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Pro & Kontra

Sollte jeder automatisch Organspender sein?

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will jeden Deutschen zum Organspender machen – sofern man nicht widerspricht. Der automatische Spender-Status könnte viele Leben retten, aber auch in die Grundrechte der Menschen eingreifen. Die BNN-Redakteure Julia Falk und Julia Weller sind unterschiedlicher Meinung.

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Pro_und_Kontra_Organspende Foto: None
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will jeden Deutschen zum Organspender machen – sofern man selbst oder die Angehörigen nicht widersprechen. Im Bundestag wird diese sogenannte doppelte Widerspruchslösung emotional diskutiert. Einerseits sterben jedes Jahr mehrere tausend Menschen, weil sie vergeblich auf ein Spenderorgan warten mussten. Andererseits könnte der automatische Spender-Status in die Grundrechte der Menschen eingreifen. Ist der Vorschlag also eine gute Idee? Die BNN-Redakteurinnen Julia Falk und Julia Weller sind unterschiedlicher Meinung.

Pro (Julia Falk): "Jens Spahns Lösung würde erfordern, dass sich jeder Bürger endlich mit dem Thema befasst."

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Pro_Banderole-Julia_Falk Foto: None

Um es einmal auf den Punkt zu bringen: Tote brauchen ihre Organe nicht mehr. Schwer Herz- oder Nierenkranke dafür umso mehr. Fast 10.000 Menschen warten in Deutschland auf eine Organspende. Statistisch gesehen sterben täglich drei davon, weil sie keine neue Leber, Lunge oder ein neues Herz bekommen.

Dabei müssten diese knapp 1000 Menschen jährlich nicht ihr Leben verlieren – gäbe es genug Bereitschaft zur Organspende. Nur rund 35 Prozent der Deutschen haben einen entsprechenden Ausweis, Experten sprechen von akutem Organ-Mangel. Ein Grund dafür liegt sicherlich darin, dass sich die Menschen zu wenig mit dem Thema befassen – solange sie selbst nicht darauf angewiesen sind. Die sogenannte doppelte Widerspruchslösung würde erfordern, dass sich jeder Bürger endlich Gedanken macht. Denn wer nach dem Tod keine Organe spenden möchte, kann dem ja jederzeit widersprechen.

Wer das vergesse oder nicht mitbekomme, werde automatisch ungewollt zum Spender, sagen Kritiker. Doch so einfach macht es sich Jens Spahn zum Glück nicht: Bevor Herz, Lunge oder Niere entnommen werden dürften, müsste der Arzt nicht nur in ein Register schauen, ob ein Widerspruch vorliegt, sondern zudem die Angehörigen des Toten fragen, ob es eine schriftliche oder mündliche Willenserklärung gibt. Niemand würde also ungefragt zum Spender.

Der freie Wille des Menschen bliebe also erhalten, mit einer Änderung: Er müsste geäußert werden. Und zwar nicht morgen oder irgendwann, sondern am besten heute.

Kontra (Julia Weller): "Zur bewussten Entscheidung zwingen, nicht zur Spende."

Der Staat hat kein Recht, auf die Organe jedes Menschen zuzugreifen, der sich nicht rechtzeitig Gedanken über dieses folgenschwere Thema gemacht hat.

Denn es ist ja nicht so, dass die Deutschen Organspenden mehrheitlich ablehnen – im Gegenteil. Das Problem ist, dass zu wenige Menschen den Transfer schaffen von der abstrakten Befürwortung hin zur bewussten Auseinandersetzung mit den Auswirkungen für den eigenen Körper.

Viele Menschen sind positiv eingestellt, füllen aber dennoch keinen Spenderausweis aus. Auch, weil man sich aktiv darum bemühen muss, einen zu erhalten. Ihn zu verstehen. Ihn immer mit sich zu tragen. Die Hürden sind zu hoch.

Der Staat würde es sich und allen Menschen also leicht machen, stufte er einfach alle automatisch als Spender ein. Doch damit schüfe er genau das umgekehrte Problem: Wer aus welchen Gründen auch immer nicht spenden möchte, müsste aktiv Widerspruch einlegen. Das ist für die meisten vielleicht nur ein nerviger, formeller Akt – für viele Alte, Kranke oder auch Demente aber schlicht nicht machbar. Die Entscheidung auf die Angehörigen abzuwälzen, führt hingegen schnell zu großen psychischen Belastungen.

Die Widerspruchslösung ist daher keine Lösung, auch weil gesetzlicher Zwang oft zu Ablehnung in der Bevölkerung führt. Besser ist die Idee, die Annalena Baerbock (Grüne) vorgebracht hat: Die Bürger regelmäßig, zum Beispiel bei jeder Verlängerung des Personalausweises, vor die Wahl zu stellen.

Sie also zur bewussten Entscheidung zu zwingen, nicht zur Spende. Dann müssten die Menschen sich endlich mit der eigenen Spenderbereitschaft auseinandersetzen – und im Idealfall ganz einfach zustimmen. Und niemand könnte sich mehr mit der eigenen Faulheit oder Unwissenheit aus der Verantwortung ziehen.

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