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Herausforderung für die Konzentration

Sitzen und in die Gegend starren - wie Technik in Lkw das Fahren verändert

Moderne Lkw sind voller Technik, die den Fahrer unterstützen soll. Doch ist sie wirklich auf dessen Bedürfnisse zugeschnitten? Unterwegs in einem Fahrzeug der neuesten Generation.

Der Lkw-Fahrer Frank Nebesky steuert seinen Actros zurück nach Östringen zur Spedition Rothermel.
Ein Mann, viel Technik: Frank Nebesky am Steuer seines Lkw. Foto: Markus Pöhlking

Es ist 5 Uhr morgens in Östringen auf dem Gelände der Spedition Rothermel. Frank Nebesky ist schon fit und das ist auch ganz gut so, denn die nächsten 9 Stunden wird er einen 40-Tonner über die Autobahnen Nordbadens steuern. Und vor allem wird er viel Zeit mit Nichtstun verbringen.

Seit mehr als 25 Jahren fährt Nebesky Lkw – mal im Fernverkehr, mal auf Kurzstrecken, so wie heute. In dieser Zeit hat immer mehr Technik Einzug gehalten in die Fahrzeuge. Seit gut zwei Wochen steuert Nebesky einen Actros der neuesten Generation. Im Grunde könnte er sich die nächsten Stunden zurücklehnen und das Fahrzeug machen lassen. „Das ist schon ein geiler Wagen“, sagt Nebesky, „man muss sich aber schon dran gewöhnen, wie er funktioniert.“

Die Fahrzeuge können mehr, als viele Fahrer wissen

Tatsächlich, sagt Frank Diermeyer, könne ein moderner Lkw wahrscheinlich deutlich mehr, als viele Fahrer eigentlich wissen. Diermeyer forscht an der Technischen Universität München zum automatisierten Fahren. „Es bräuchte eigentlich deutlich mehr Schulungen zu Funktion und Wirkung von Assistenzsystemen”, sagt er. Fahrer müssten dabei auch lernen, in bestimmten Verkehrssituationen nicht instinktiv zu reagieren, sondern die Funktionsweisen der Technik in Entscheidungen miteinzubeziehen.

Frank Nebesky sagt, als er in seinen Lkw eingewiesen wurde, habe man gesagt: Im Zweifel und bei Unklarheiten einfach bis auf den Notbremsassistenten und den Tempomat alles abschalten. „Generell wächst man halt so rein in die Technik und lernt von Modell zu Modell ein bisschen was dazu.”

Der Actros, den er fährt, ist das Flaggschiff aus Daimlers Lkw-Sparte. Das jüngste Modell verwirklicht alle Anforderungen für das sogenannte „teilautonome Fahren“. Daimler-Trucks entwickelt seine Fahrzeuge in der Erwartung, dass es früher oder später vollautonomes Fahren geben wird.

Das Computer kümmert sich um alles

Der Lkw berechnet selbstständig, mit welcher Geschwindigkeit er die nächste Kurve nehmen muss und bremst das Fahrzeug entsprechend ab. Der Bordcomputer weiß, ab welchem Punkt einer Steigung der Lkw kein Gas mehr geben muss, um dennoch den Scheitelpunkt ungefähr mit Richtgeschwindigkeit nehmen zu können.

Und natürlich weiß er auch, ab welchem Moment bei der anschließenden Abfahrt der Motor wieder eingreifen muss, um den Lkw auf Geschwindigkeit zu halten. Das hilft, Sprit zu sparen – und Emissionen zu vermeiden.

Nebeskys erstes Ziel an diesem Tag ist ein Unternehmen bei Bad Rappenau. Er muss dort Verpackungsmaterial abholen und zu einem Unternehmen bei Heidelberg transportieren. Auf dem Weg zur A6 passiert er ein enges Dorfzentrum, früh am Morgen ist dort noch nichts los. Er nimmt kurz die Hand vom Steuer, lässt das Fahrzeug machen. Es steuert selbstständig die enge Straße entlang, bremst bei Hindernissen ab.

Später, auf der Autobahn, könnte Nebesky dann eigentlich vollends die Hände in den Schoss legen. Der Actros überwacht die Abstände zu anderen Fahrzeugen. Es gibt einen Assistenten, der den Lkw in der Spur hält, auch Lenkbewegungen kann der Lkw selbstständig machen. Sollte doch etwas Unvorhergesehenes geschehen, kann ein Notbremsassistent das Fahrzeug bis zum Stillstand runterbremsen.

Weil die Technik mittlerweile so viel übernimmt, muss man aber schon aufpassen, die Konzentration hochzuhalten. Man hat schon häufig den Impuls, sich irgendwie abzulenken
Frank Nebesky, Lkw-Fahrer

Der Bremsassistent, so das Versprechen, würde sogar einen Fußgänger erkennen, der unvermittelt auf die Straße tritt und dann eine Vollbremsung einleiten.

Eigentlich ist nicht viel zu tun

Aus Fahrersicht seien die Systeme grundsätzlich immer besser geworden, sagt Nebesky. Anders als früher störten Eingriffe der Systeme den Fahrfluss heute kaum noch.

Smart - aber auch praktisch? Im Fahrerhaus moderner Lkw treten Touchscreens an die Stelle des klassischen Armaturenbretts.
Smart - aber auch praktisch? Im Fahrerhaus moderner Lkw treten Touchscreens an die Stelle des klassischen Armaturenbretts. Foto: Markus Pöhlking

Nebesky hat mittlerweile in Bad Rappenau seine Fracht aufgenommen und ist nun unterwegs Richtung Heidelberg. Der Lkw fährt konstant 80 Km/h. Auf der linken Spur überholen gelegentlich Autos. Schert eines zu knapp vor Nebesky ein, reduziert der Lkw kaum merkbar die Geschwindigkeit, bis der Abstand wieder groß genug ist. Ansonsten passiert über viele Kilometer wenig.

Eigentlich hat Nebesky nichts zu tun.

„Weil die Technik mittlerweile so viel übernimmt, muss man schon aufpassen, die Konzentration hochzuhalten. Man hat häufig den Impuls, sich irgendwie abzulenken”, sagt er.

Sollte aber dennoch irgendwas Unerwartetes passieren, muss er auf den Punkt da sein und eingreifen können. Aller Technik zum trotz trägt er die alleinige Verantwortung für das Fahrzeug - und müsste im Falle eines Unfalles die rechtlichen Konsequenzen tragen.

Dösen und in die Gegend starren

Frank Diermeyer von der TU München sieht dahinter ein generelles Problem, das künftig wohl noch größer werden dürfte: „Die Fahrer sind natürlich Profis und in der Praxis einiges gewohnt”, sagt er. Aber: „Gerade bei höheren Automatisierungsstufen ist der Mensch eigentlich nur noch Überwacher technischer Systeme, was der Konzentration nicht gerade zuträglich ist.”

Zumal der Arbeitsalltag eines Lkw-Fahrers auch sonst nicht besonders abwechslungsreich ist: Nachdem Nebesky seine Fracht am Bestimmungsort bei Heidelberg losgeworden ist, muss er zu einem großen Reifenlager nach Philippsburg.

Es dauert Stunden, bis der Lkw beladen wird. Im Inneren der gigantischen Halle gibt es einen Kaffeeautomaten. Nebesky kann auf dem Hof auf und ab gehen, in die Botanik und auf das Smartphone starren oder im Fahrersitz vor sich hin dösen - bis es dann irgendwann weiter geht.

Im Armaturenbrett des Actros sind zwei Touchscreens verbaut, über die sich praktisch sämtliche Komponenten des Fahrzeugs einstellen oder überwachen lassen. Wenn Nebesky Belüftung oder Tempertatur regulieren oder den Reifendruck prüfen will, wischt er sich durch die Menüs. Seine Augen ruhen dann immer ein paar Sekunden auf dem Touchscreen. „Manche Sachen wie das Licht lassen sich nur darüber steuern”, erklärt Nebesky. Das sei nicht unbedingt eine Verbesserung, findet er. „Früher per Schalter hat man sich auch einfach blind zurecht gefunden.”

Beim Einparken praktisch, beim Einfädeln schwierig

Zwei Bildschirme machen zudem auch ein charakteristisches Merkmal des neuen Actros aus: Der Lkw hat nämlich keine Außenspiegel. Stattdessen erfassen zwei Kameras je Seite das Geschehen neben und hinter dem Fahrzeug. Was sie erfassen, zeigen zwei dünne, längliche Bildschirme im Inneren.

Keine Tiefenschärfe, kein toter Winkel: Statt Spiegeln erfassen beim neuesten Actros Kameras das Geschehen neben und hinter dem Fahrzeug.
Keine Tiefenschärfe, kein toter Winkel: Statt Spiegeln erfassen beim neuesten Actros Kameras das Geschehen neben und hinter dem Fahrzeug. Foto: Markus Pöhlking

„Praktisch, wenn man mit einem Auflieger rückwärts einparken muss”, erklärt Nebesky. Eine kalibrierte Linie zeigt dann nämlich automatisch an, bis zu welchem Punkt er zurücksetzen kann. „Weniger praktisch, wenn man zum Beispiel auf eine Autobahn einfädeln muss”, fügt er hinzu.

Anders als ein klassischer Spiegel ermöglichen die Bildschirme nämlich keine Tiefensicht, Distanzen sind deutlich schwerer abzuschätzen. „Speziell im Dunkeln muss man damit schon aufpassen.” Andererseits: Der tote Winkel ist durch die Technik praktisch aufgehoben.

Vorteile und Nachteile gleichermaßen also - durchaus symptomatisch für Assistenzsysteme, sagt Wissenschaftler Frank Diermeyer: „Es gibt natürlich auch Bereiche, in denen die Systeme für den Fahrer vielleicht nicht immer eine Unterstützung sind.” Durch ihre Weiterentwicklung, sagt er „kommt unterm Strich aber immer was Positives raus.”

Die letzte Tour des Tages führt Nebesky nach Bruchsal, wo die geladenen Reifen an einen Großhändler gehen. Erneut langes Warten, bis sich ein Mitarbeiter erbarmt, den Auflieger außer der Reihe zu entladen.

Nebesky steuert den Lkw zurück nach Östringen. Feierabend. Der Tag hatte seine Längen, Nebesky wirkt aber immer noch fit - trotz der Technik also. Vielleicht ja aber auch gerade ihretwegen.

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