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Kinderlähmung

Menschen mit Kinderlähmung organisieren sich in Selbsthilfegruppen

Mit zunehmendem Alter belasten die Krankheitsfolgen stärker. Zwar gilt Polio als ausgestorben, doch es wird eine vorbeugende Impfung empfohlen. Denn die Krankheit ist unheilbar.

Hände in blauen Handschuhen, ein Kind, das geimpft wird.
Nur eine Impfung schützt: In Deutschland gilt dank Vorsorge Kinderlähmung als ausgestorben. In Afghanistan oder in Pakistan verbreitet sich das Virus jedoch laut WHO derzeit. Foto: Mohammed Talatene/dpa

Diesen Mittwoch ist Weltpoliotag. Ende der 1940er und Anfang der 1950er Jahre gab es viele Krankheitsfälle mit Kinderlähmung. Heute sind diese Menschen um die 70 Jahre alt und tragen die Last ihrer Kinderkrankheit. Manche sind auf Rollstuhl oder Gehhilfe angewiesen. Das Handicap begleitet sie seit Jahrzehnten.

Wie Hannelore Beran. Die Wahl-Jöhlingerin, in Stuttgart geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen, bekam das Virus als Vierjährige: „Ich war neun Monate im Krankenhaus, zeitweise wegen hoher Ansteckungsgefahr isoliert. Ich erinnere mich noch daran, dass ich heftiges Nasenbluten hatte.“

Sie sei erst komplett gelähmt gewesen, erzählt sie, und es habe lange gedauert, bis sie sich aufrichten und wieder stehen konnte. „Meine Beine haben mich nicht getragen.“ Orthopädische Schuhe mit einer Orthese und Physiotherapie sollten helfen.

Gegen diese Krankheit hilft einzig und allein eine Impfung.
Hannelore Beran /

„Ich hatte Glück, dass ich keinen Rollstuhl brauchte“, fügt die 72-Jährige hinzu, „und dass ich ein fast normales Leben führen konnte.“ Sie habe ihre Ausbildung gemacht, dann lange als Speditionskauffrau gearbeitet, geheiratet, zwei Kinder bekommen, Oma geworden. „Die Corona-Pandemie erinnert mich an meine Kindheit.

Kinderlähmung war damals eine Epidemie. Gegen diese Krankheit hilft einzig und allein eine Impfung“, sagt Hannelore Beran. Heilung gebe es nicht. Jöhlingen wurde 1978 ihre Heimat, weil der Arbeitsplatz ihres Mannes Fritz Beran (die beiden sind 50 Jahre verheiratet) nach Hagsfeld verlagert wurde.

Sie habe sich mit ihren Einschränkungen arrangiert. Sie konnte nicht alles mitmachen („Joggen ging nicht, aber Rollschuhe fahren“). Und: „Radfahren kann ich bis heute nicht, aber ich habe ein Dreirad mit Elektromotor.“ Ein Rollator und ein Elektro-Scooter halten sie mobil, wenn es zu Fuß schwierig wird.

Es brauche viel Eigeninitiative, viele Hilfsmittel müsse man selbst bezahlen. Und man brauche Willen: „Menschen mit Handicap müssen sich immer mehr anstrengen“, weiß Hannelore Beran aus Erfahrung. „Volle Integration gibt es eher nicht“, meint sie. Und sie habe lernen müssen, mit ihren Kräften zu haushalten.

Austausch mit Schicksalsgenossen

Heute tauscht sie sich mit anderen Menschen aus, die das gleiche Handicap haben: „Bei einer Fachmesse bin ich auf den ,Bundesverband Poliomyelitis‘ gestoßen, der Menschen mit Polio unterstützt. Es gibt Gesprächsgruppen und Angebote für Menschen, die mit den Spätfolgen der Kinderlähmung, dem Post-Polio-Syndrom (PPS), zurecht kommen müssen. Denn das PPS zwingt viele Polios nach einem, wenn auch mit Einschränkungen geführten Leben, in den Rollstuhl.“

Hannelore Beran ist Ansprechpartnerin im Raum Bruchsal/Landkreis Karlsruhe-Nord. Sie habe Informationen gesammelt zum Krankheitsbild, Kontakte geknüpft, Gespräche geführt, gelesen, 2017 die Kontaktstelle aufgebaut. „Das Internet ist dabei hilfreich“, berichtet sie.

Zu den Mitgliedern ihrer Gruppe hält sie per Whatsapp Kontakt. In der Corona-Zeit, wenn regelmäßige Treffen ausfallen, sei das eine gute Lösung: „Informationsaustausch ist unverzichtbar.“

Orthese soll Spätfolgen lindern

„Bisher hatte ich nur telefonischen Kontakt, da habe ich hilfreiche Tipps bekommen“, berichtet Gerhard Baumann, zur Polio-Fachklinik in Koblenz etwa, wo die Spezialisten seine Beschwerden zu lindern versuchten. Eine Orthese soll sein Bein stützen: „Im November soll ich sie bekommen.“ Der 81-Jährige, der in Neureut lebt, erkrankte als Vierjähriger an Kinderlähmung. Als Kind sei er öfter im Krankenhaus gewesen. „

Darüber geredet wurde nicht, man musste damit leben“, erzählt Baumann, dessen rechtes Bein betroffen ist. Er hat die Schule abgeschlossen, Maurer gelernt, und als er in diesem Beruf nicht weiterarbeiten konnte, nahm er eine Stelle als Kraftfahrer bei den BNN an. Er fühle, sagt er, dass seine Kräfte nachlassen. Aber er freue sich, morgens mit dem Hund seine Runde zu drehen.

Whatsapp ersetzt in Corona-Zeit die Treffen

„Wir treffen uns alle drei Monate. Wegen Corona ging das dieses Jahr nicht. Aber die Whatsapp-Gruppe funktioniert“, berichtet Felix Wenz. Der Söllinger, Jahrgang 1953, ist ebenfalls Polio-Patient. „Ich war drei Jahre, als die Krankheit ausbrach.“ Über Jahre sei er in der Klinik gewesen: „Auf dem Land war das damals eine Epidemie, die Krankheit war noch nicht erforscht.“

Viele hätten den Virus gehabt, die meisten seien unbeschadet davongekommen, viele aber gestorben. Er habe eine Querlähmung (vom linken Arm zum rechten Fuß). „Bislang brauche ich keine Gehhilfe, zur Sicherheit bei längeren Strecke nehme ich einen Stock mit“, erzählt Wenz. Hänseleien habe er nicht erlebt, sagt der Diplomkaufmann, der in Vertrieb und Marketing gearbeitet hat.

„Ich habe erst bei unserem Erfahrungsaustausch gehört, wie sehr andere Betroffene ausgegrenzt wurden“, berichtet Wenz. Zu den Kontakten kam er, als er einen BNN-Bericht las. Er habe einfach angerufen: „Es macht Mut, wenn man sich austauschen kann.“

Kontakt

poliogruppe75045@email.de oder (07203) 922368

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