Jürgen Resch möchte 30 jungen Menschen das Naturschutzgebiet Eriskircher Ried zeigen, als das Drama seinen Lauf nimmt. Naturschutzwart Resch sieht, wie eine Singdrossel auf einem Baum am Bodenseeufer schrecklich schiefe Töne von sich gibt, verkrampft, und ins Schilf fällt. Verrenkt liegt sie da, die Zunge abgebissen. Resch nimmt den Vogel mit nach Hause, schreibt einen Artikel für die Lokalzeitung. Dann bekommt er einen Anruf: „Untersuchen Sie mal auf Endrin“, sagt ein Mann und legt auf. Nervengift.
Resch startet eine Kampagne, spricht von einer „Vergiftungswelle“, legt der Zulassungskommission verendete Mäusebussarde auf den Tisch. In Baden-Württemberg wird Endrin zuerst verboten, mittlerweile weltweit. 37 Jahre ist die Geschichte her – sie erklärt, wie Resch arbeitet. Der Geschäftsführer ist der Kopf der Deutschen Umwelthilfe (DUH), die mit großem Erfolg Diesel-Fahrverbote in deutschen Städten einklagt. Vom Magazin „Stern“ wurde er als „meistgehasster Mann Deutschlands“ bezeichnet.
DUH verfolgt fünf, sechs Fälle pro Tag
Seine Schaltzentrale liegt am Bodensee. In Radolfzell hat die DUH den Großteil ihrer Verwaltung, in Hannover den Hauptsitz, auch an der Geschäftsstelle in Berlin ist Resch anzutreffen. Gestern war Bundespressekonferenz, am nächsten Tag sitzt Resch in seinem Büro in Radolfzell. Er bekommt einen Kaffee gebracht. „Ich freue mich immer, wenn es zu einer Akte einen Kaffee dazu gibt“, sagt er. In sein Büro, drei massive Holzschreibtische, alles penibel aufgeräumt, bekommt er viele Akten gebracht. Die Gerichtsprozesse mit der DUH kann er nach 33 Jahren Amtszeit schon gar nicht mehr zählen.
Seit dieser Sache im Eriskircher Ried kämpft Resch. Gegen Politiker. Gegen die Industrie. Für die Umwelt. Dass er dafür angefeindet, sogar bedroht wird, sieht er pragmatisch: „Wer in der Küche kocht, muss die Hitze aushalten.“ Mit ihm und der DUH verbindet man vor allem den Kampf für Diesel-Fahrverbote. „Eine von 20 Branchen, die wir kontrollieren, ist die Autoindustrie – und diese eine Branche kämpft brutalst dagegen an“, sagt Resch. Sieben Mitarbeiter würden pro Tag fünf, sechs Fälle verfolgen. Sie suchen nach Fehlern. In Anzeigen von Lokalzeitungen, in Elektroläden oder in Baumärkten verschiedener Bundesländer. Angaben in falscher Größe, falscher Schrift, fehlende Angaben.
Abgemahnter Autohändler: "Das ist modernes Piratentum"
Auch Dietmar Lüders bekam Post. Er hatte mit seinem Autohaus in Sachsen-Anhalt eine Anzeige in der Lokalzeitung aufgegeben. Bei einem der Autos gab es zu wenige Angaben. Lüders bekam einen Brief der DUH. Wettbewerbsverstoß, 229 Euro. Bei Wiederholung 5 001 Euro. „Mit freundlichen Grüßen, Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer.“
„Das ist modernes Piratentum“, sagt Lüders. „Wenn man einen Fehler gemacht hat, muss es doch möglich sein, sich zu korrigieren.“ Das Problem sei die Unterlassungserklärung. „Sie bindet einen 30 Jahre lang dran, keinen Fehler zu machen. Resch hat ein Modell entwickelt, das seinem Verein Millionen bringt.“ Er habe nichts unterschrieben.
DUH-Chef spricht ungern über Bedrohungen
Die DUH nennt das „ökologische Marktüberwachung“. Zwei bis 2,5 Millionen Euro kommen jährlich rein. „Ich hätte kein Problem damit, wenn es mehr wäre“, sagt Resch. Die Mitarbeiter, die Anwälte – „die Kosten sind da höher als die Einnahmen.“ Das Jahresbudget liegt bei 8,3 Millionen Euro.
97 bis 98 Prozent der Fälle vor Gericht gewinne die DUH – anders gesagt: Es gibt viele Verlierer. Resch tritt vor allem der Autoindustrie kräftig auf den Fuß. Darüber, wie er bedroht wurde, möchte Resch nicht gerne sprechen. Monatelang war jeder Satz, den er öffentlich äußerte, mit einem Rechtsberater abgesprochen. In einem Interview berichtet er von einem gehackten Internet-Auftritt, falschen Informanten, seinem Smartphone, das Anrufe an einen Fremden weiterleitete, der sich als Jürgen Resch ausgab. Der richtige Resch schüttelt den Kopf. „Wenn mir das jemand sagen würde, würde ich es ihm nicht glauben.“ Er erträgt es scheinbar in stoischer Manier.
Mit 15 Jahren kam Resch in den Vorstand
„Die Geschichte fing viel früher an“ ist ein Satz, den man von Resch häufiger hört. Auch um ihn selbst zu verstehen, muss man viel früher ansetzen. Resch erzählt, wie er als Kind auf den Schultern seines Vaters durch den Wald geführt wurde, er sich um die Papiertüten für die gesammelten Kräuter kümmerte. „Mein Vater hat mir die Liebe zur Natur beigebracht“, sagt er. „Ich habe es sehr bereut, dass ich damals nicht aufmerksamer war. Seine Teekunst ist verloren gegangen.“ Mit 15 Jahren war er im Vorstand der Arbeitsgemeinschaft Naturschutz Bodensee. Zu dieser Zeit wurde in der Zeitung vor Ort eine Karikatur über ihn abgedruckt. „Ich habe mich als Schüler zu allen Baumaßnahmen geäußert, auch im Hörfunk.“
Die Menschen brachten ihm Mäusebussarde, die er im Fahrradkeller aufpäppelte. Der Keller war schnell vollgekotet, erzählt Resch. „Ich habe mich halt um die Viecher gekümmert.“ Mit 26 Jahren gibt er sein Studium auf und steigt bei der DUH ein. Seine Grundlage: Natur bewahren. Und Konsequenz. Eine Aufzeichnung für eine bekannte TV-Sendung sagte er wegen Urlaubs ab. „Meine Frau meinte, ob ich wahnsinnig bin – aber ich hatte es meiner Familie versprochen.“
Resch duzt Kretschmann - der will ihn nicht treffen
Auch das gehört zum Prinzip Resch. „Alles andere entwickelte sich aus Gerechtigkeitsempfinden. Einhaltung von Recht und Gesetz ist für mich das Fundament.“ Einmal, in der S-Bahn, hatte Resch bei seinem Ticket eine falsche Zone gewählt, musste wie ein Schwarzfahrer 40 Euro zahlen. „Ich habe mich grün und blau geärgert, aber das ist halt so – ich muss es beachten.“ Er tut sich schwer, über Genugtuung zu sprechen. Aber legendär sei es gewesen, sagt Resch, diese Verhandlung 2007 gegen Bayern vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. „Da 15 Leute vom Freistaat, und wir zu dritt auf der Klägerseite. Das Gericht hat die zusammengefaltet.“ Resch liebt das Spiel als Außenseiter, der er mit der DUH längst nicht mehr ist.
Manche sagen, er sei nicht mehr nur dieser Gerechtigkeitsfanatiker. Sperrig sei er geworden und habe in der Umwelt-Szene längst nicht mehr nur Fans. Er genieße seinen Status mehr als nötig. Aber: Das liege auch daran, dass er viel einstecken muss. Das Verhältnis zur Landesregierung beschreibt ein Mann aus dem Umfeld als „unterirdisch“. Resch duzt Ministerpräsident Winfried Kretschmann – der soll ihn aber schon lange nicht mehr treffen wollen.
"Autobauer haben Kretschmann auf Knie gezwungen"
„An seinem Beispiel sieht man die Macht der Autoindustrie“, sagt Resch. „Er ist als wertkonservativer Politiker angetreten. Die baden-württembergischen Autobauer haben ihn auf die Knie gezwungen und es geschafft, dass er bis heute nicht mehr aufstehen konnte.“ Die Autoindustrie drohe im Ernstfall mit der Verlegung von Arbeitsplätzen.
Resch betont: „Ich bin nicht enttäuscht von ihm. Es ist einer der besten Landesväter, die Baden-Württemberg hatte.“ Jede andere Landesregierung würde so handeln. Die immer mächtiger werdenden Konzerne müssten aber zurückgedrängt werden und sich den Entscheidungen der Politik beugen.
Seit zehn Minuten läuft eine Telefonkonferenz. Ohne Resch. Er muss gleich los, sagt er. „Ganz wichtig.“ Die Konferenz wird noch weitere zehn Minuten ohne ihn laufen. Resch spricht von sich aus noch über Polyurethanschaum, Kaminöfen und den blauen Engel. Noch nie habe er darüber nachgedacht, hinzuschmeißen. Ob es so einen Moment mal geben könnte? Resch atmet tief ein. „Wenn der Himmel auf die Erde fällt.“