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Sarah Sandeh

Neue Schauspielerin am Staatstheater Karlsruhe: "Ich brauche keinen tosenden Beifall"

Künstlerische Radikalität interessiert sie mehr als Konsens-Theater: Sarah Sandeh gehört seit Saisonbeginn zum Ensemble des Badischen Staatstheaters Karlsruhe. In der Inszenierung "Passion" hat sie sich hier eindrucksvoll vorgestellt. Doch so sehr sie diese Aufführung schätzt, so kritisch sieht sie die Neigung anderer Stücke, das Publikum in seiner Weltsicht zu bestätigen.

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Theater soll nicht nur gefallen, sondern auch etwas auslösen, findet Sarah Sandeh. Die Schauspielerin ist seit dieser Saison am Badischen Staatstheater Karslruhe engagiert. Foto: Mathias Bothor

Applaus, so heißt es, ist das Brot des Künstlers. Doch daraus sollte man nicht schließen, dass Kunst immer nur gefallen will. „Ich brauche keinen tosenden Beifall“, betont Sarah Sandeh, seit dieser Spielzeit Schauspielerin im Ensemble des Staatstheater Karlsruhe.

„Wichtiger ist mir, dass bei einer Aufführung etwas passiert zwischen dem Zuschauerraum und mir. Und dass die Aufführung etwas auslöst.“  Das ist mit der ersten Produktion, in der sie in Karlsruhe zu sehen ist, offenkundig gelungen.

In der Ingmar-Bergman-Collage „Passion – Sehnsucht der Frauen“ spielt sie Rakel, eine junge Mutter, die durch den Verlust ihres kleinen Kindes aus dem seelischen Gleichgewicht gerät und in ihrer Verzweiflung den Tod sucht.  „Da spüre ich schon, dass dieser Teil des Stücks für manche Zuschauer schwer auszuhalten ist.

Nicht, weil sie es schlecht finden, sondern weil es ihnen zu nahe geht“, so ihre Erfahrung. „Ein Nachgespräch hierzu hatten wir noch nicht, aber ich habe wegen dieser Rolle schon Post bekommen – etwa einen Brief, für den sich jemand eine Woche nach der Vorstellung hingesetzt hat, um zu schreiben, was ihn bewegt.“

Interesse an Radikalität

Das wiederum bewegt Sandeh, und es bestätigt sie in ihrer Entscheidung, nach Stationen in Berlin, Frankfurt, Hamburg und Zürich nun nach Karlsruhe zu wechseln. „Es gab private Gründe, hierher zu kommen, und die Perspektive, mit Anna Bergmann zu arbeiten“, sagt sie über die Karlsruher Schauspieldirektorin, die „Passion“ auch inszeniert hat. „Sie hat in dem, wofür sie steht, eine Radikalität, die ich interessant und wichtig finde.“

Damit meint Sandeh nicht nur das so genannte „Feminat“ – Anna Bergmanns bundesweit beachtete Ankündigung zum Amtsantritt, vorerst nur mit weiblichen Regiekräften zu arbeiten. „Wichtig ist das schon, aber nicht, damit jetzt nur noch Frauen inszenieren und nur noch Frauen spielen, sondern damit überhaupt erst mal ein Gleichgewicht hergestellt wird. Und da ist ein solcher Ansatz einfach ein Statement, das wirklich etwas bewegt“, befindet Sandeh.

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IMAGE-449356 Foto: N/A

Sandeh ist gegen einfache Lösungen

Noch mehr aber interessiert sie die künstlerische Radikalität der Spartenleiterin. „In ’Passion’ gibt es für mich eine sehr schöne Mischung aus Unfreiheit und Freiheit“, sagt sie. „Es gibt eine Partitur, an die ich mich natürlich halte, aber ich reagiere an dem Abend sehr viel. Ich gebe mich da wirklich hin – man könnte sagen: Es spricht mich, es weint mich und es lacht mich. Deshalb bin ich jedesmal aufgeregt, wenn ich in diesen Abend gehe. Es ist immer eine Unsicherheit da, und gerade das ist eine Qualität dieser Inszenierung.“

Was Sandeh am Theater weniger schätzt, ist die Neigung zu einfachen Botschaften und klaren Haltungen. Und es gehört zu ihrem engagierten Blick, dass sie nicht verschweigt, mit ihrer zweiten Karlsruher Produktion inhaltliche Probleme zu haben. In „Frauensache“, einem Auftragswerk des Autorenduos Lutz Hübner / Sarah Nemitz, spielt sie die syrische Praxishelferin einer alternden Frauenärztin, deren potenzielle junge Nachfolgerin sich als rassistische Rechtspopulistin erweist.

Sie habe Schwierigkeiten mit Stücken, die das Publikum in dem bestätigen, was es schon weiß, so Sandeh. „Denn es gibt eine große Sehnsucht in uns allen, gut zu sein. Und die wird hier und in vielen anderen gegenwärtigen Stücken erfüllt, indem man dem Zuschauer vermittelt, schon auf der richtigen Seite zu stehen.“

Das Ziel sind Denkprozesse

Wobei Sandeh diese Sehnsucht nicht verurteilt: „Ich spüre ja selber den Wunsch nach einfachen Lösungen, aber die können wir nun mal nicht liefern.“ Spannender fände sie es, Denkprozesse anzustoßen: „Über die Mechanismen rechter Propaganda kann man sich auch in einer Dokumentation informieren. Wir als Theater müssten weitergehen und fragen: Wo ist denn der Schlechte gut und der Gute schlecht? Und wo stoßen meine eigenen Kategorien an die Grenzen?“

Der Überzeugung, mit Theater etwas in Bewegung setzen zu können, ist die 1980 in Darmstadt geborene Darstellerin auf ihrem Berufsweg mehrmals gefolgt, etwa in ihrem ersten Festengagement ab 2008 bei Sebastian Hartmann am Centraltheater Leipzig: „Da sind wir in einer autonomen Spielstätte mit der Ansage, jeden Abend was zu zeigen, an unsere Belastungsgrenzen gekommen. Dort haben wir zwar nicht viel Publikum erreicht, aber es hat innerhalb des Ensembles einen Geist geschaffen, mit dessen Energie wir dann auch im Großen Haus die Hütte vollgekriegt haben.“

"Manches fügt sich eben"

Ähnliches habe sie in Zürich am Theater Neumarkt erlebt. „Es ist nicht nur Zufall oder Glück, wo und mit wem man arbeitet. Manches fügt sich eben“, sagt Sandeh. So wie ihre Berufswahl: Sie könne nicht im Nachhinein erklären, warum sie Schauspielerin werden wollte: „Da würde ich aus heutiger Sicht eine Kausalität konstruieren, die es zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht gab.“

Aber sie habe nach Abschluss ihrer Ausbildung Details über die Biografie ihres Vaters in Iran erfahren, die sie zuvor nicht gewusst habe, die aber große Berührungspunkte mit ihrer Entscheidung fürs Theater hätten. „Da ist mir klar geworden: Das fängt nicht mit mir und meiner Individualität an.“ Deshalb habe sie ein besonderes Faible für Theateraufführungen, die von der Verbindung der Gegenwart mit der Vergangenheit erzählen. „Uns muss klar sein: Es ist alles schon mal da gewesen.“

Termine

„Passion“ am 27. Dezember; 11., 24. und 31. Januar; 20. Februar; 18. März. „Frauensache“ am 9. und 22. Januar; 1. und 21. Februar; 19. und 28. März. www.staatstheater.karlsruhe.de

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