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Vier Karlsruher berichten

Polyamorie in Karlsruhe: "Warum soll ich nur einen einzigen Menschen lieben?"

Peter und Hanna haben eine Beziehung. Sie sind auch verheiratet - aber nicht miteinander. Mado hat einen Mann, der selbst noch eine Ehefrau hat. Und sie hat noch einen Freund. Anna ist verheiratet und hat eine Fernbeziehung mit einem anderen Mann. Allen gemein ist: Sie lieben mehr als nur einen Menschen.

Wer polyamor lebt, kann Beziehungen mit mehr als einem Menschen führen. Der Unterschied zum Fremdgehen ist dabei klar: Alle Beteiligten wissen Bescheid.
Wer polyamor lebt, kann Beziehungen mit mehr als einem Menschen führen. Der Unterschied zum Fremdgehen ist dabei klar: Alle Beteiligten wissen Bescheid. Foto: xBranscheidx / imago images / photothek

Peter und Verena haben eine Beziehung. Sie sind auch verheiratet – aber nicht miteinander. Mado hat einen Mann, der selbst noch eine Ehefrau hat. Außerdem hat sie noch einen Freund. Anna ist verheiratet und lebt in einer Fernbeziehung mit einem anderen Mann. Peter, Verena, Anna und Mado sind polyamor. Das bedeutet: Sie lieben mehr als nur einen Menschen.

„Es gibt Milliarden von Menschen auf der Welt. Warum darf ich nur einen von denen lieben?” Diese Frage hat sich Mado schon in ihrer Kindheit gestellt. „Wenn Eltern ein zweites Kind bekommen, hören sie ja auch nicht auf, das erste zu lieben”, erklärt Mado. Dieses Konzept, dass man „den Einen” finden müsse, habe sie noch nie so wirklich verstanden.

Verena fühlte sich früher immer „anders als die anderen”, erinnert sie sich. Das war bevor sie wusste, dass es sowas wie Polyamorie gibt. Immer habe sie sich gefragt: „Warum kriege ich das nicht auf die Reihe, nur einen Menschen zu lieben?”

Polyamorie heißt wörtlich übersetzt „Vielliebe” und bezeichnet ein Konzept, bei dem Liebesbeziehungen mit mehr als einem Menschen geführt werden können - und dürfen.

Seit sie polyamor leben, können Peter, Verena, Mado und Anna sie selbst sein: Sie haben mehrere Partnerschaften gleichzeitig, wenn sie sich in mehrere Menschen verliebt haben. Doch das stellt sie auch vor Herausforderungen, die viele monogame Paare nicht kennen. Denn auch in polyamoren Beziehungen gibt es Regeln.

Mado: „Fremdgehen finde ich scheiße”

„Ich habe starke Moralvorstellungen”, sagt Mado. „Mir ist wichtig, dass meine Partner mir treu sind. Fremdgehen finde ich scheiße.” Im Unterschied zu Menschen in monogamen Beziehungen, verlangt Mado von ihren Partnern aber nicht, dass sie nur mit ihr Sex haben dürfen. „Mir ist auch egal, ob sie auch andere Menschen lieben”, fügt sie hinzu. Wichtig sei aber, dass sie Bescheid wisse und dass Absprachen getroffen würden, an die sich jeder hält.

Nach einer Studie der Universität Göttingen gehen etwa die Hälfte aller Männer und Frauen mindestens einmal in ihrem Leben fremd. Dabei gaben 80 Prozent derer, die fremdgegangen waren, an, dass sie ihren Partner liebten und Treue ihnen wichtig sei.

In ihren aktuellen Beziehungen funktioniere das gut. Mado ist mit ihrem Mann seit sieben Jahren zusammen. Standesamtlich heiraten konnten sie nicht, da er bereits mit einer anderen Frau verheiratet ist. Nun seien sie ein „gutes Dreiergespann”. Mit der Ehefrau ihres Mannes hat sie keine Beziehung, aber eine Freundschaft. Wichtig sei, dass man offen und ehrlich miteinander rede. Und dass man mit dem Partner des Partners respektvoll umgehe, sagt Mado.

Manchmal ist es so, dass ein Mensch traurig ist.
Verena

Auch Verena und Peter (Namen von der Redaktion geändert) versuchen das. Ihre beiden Ehepartner sind selbst nicht polyamor, wissen aber, dass Verena und Peter eine Beziehung miteinander haben. Nach einem Jahr haben sich Verenas Ehemann und Peter auch zum ersten Mal getroffen.

„Eine feste Partnerschaft zu haben, widerspricht sich für mich nicht damit, dass ich meiner Frau versprochen habe, dass wir für immer zusammenbleiben”, sagt Peter. „Ich kann dazu stehen, was ich damals versprochen habe und trotzdem mit einer anderen Frau zusammenkommen. Oder verliebt sein.” Seine Ehefrau ist dennoch nicht glücklich darüber, dass er polyamor lebt, räumt Peter ein.

Was würde passieren, wenn seine Ehefrau einmal sagt, dass sie mit seinem polyamoren Leben nicht mehr klarkommt? Peter weiß es nicht genau. „Das wäre keine Entscheidung zwischen ihr und einer anderen Frau, sondern eine Entscheidung wie wichtig das Bedürfnis für mich ist, meine Polyamorie zu leben“, stellt er klar. „Hier einen Konsens zu finden ist nicht immer einfach.“ Das ist ein Dilemma, sagt auch Verena. „Manchmal ist es so, dass immer ein Mensch traurig ist.”

Und es gibt noch einen weiteren Faktor, der in der Beziehung von Peter und Verena wichtig ist: Beide haben Kinder mit ihren Ehepartnern.

Polyamorie und Kinder: Geht das?

Peter und Verena haben beide mehrere Kinder, die über das polyamore Leben ihrer Mutter beziehungsweise ihres Vaters Bescheid wissen. „Ich wollte, dass meine Kinder wissen, wer ihr Papa ist“, sagt Peter. Auch habe er nicht gewollt, dass sie von jemand anderem erfahren, dass er polyamor lebt. „Polyamorie bietet für mich einen Ausweg aus dem Dilemma, dass es nur einen Partner geben darf. Im Gegensatz zur traditionellen Monogamie, kann die Familie zusammen bleiben”, sagt Peter.

Auch in Mados Beziehungen sind Kinder ein Thema. Gerade ist eines unterwegs: Die Ehefrau ihres Mannes ist schwanger. Das war auch so geplant, erklärt Mado. „Von ihrer Seite” sollen ebenfalls Kinder dazukommen. „Dass mein Mann und ich zusammen Kinder wollen, steht fest, seit wir zusammen sind”, sagt sie. Geplant sei eine Familie, in der alle Erwachsenen langjährige Bezugspersonen für die Kinder sind. Um ihnen „einen sicheren Hafen” und ein stabiles Umfeld zu bieten.

Ich möchte wissen, ob mein Mann Sex mit seiner Freundin hat. Aber ich möchte nicht wissen wie.
Anna

Doch auch wenn sich alle Erwachsenen hierbei einig sind: Das geltende Recht ist dabei nicht auf Mados Seite. „Ich werde kein Sorgerecht für das Kind von den beiden (ihrem Mann und seiner Ehefrau, Anm. d. Red.) bekommen können, weil das Kind ja schon zwei Eltern hat. Das geht in Deutschland nicht”, erklärt Mado. Außerdem könnte es schwierig werden, wenn sie ihren Freund standesamtlich heiratet, bevor sie ein Kind mit ihrem Mann bekommt. Denn der Ehepartner ist rein rechtlich „automatisch auch der Vater”, wenn in der Ehe ein Kind zur Welt kommt.

Für Anna und ihren Ehemann sind Kinder aktuell kein Thema. Ihr Mann hätte gerne welche. Für Anna war das zu Beginn aber „nicht so der Lebensplan”. Als ihr Mann sie fragte, ob es für sie okay wäre, wenn er dann mit jemand anderem Kinder bekommen würde, kam Anna allerdings ins Grübeln. Am Ende habe sie sich dann aber gedacht: „Nein. Wenn du Kinder kriegen willst, dann mit mir und nicht mit jemand anderem.”

Gibt es in polyamoren Beziehungen Eifersucht?

Anna war es wichtig, zu heiraten, sagt sie. „Ich brauche einen Partner, bei dem ich weiß, dass ich die Nummer eins bin. Dass ich Priorität habe und dass andere zurückstecken müssen, wenn ich etwas brauche.” Mit so einer „Hauptpartnerschaft” funktioniere es für sie gut. Auch ihren Freund, der in Köln lebt, liebe sie sehr, erklärt Anna. „Aber die beiden Beziehungen unterscheiden sich total.”

Eifersüchtig sei sie genau so wie Menschen in monogamen Beziehungen, sagt Anna. Dabei gehe es aber nicht um die Liebe oder um Sex, sondern um Zeit. Manchmal sei es für sie okay, wenn ihr Mann Zeit mit seiner Freundin verbringe. Aber wenn es ihr gerade nicht gut gehe und ihr Mann sei nicht da, sei sie manchmal eifersüchtig. Manchmal helfe es aber, einfach ausreichend miteinander zu reden, räumt Anna ein.

Aber auch die Grenzen von Kommunikation müssten für alle Partner klar sein: „Ich möchte wissen, ob mein Mann mit seiner Freundin Sex hat. Aber ich will zum Beispiel nicht wissen wie”, erklärt Anna. Bei ihrem Mann sei das anders. Er würde am liebsten alles erzählen und alles von ihr wissen.

Außerdem sei ein Problem, dass ihrem Mann und ihr manchmal dieselbe Person gefalle, weil Anna bisexuell ist. „Ich bin dann manchmal auch ein wenig neidisch”, gibt sie zu.

Laut einer Yougov-Umfrage aus dem Jahr 2016 war fast ein Fünftel der Menschen unter 30 Jahren schon einmal mit dem Wissen des Partners außerhalb der Beziehung sexuell aktiv.

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Warum nicht einfach monogam?

Eifersucht, enttäuschte Partner, unsichere Rechtslage: Wäre es da nicht einfacher, eine monogame Beziehung zu haben? Für Mado, Anna, Verena und Peter ist eine exklusive Beziehung mit nur einem Menschen keine Option.

„Es liegt an den Besitzansprüchen, die jemand auf mich erheben würde”, erklärt Anna. Sie kenne sich inzwischen gut genug, um zu wissen, dass das nicht funktionieren würde.

Auch Mado ist sich sicher: „Ich kann nicht mit einem Menschen glücklich sein, der will, dass ich monogam lebe. Ich hätte keine Lust, mich so einschränken zu lassen.” Natürlich sei es an manchen Stellen komplizierter, ein polyamores Leben zu führen. Es gebe einfach viel mehr Menschen, die man organisieren müsse, erklärt Mado. „Aber ich möchte keinen der Menschen in meinem Leben missen und sehe keinen Grund, etwas zu ändern.”

Evolutionsbiologen der University of Texas haben herausgefunden, dass die Veranlagung zur Monogamie in den Genen liegt. Die Monogamie, die uns in den Genen steckt, ist aber den Forschern zufolge eine andere als die, die in klassisch-monogamen Beziehungen in der Gesellschaft gelebt wird: Im Tierreich gilt eine Art bereits als monogam, wenn Tiere sich während einer Paarungszeit „treu bleiben” und gemeinsam die Jungen aufziehen - und danach wieder andere Partner haben.

Manche Dinge ändern sich aber manchmal trotzdem, wenn Menschen sich dafür entscheiden, polyamor zu leben. Zum Beispiel die Beziehung zur Familie oder zu Freunden, die mit der polyamoren Neigung nicht oder nur schwer zurechtkommen.

„Ich habe viele Freundschaften mit Männern nicht mehr, weil ihre Freundinnen das doof fanden, dass ich polyamor bin”, sagt Anna. Polyamorie werde oft mit „Schlampentum” gleichgesetzt, erklärt sie. Aber so sei es nicht. „Ich liebe die Menschen, die ich liebe und nicht automatisch jeden, der gerade vorbeiläuft.”

Das kennt auch Mado. „Wenn Leute erfahren, dass ich poly bin, wollen sie mich manchmal nicht mehr mit ihrem Freund allein lassen”, sagt sie. Dabei nehme sie ja niemandem den Partner weg.

Polyamorie: Nicht die Norm, aber ganz normal

„Ich würde mich freuen, wenn Polyamorie einfach als etwas akzeptiert wird, das neben monogamen Beziehungen koexistiert. Als etwas, das okay ist”, sagt Mado. „Ich bin ein ganz normaler Mensch, der höchstens, wenn du mich zu deiner Hochzeit einlädst, mit zwei Menschen kommt.”

Natürlich werde sie immer wieder gefragt, ob polyamore Menschen denn überhaupt eine gute Beziehung führen könnten – „bei den vielen Menschen”. Inzwischen hat sie darauf eine gute Antwort: „Klar kann ich eine gute Beziehung haben. Viele davon.”

In Karlsruhe gibt es zwei Polyamorie-Stammtische , die polyamore Menschen und Interessierte besuchen können. Die Termine werden auf der Website oder in der Facebook-Gruppe bekannt gegeben.

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