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Vor 75 Jahren

Soldaten als Vergewaltiger: Mit Kriegsende begann auch bei deutschen Frauen das Zittern

In der Bundesrepublik breiteten die Menschen meist den Mantel des Schweigens darüber: Zahlreiche Frauen wurden am Ende des Zweiten Weltkrieges von den alliierten Soldaten vergewaltigt. Nachdem die Franzosen Anfang April 1945 Karlsruhe besetzten, gellten oft die Schreie der Opfer durch die Nacht.

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Befreier, Besatzer - und für viele Frauen in der Region auch Peiniger: Nach dem Einmarsch der französischen Soldaten in Karlsruhe und der Region werden zahlreiche Frauen vergewaltigt. Die Dunkelziffer ist hoch. Symbolfoto: Stadtarchiv Karlsruhe Foto: None

Die Sirenen sind verstummt, die Fliegerangriffe beendet. Doch nach dem Einmarsch der französischen Truppen in Karlsruhe und der Region lauschen die Menschen nachts ängstlich anderen Geräuschen: dem Hall von Schritten – und den Schreien der Frauen.

Mit dem Ende des Krieges bricht für die weibliche Bevölkerung in der Region eine neue Zeit des Zitterns an. Viele Mädchen und Frauen werden vergewaltigt. Die Dunkelziffer dieser Sexualverbrechen ist hoch - und auch die Dunkelziffer der Abtreibungen, die verzweifelte Opfer danach vornehmen ließen.

Eine junge Frau aus dem Stadtteil Weiherfeld hat überliefert, was sich im April 1945 dort abspielte: „In direkter Nachbarschaft war eine junge Frau allein in ihrem Hause, deren Mann kurz vor Kriegsende noch gefallen war. Die französischen Soldaten drangen in alle Häuser ein und vergewaltigten alle Frauen, die sie antrafen. Die junge Frau wollte sich noch zu ihren Nachbarn retten, was die Franzosen bemerkten. Sie drohten, dieses Haus anzuzünden, wenn die Frau nicht sofort zurück in ihr eigenes Haus käme“, so zitiert der frühere BNN-Ressortleiter Josef Werner in seinem Buch „Karlsruhe 1945. Unter Hakenkreuz, Trikolore und Sternenbanner“ die Zeitzeugin. „Um die Nachbarn nicht dem auszusetzen, folgte sie der Aufforderung. Die Franzosen standen vor der Haustüre Schlange, und als alles vorbei war, wollte die junge Frau sich umbringen.“

Franzosen fallen mit vorgehaltener Waffe über Mädchen her

Ein anderer Karlsruher beschreibt in seinem Tagebuch, wie die Ladenbesitzerin von gegenüber bei ihm Sturm klingelt. Sie selbst konnte fliehen, doch ihre „Ladenmädels“ sind in der Gewalt von Soldaten: „Nun mußten wir zusehen, was sich – bei offenen Läden! – gegenüber ereignete. Unter Drohung mit der Waffe und mit Schlägen wurden die Mädels gezwungen, den vier oder sechs Soldaten zu Willen zu sein.“

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All die Wut über millionenfache Verbrechen der Nationalsozialisten und all die „üblichen“ Machtdemonstrationen von Kriegssiegern – sie treffen nun die Mädchen und Frauen.

Opfer im Kindes- und Seniorenalter

Eltern versuchen verzweifelt, ihre Töchter zu verstecken. Weder Kinder noch Großmütter sind sicher: Eine Elfjährige und eine 76-Jährige sollen unter den Opfern sein. Täter sind anfangs häufig marokkanische Soldaten. Die 1. Französische Armee von General Jean de Lattre de Tassigny steht wegen der massenhaften Vergewaltigungen in der Kritik. Badische Kirchenvertreter beschweren sich bei den Siegern.

Die meisten Offiziere lassen ihre Soldaten anfangs wüten. Dann wiederum schreiten sie in Einzelfällen rigoros ein, exekutieren Vergewaltiger in Uniform ohne Militärgerichtsverfahren. Aus Bühlertal etwa ist die Erschießung zweier Marokkaner überliefert.

Hohe Dunkelziffer: 900.000 Sexualverbrechen?

Nicht wenige Vergewaltigungsopfer müssen feststellen, dass sie von ihren Peinigern schwanger sind. Aus der Landesfrauenklinik in Karlsruhe sind aus jener Zeit 278 Abtreibungen nach Vergewaltigungen aktenkundig. Die Dunkelziffer ist jedoch hoch. Oft dürften sich Frauen in ihrer Not auch an verschwiegene Ärzte ihres Vertrauens gewandt haben - oder in die Hände von Kurpfuschern gefallen sein.

Die Erzdiözese Freiburg schätzt die Zahl der Vergewaltigungen durch alliierte Soldaten einmal auf 30.000 bis 40.000 in der Region. Deutschlandweit geht die Historikerin Miriam Gebhardt heute von knapp 900.000 Vergewaltigungen durch die Soldaten aus, andere schätzten sie auf nahezu zwei Millionen.

Abtreibungen oft geduldet - besonders bei dunkelhäutigen Tätern

Unklar ist in jener Übergangszeit die Rechtslage für Schwangerschaftsabbrüche. Oft werden sie geduldet, selbst von der Kirche, aber Ärzte werden auch angezeigt. Ende 1945 dürfen sich die Frauen dann auf einen „übergesetzlichen Notstand“ berufen.

Die Rassenideologie der Nationalsozialisten wirkt nach: Frauen, die von dunkelhäutigen Soldaten vergewaltigt wurden, ermöglicht man den Abbruch schneller. Vergewaltigungskinder, die ausgetragen werden, gelten als „Kinder der Schande“ – oft ein lebenslanges Trauma.

Vergewaltigungen auch durch US-Soldaten

Auch als amerikanische Truppen den Raum Karlsruhe übernehmen, kommt es noch zu Vergewaltigungen. Doch im kollektiven Gedächtnis der Westdeutschen verblassen die Taten der nun befreundeten Alliierten – das Leid der Frauen wird im Wirtschaftswunderland zum Tabu, die freiwilligen „Ami-Liebchen“ rücken in den Fokus. Und die Opfer? Sie bleiben in allen Besatzungszonen meist alleine mit ihrem Schmerz.

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