschen-Passagiere vergeben wurde, steht unter Denkmalschutz. „Wahrscheinlich werde ich das alles hier irgendwann vermissen“, sagt Höger und schaut sich um. „Denn solch ein dunkles Loch gibt es in Karlsruhe einfach nicht mehr.“

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