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Reporter Heidemann zum Skandal

So fälschte Konrad Kujau Hitler-Tagebücher

Vor 36 Jahren hat Konrad Kujau den größten Medienskandal Deutschlands ausgelöst. Marc-Oliver Boger hat dem Meisterfälscher in Bietigheim-Bissingen ein Museum gewidmet. Der ehemalige Stern-Reporter Gerd Heidemann erklärt in den BNN, wie er auf Kujau hereinfiel.

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Marc-Oliver Boger zeigt in seinem Kujau-Kabinett in Bietigheim-Bissingen, wie der „Stern“ auf die gefälschten Hitler-Tagebücher herein fiel und dass Konrad Kujau noch weitaus mehr Werke gefälscht hat. Foto: Raviol
Vor 36 Jahren hat Konrad Kujau den größten Medienskandal Deutschlands ausgelöst. Marc-Oliver Boger hat dem Meisterfälscher in Bietigheim-Bissingen ein Museum gewidmet. Der ehemalige Stern-Reporter Gerd Heidemann erklärt in den BNN, wie er auf Kujau hereinfallen konnte.

Marc-Oliver Boger möchte am früheren Haus des Meisterfälschers nur kurz halten. Am Ende einer Sackgasse in Bietigheim-Bissingen, hinter hohen Bäumen und Büschen, in einem leicht gelblichen, unscheinbaren Haus, hat Konrad Kujau gelebt. Der Mann, der Hitler-Tagebücher gefälscht und 1983 den größten Medienskandal Deutschlands ausgelöst hat.

Gerd Heidemann, früherer Starreporter des „Stern“, reiste damals aus Hamburg an, um sich an Hausnummer 10 neue Hitler-Tagebücher abzuholen. Verzweifelt hat Heidemann hier mit beschlagener Brille das Klingelschild Kujaus gesucht, erzählt Boger und zeigt auf das metallene Eingangstürchen.

Voller Faszination ein Museum über den Fälscher eröffnet

Doch Kujau hat damals nicht nur Heidemann und das Magazin „Stern“ um den Finger gewickelt – der 2000 verstorbene Künstler fasziniert auch am 25. April 2019 noch, dem Jahrestag der Fälschungen. Boger gilt als bester Kujau-Experte, er ist wohl auch sein größter Verehrer. Der 42-Jährige hat in Bietigheim-Bissingen ein Museum über Kujau eröffnet.

In der 42 000-Einwohner-Stadt nördlich von Stuttgart hat der Meisterfälscher gelebt, hier wohnt auch Boger. Man muss durch sein Museum gehen, um nachvollziehen zu können, wieso ein Krimineller auf manche Menschen so eine faszinierende Wirkung ausübt.

Heidemann hatte die Story seines Lebens gewittert

Der Raum mit breiter Glasfassade wirkt absurd modern angesichts der Exponate, die sich teilweise auf das 17. Jahrhundert beziehen. Am Eingang des Kujau-Kabinetts klebt ein großer roter Stern auf dem Boden mit weißer Schrift: „Achtung Fälschung!“ Seine wichtigste Vitrine, sagt Boger, steht gleich daneben – mit einem originalen „Stern“-Magazin vom 28. April 1983. Titel: „Hitlers Tagebücher entdeckt“.

Es ist die Ausgabe, die Heidemanns Karriere beendete und den „Stern“ in eine tiefe Krise stürzte. „Heidemann hatte die Story seines Lebens gewittert – danach aber nie wieder einen Fuß auf den Boden bekommen“, sagt Boger. Er hat vor eineinhalb Jahren ein Museum über den Mann eröffnet, der Heidemann zu Fall brachte. „Er hat mir aber Glück für mein Museum gewünscht“, sagt Boger. Aus Respekt zeigt er in seinem Museum kein Foto des ehemaligen Reporters.

Der "Stern" zahlte 9,3 Millionen D-Mark

Der 87-Jährige lebt in einer Zwei-Zimmer-Wohnung in Hamburg. 67 Quadratmeter – genau so groß wie sein Archiv. Jeden Tag ist er hier, fährt mit seinem E-Roller durch die Reihen, heftet Fotos ab, sucht Daten heraus. In 8 000 Ordnern sammelt Heidemann Fotos und Dokumente von Christi Geburt bis ins Jahr 2000. „Ich weiß alles über jeden Tag im Dritten Reich“, sagt Heidemann.

Verarbeitet er damit die größte Niederlage seines Lebens? „Das kann ich nicht verarbeiten, das kommt immer wieder hoch.“ Als er über sein Archiv spricht, klingt aber der alte Reporterstolz raus: „Ich habe Sachen, die sonst in keinem Archiv zu finden sind.“

Starreporter fühlt sich immer noch betrogen

Immer wieder kommen Studenten oder Journalisten in sein Archiv. Zuletzt arbeitete der „Stern“ die Geschichte mit einem Podcast auf. Heidemann fühlt sich darin falsch dargestellt. „Ich bin auf die genauso reingefallen wie auf Kujau“, sagt er. Ob er nicht doch Teile der 9,3 Millionen D-Mark, die der „Stern“ Kujau für die Bücher zahlte, unterschlagen habe, blieb im Podcast offen. Der ehemalige Starreporter fühlt sich auch 36 Jahre nach dem Skandal betrogen – vom Gericht, dem „Stern“, und natürlich von Kujau.

So ist das Leben eben. Man braucht immer einen Sündenbock

Lange hat er bei Kujau um die Tagebücher gebuhlt. „Von ihm war ich furchtbar enttäuscht. Ich dachte, es ist eine Freundschaft.“ Dass die Bücher gefälscht waren, erfuhr Heidemann am 6. Mai 1983 im Radio, er war auf der Autobahn unterwegs. Später wird er erzählen, dass er sein Auto gegen einen Brückenpfeiler lenken wollte, wenn denn einer gekommen wäre. Der „Stern“ lässt ihn fallen, Herausgeber Henri Nannen erstattet Anzeige gegen Heidemann. Heute sagt er: „So ist das Leben eben. Man braucht immer einen Sündenbock.“

Er muss sich noch immer gegen den Vorwurf wehren, er habe Geld unterschlagen. Heidemann sieht sich als Opfer und betont seine Unschuld: „Das ist wirklich die Wahrheit.“

Heidemann hat für den „Stern“ von 13 Kriegen berichtet, er war der Mann für die großen Geschichten. Er sprach exklusiv mit dem Kapitän des entführten Landshut-Flugzeugs, fand die 17-jährige Juliane Koepcke, die einen Flugzeug-Absturz über dem peruanischen Regenwald als einzige von 92 Passagieren überlebte. „Die Weltpresse war hinter ihr her – ich habe sie exklusiv bekommen“, sagt Heidemann.

Selbst in der Haft glaubt Heidemann noch an die Echtheit

Dann kam Kujau. Karriereende. Nach der Haft wollte Heidemann Kujau nie wieder sehen. Zwei Jahre lang hatte der Reporter den Sammler umworben, um an die Sensationsgeschichte zu kommen. Als die Fälschung nachgewiesen wurde, rief er Kujau an: „Conny, was ist los?“ Der seufzte – und log ihn wieder an.

Selbst in der Haft glaubt Heidemann noch an die Echtheit der Bücher. Solange, bis ihm ein Wärter im Gefängnis Hamburg-Fuhlsbüttel seine Beförderungsurkunde zum Gefängnisdirektor unter die Nase hielt. Unterschrieben von Adolf Hitler. Kujau saß ein paar Zellen weiter.

Nach seiner Haft fälschte Kujau weiter

Marc-Oliver Boger hat sich eine originale Gefängnistür aus Hamburg-Fuhlsbüttel gesichert. Sie ist der Eingang zum dunkelsten Teil seines Museums. In einem kleinen dunklen Raum zeigt er Briefe und Urkunden, die Kujau gefälscht hat. In der Ecke, im Dunkeln, eine Uniform aus dem Ersten Weltkrieg, die Hitler getragen haben soll.

Dieser Fall erklärt, wie Kujau gearbeitet hat: Um seine Glaubwürdigkeit zu erhöhen, fälschte er einen Brief, in dem angeblich Hitler davon schreibt, welche gute Dienste ihm diese Uniform geleistet habe, er gebe sie nun zurück. Auch bei Gemälden fälschte er zusätzlich Briefe, die die Echtheit unterstreichen sollten. Boger hat mit Bedacht nur den gefälschten Brief, nicht die Uniform ins Licht gesetzt. „Wenn man vom Dritten Reich die Schnauze voll hat, kommt man wieder ins Licht“, sagt er und öffnet die Tür des kleinen Raums.

Im Museum gibt es Sekt zu Kujaus Geburtstag

Boger verabscheut das Dritte Reich, den Fälscher Kujau verehrt er. Als elfjähriger Junge fertigte er eine Schatzkarte an und wollte sie alt aussehen lassen. Er ruft den Meisterfälscher an, der im selben Ort lebt. „Das Herz hat mir bis dahin geschlagen“, sagt Boger und fasst sich ans Kinn. Kujau, der als kinderlieb galt, rät ihm, er solle das Papier mit schwarzem Tee einreiben. Kujau fertigte nach seiner Haft – dann ganz legal und gekennzeichnet – gefälschte Kunstwerke an.

Kunden kamen zu ihm nach Hause, das Gemälde war verhüllt, zuerst gab es ein Glas Sekt. Boger bereut, nie eines gekauft zu haben. Während am 27. Juni 2018 Deutschland bei der Fußball-Weltmeisterschaft gegen Südkorea aus dem Turnier scheidet, stoßen einige Besucher in Bogers Museum mit einem Glas Sekt auf den Geburtstag von Kujau, auch „Champagner-Conny“ genannt, an.

Besucher sehen, wie die Fälschungen entstanden

Boger zeigt einen Schreibtisch mit orginalem Werkzeug Kujaus. Er hatte für jedes Jahrzehnt eine eigene Schreibmaschine, fertigte mit einem Mixer alte Tinte an, nahm Siegellack aus den 20er Jahren. Mit seinem Gefrierschrank und seinem Backofen ließ Kujau die Werke in Kürze altern. Zum Verhängnis wurde ihm, dass er für die Tagebücher Papier aus der DDR nahm. Gutachter attestierten die „echte Handschrift Hitlers“, später aber offenbarte das Material die Fälschungen.

Absurde Passagen in den Tagebüchern

Boger beschreibt Kujau als Lebemenschen („Wenn er mittags 1 000 D-Mark hatte, waren sie abends weg“), intelligent und gewissenlos. Er lieferte das, was die Menschen wollten. Zweifel gab es auch an seinen Hitler-Tagebüchern genug. Hatte Hitler wirklich so viele Rechtschreibfehler? Warum passen mehrere Schilderungen darin nicht zu historischen Daten? Irgendwann redeten sich Heidemann und selbst Zeitzeugen ein, dass es so gewesen sein muss.

Auch wenn es stellenweise absurd wird. So lässt Kujau Hitler schreiben, er müsse Eva Braun noch Karten für Olympia besorgen. Über den italienischen Diktator Benito Mussolini heißt es: „Nun wird dieser hochnäsige Kerl bald bei mir um Hilfe betteln.“

Über einen dritten Band von „Mein Kampf“: „Habe mir dieses Buch auch vom Verlag bevorschussen lassen. Da ich das Geld für einige Umbauten und Neuerwerbungen brauchte.“ Der Fälscher hielt alle zum Narren.

"Professor Doktor Doktor Fischer"

Boger hielt sich gerne in Kujaus Lieblingsrestaurant auf, der Fälscher duzte ihn. „Für ihn waren alle Freunde.“ Im Kreise von Wissenschaftlern gab sich Kujau aber als „Professor Doktor Doktor Fischer“ aus, um professioneller zu wirken.

Einmal, im Restaurant, bot Kujau Boger „das letzte Tagebuch“ an, für 40 000 Mark, ein Freundschaftspreis. Boger lehnte ab. Nach Kujaus Tod stellte Boger fest: In dessen Nachlass gab es drei „letzte Tagebücher“.

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