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Prof. Riklef Rambow (KIT)

Viele Menschen finden moderne Architektur nicht kuschelig

Wie politisch ist Architektur? Viele Laien empfinden moderne Bauwerke karg und fordern Rekonstruktionen von zerstörten historischen Gebäuden. Der Ton zwischen ihnen und Fachleuten, die dies ablehnen, wird vor allem im Internet rauer. Rekonstruktionen werden in Verbindung mit rechtsradikaler Gesinnung gebracht. Riklef Rambow, Professor für Architekturkommunikation am Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) erklärt im Interview, was schief läuft.

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Riklef Rambow ist Professor für Architekturkommunikation am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Foto: Ulrich Coenen

Im Jahr des Bauhaus-Jubiläums spitzt sich ein Konflikt zu, der bereits länger schwelt. Viele Menschen empfinden moderne Architektur als karg und kalt und fordern - zum Teil mit Erfolg - Rekonstruktionen von historischen Bauwerken, die im 2. Weltkrieg untergegangen sind. Der Ton zwischen ihnen und den Fachleuten, die dies ablehnen, wird vor allem in den sozialen Netzwerken im Internet zunehmend rauer. Unser Redaktionsmitglied Ulrich Coenen sprach mit Riklef Rambow, Psychologe und Professor für Architekturkommunikation an der Fakultät für Architektur des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), über dieses Phänomen.

Sentimentale und nostalgische Neigungen

Wieso wünschen sich die Menschen Rekonstruktionen alter Bauwerke und ganzer Straßenzüge?

Rambow: Dieses Bedürfnis ist zweifellos in weiten Teilen der Bevölkerung vorhanden und als sentimentale und nostalgische Neigung auch relativ leicht zu aktivieren. Die Menschen besuchen im Urlaub Altstädte, fühlen sich dort wohl, und haben den Eindruck, dass es in moderner Architektur nicht so kuschelig ist. Das geht mit dem Gefühl einher, dass die Architekten damals „noch bauen konnten“. Ich finde das per se nicht verwerflich und in Teilen nachvollziehbar. Ich verstehe aber natürlich auch die Fachleute, die darauf hinweisen, dass man auf diese Weise nicht die Stadt der Gegenwart und der Zukunft bauen kann.

Fast hysterische Ablehnung

In Frankfurt wurde im vergangenen Jahr die „Neue Altstadt” in weitgehend historischen Formen vollendet, in Berlin steht die Rekonstruktion des Stadtschlosses vor der Fertigstellung. Die Initiatoren feiern dies, Experten reagieren ablehnend.

Rambow: Ich persönlich hätte die „Neue Altstadt” an dieser Stelle nicht gebraucht. Sie ist aber, der fast hysterischen Ablehnung einiger Fachleute zum Trotz, kein Drama. Es geht um die Größe von etwa zehn Fußballfeldern. Ich sehe dort eine große Vielfalt von architektonischen Lösungen, interessante Wegeverbindungen und Räume, die von sehr unterschiedlichen Menschen genutzt und mit Neugier wahrgenommen werden. Vor allem hat dieses Projekt für ein unglaublich großes Interesse an Architektur, Stadtplanung und Stadtgeschichte gesorgt. Das finde ich sehr positiv.

In gewisser Weise geschichtsvergessen

In Berlin ersetzt das rekonstruierte Stadtschloss den Palast der Republik, ein Hauptwerk der DDR-Architektur. In Frankfurt ist an die Stelle des Technischen Rathauses aus den frühen 1970er Jahren die „Neue Altstadt” getreten. Macht das Sinn?

Rambow: Das muss man differenziert sehen. Das Technische Rathaus war nie ein gutes Gebäude und schon während seiner Erbauung umstritten. Es fügte sich bewusst nicht in den städtebaulichen Kontext ein und war in gewisser Weise geschichtsvergessen. Der Palast der Republik war zweifellos ein wesentliches Werk der ostdeutschen Architekturgeschichte, steht aber auch für den Größenwahn dieses Systems. Ihn hätte ich persönlich gern erhalten gesehen.

Man muss diese Initiativen ernst nehmen

Organisationen wie zum Beispiel „Stadtbild Deutschland“ fordern weitere Rekonstruktionen, beispielsweise des Anhalter Bahnhofs oder der Synagoge in Kreuzberg (beide Berlin). Oft handelt es sich um Bauten aus dem 1918 untergegangenen Kaiserreich.

Rambow: Man muss jede Diskussion für sich betrachten. Wenn eine Initiative viel Zeit und Energie in ein solches Projekt investiert, muss man sie grundsätzlich ernst nehmen. Es sind dann gute Gegenargumente erforderlich. Eines kann sein, dass das moderne Gebäude, das an dieser Stelle steht, erhaltenswert ist. Es ist wichtig, diese Fragen offen zu diskutieren, und sich nicht gegenseitig ideologische Verblendung und niedere Motive vorzuwerfen.

Rettet die Betonmonster

Auf der anderen Seite gibt es inzwischen Internet-Projekte wie „Big Beautiful Buildings“, die sich für die Nachkriegsmoderne engagieren. In diesem Kontext ist auch die Ausstellung „SOS Brutalismus - Rettet die Betonmonster!“ im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt 2018 zu nennen.

Rambow: „Big Beautiful Buildings“ ist eine äußerst interessante Initiative. Ich hoffe, dass damit viele Menschen erreicht werden und dass dies der teilweise pauschalen Kritik an der Nachkriegsarchitektur entgegenwirkt. Ich warne aber davor, alle großen Bauwerke der 1970er Jahre unter Schutz zu stellen, unabhängig davon, ob sie ihre Aufgabe heute noch angemessen erfüllen. Solche Forderungen von Experten können leicht das Gegenteil bewirken, wenn die Bürger glauben, dass die Fachleute nur ihre eigenen Interessen verfolgen.

Werden Fehler wiederholt?

Bis zu Beginn der 1980er Jahre wurden Bauwerke aus der Zeit um 1900, die heute gefeiert werden, als nicht erhaltenswert rücksichtslos und in großer Zahl abgerissen. Laufen wir nicht Gefahr, diesen Fehler mit der Nachkriegsmoderne zu wiederholen?

Rambow: Es hat eine Umbewertung des Historismus stattgefunden, das stimmt. Das heißt aber nicht, dass das bei allen anderen Epochen auch so sein wird. Städte sind dynamisch, wir müssen deshalb nach heutigem Wissen auswählen, was erhaltenswert ist und was nicht.

Rechtsradikales Gedankengut in der Frankfurter Alstadt?

Stephan Trüby, Professor für Architekturtheorie an der Universität Stuttgart, hat am 8. April 2018 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung die „Neue Altstadt” in Zusammenhang mit rechtsradikalem Gedankengut gebracht.

Rambow: Ein komplexes Thema. Ganz kurz: Ich halte Trübys Kritik inhaltlich für überzogen. Ich empfinde sie als polemisch, und sie hat der Diskussion nicht genützt.

Architektur und Politik

Nun wissen wir aber seit der Habilitationsschrift von Günter Bandmann 1949, dass Architektur ein Bedeutungsträger ist. Kann Architektur überhaupt unpolitisch sein?

Rambow: Hoffentlich hat jede Architektur eine Bedeutung. Welche es ist, muss jeweils verhandelt werden. Die politische Bedeutung des barocken Stadtgrundrisses von Karlsruhe ist nirgendwo festgeschrieben und für den Laien auch nicht unmittelbar ablesbar. Wichtig ist: Auch wenn Architektur politisch ist, ist dies nur eine Bedeutungsebene unter mehreren. Menschen wollen – völlig zu Recht – sich in Architektur und Stadt auch wohlfühlen, sie nach ihren Bedürfnissen nutzen, und Gebäude schön finden.

Rückkehr zum respektvollen Diskurs

Dürfen das Rekonstruktionen sein?

Rambow: Meines Erachtens ja. Sie können im Einzelfall zu Vielfalt und Qualität beitragen. Es gibt immer mehr als nur eine Lösung für die Stadt. Vielleicht ein Promille aller Neubauten sind aktuell Rekonstruktionen. Ich hoffe, dass wir zu einem respektvollen Diskurs zurückkehren.

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