An der Basis herrscht Alarm. Der Volkssport Fußball ächzt. Das Ehrenamts-Dilemma belastet auch ihn. Die Aggression auf und neben den Plätzen erschwert die Schiedsrichter-Akquise. Mit der Serie „Notelf – die Sorgen der Amateure“ versucht sich diese Zeitung an einer Bestandsaufnahme in elf Teilen. Samstags im Zweiwochenrhythmus pfeifen wir immer ein neues Thema an. Die Nummer drei: das ehrenamtliche Engagement.
„Notelf – die Sorgen der Amateure": Teil drei
Nein, als Kapitän will sich Tobias Baumgärtner nicht sehen. Eher schon als der Schlagmann, der im Vereinsboot auf die richtige Frequenz achtet und damit darauf, „dass der Club nicht im Kreis fährt“, wie der Vorsitzende des FC Forst sagt. Was der 35-Jährige damit ausdrücken will? Dass es nicht nur auf dem Platz, sondern auch abseits davon auf ein funktionierendes Kollektiv ankommt. Und dass genau darin ein Schlüssel dafür liegt, dass das ehrenamtliche Rückgrat eines Vereins stabil und gesund bleibt. Eine einfache Aufgabe ist das allerdings auch dann nicht.
Griff nach jedem Strohhalm
Baumgärtners Weg beim FC Forst zielt auf ein breites Miteinander ab. „Man darf nicht mit Scheuklappen durch den Verein laufen, man muss auf die Leute zugehen“, sagt er. Es gibt einen Mediengestalter? Der könnte doch Flyer für diese oder jene Veranstaltung machen. Im Ringen um ehrenamtlichen Nachwuchs gelte es, „jeden Strohhalm zu ergreifen“, betont Baumgärtners Kollege beim FV Graben, Andreas Landkammer. Der Vorteil früher Bindung liegt auf der Hand: Die Betroffenen übernehmen erst kleine Aufgaben, wachsen in größere hinein und übernehmen später bestenfalls ein Amt.
Bislang gelingt dies in vielen Verein noch recht gut. „Man kann schon sagen, dass viele junge Leute nachkommen“, sagt Stefan Moritz vom Badischen Fußball-Verband (bfv). Also keine Nachwuchssorgen in diesem Bereich? „Eher nein“, meint Moritz. Das „eher“ ist der kleine Haken. Je aufwendiger der Job, desto schwieriger tun sich die Vereine, tatkräftige Hilfe auf ihr Vereinsgelände zu ziehen.
Finden sie mal einen Spielausschuss
„Finden sie mal einen Spielausschuss“, gibt Helmut Grich zu Bedenken, „einen, der bei jedem Training dabei ist, am Spieltag ab zehn Uhr da ist“. Das sei „sehr schwierig“, sagt Grich, der bei Schwarz-Weiß Mühlburg dieses Amt 25 Jahre lang bekleidete und heute als Platzwart seinem Club dient. „Mädchen für alles, könnte man sagen“, präzisiert der 66 Jahre alte Grich, dem die „tolle Kameradschaft“ von früher heute fehlt. Dennoch: „Das ist mein Verein, das ist auch mit mein Lebenswerk – dem Club bleibe ich treu.“ Mit 18 kam er zu dem Verein im Karlsruher Westen, nach Ende der aktiven Fußballerzeit rückte er in den Vorstand, dann ins Amt des Spielausschusses – eine klassische Ehrenamtskarriere also.
Bei Vivien Gentner war das nicht anders. Die 38-Jährige ist auf dem Sportplatz groß geworden, schnürte für den FV Graben dann selbst die Kickschuhe und ist heute als weibliche Spielausschussvorsitzende eine echte Ausnahme in dem Männerfeld. „Anfangs war das schwierig, viele haben mich belächelt. Mittlerweile kennt man mich und ist es normal“, berichtet sie, „ aber drei, vier Jahre hat das schon gedauert“. Aktuell sei sie „Alleinkämpferin“ – nach Unterstützung im Spielausschuss fahndet sie und der Club bislang erfolglos. „Es ist nicht ohne, das muss man schon wollen“, sagt Gentner zu dem zeitaufwendigen Amt: „Zehn Stunden kommen da in der Woche schon zusammen.“
Es ist mit Sicherheit so, dass Frauen andere Perspektiven mit einbringen
Im engeren Verwaltungsteam des FV Graben ist Vivien Gentner im übrigen alles andere als eine Alleinkämpferin – von sieben Ämtern sind vier von Frauen besetzt. Schon früh hatte der Verein Frauenfußball angeboten, das zahlt sich jetzt auch abseits des Spielfeldes aus. „Ohne unsere Mädels wären wir längst tot“, sagt Landkammer zugespitzt. Nicht nur Gentner ist überzeugt davon, dass eine solche Besetzung von Vorteil ist. „Es ist mit Sicherheit so, dass Frauen andere Perspektiven mit einbringen“, sagt sie. Der FV Graben, er nutzt das sich nicht nur ihm bietende Potenzial.
Gibt es ein klares Vereinskonzept?
Mitentscheidend im Kampf um Hilfe und Helfer sei auch, wie Vereine aufgestellt sind und wie Clubs agieren, hält Verbandsmann Moritz fest. Gibt es ein klares Vereinskonzept? Eine Strategie zur Gewinnung von Ehrenamtlichen? „Impulse von außen“, findet Forsts Vorsitzender Baumgärtner diesbezüglich sehr wichtig. Und eine Bestandsaufnahme, die zukunftsgewandte Fragen aufwirft. In Forst war eine, wie der Club mehr Präsenz im Ort zeigen könne. Das Ergebnis: Kooperationen mit vielen anderen Vereinen, von denen alle profitieren. „Große Feste kannst du allein kaum noch stemmen“, sagt Baumgärtner.
610 Vereine sind im Badischen Fußball-Verband (bfv) organisiert. Legt man die vier Schlüsselfunktionsträger (Vorsitzender, Jugendleiter, Finanzen, Abteilungsleiter Fußball) pro Club an, kommen schon 2 440 Ehrenamtliche zusammen. Insgesamt schätzt der bfv die Anzahl ehrenamtlich Tätiger in seinem Gebiet auf gut 12 000 Menschen. Der bfv unterstützt die Clubs im Punkt Ehrenamt mit verschiedenen Beratungs- und Qualifizierungsangeboten zu Ehrenamtsgewinnung, für Trainer oder Digitalisierung.
Am öffentlichkeitswirksamsten ist die „Aktion Ehrenamt“ des DFB, der jährlich besonders engagierte Personen auszeichnet.
Wie in Forst so sind auch im Karlsruher Höhenstadtteil Stupferich bei der SG die ehemaligen Spieler mit eingebunden – die „Sportplatz-Gruftis“, wie sich die Gruppe Rentner selbst nennt, die sich jeden Montag nach Heimspielen um den Platz und auch das Areal drumherum kümmert. Ideenreichtum ist eben gefragt und es kommt darauf an, wie es um Club und Außenwirkung bestellt ist. „Vor einigen Jahren lag bei der SG vieles auf nur ein, zwei Schultern“, berichtet Roland Becker, seit Jahrzehnten im Bergdorf für seinen Club engagiert. Dann habe sich ein größere Gruppe zusammengefunden, die das Gelände saniert hat – mit Zugkraft: Die SG Stupferich war insgesamt wieder attraktiver, für Spieler wie Helfer.
Auch mit dabei: Die "Sportplatz-Gruftis"
Dennoch sieht auch Becker, der 2015 mit dem Ehrenamtspreis des Deutsche Fußball-Bunds (DFB) ausgezeichnet worden ist, dass es speziell für kleinere Clubs in Zukunft immer schwieriger werden dürfte, engagierte Helfer zu finden. Zumal, zum Beispiel bei Trainern, die Anforderungen steigen. Die Ausbildung für Übungsleiter wird komplexer und verbindlicher. „Das macht es auf der einen Seite schwieriger. Aber derjenige nimmt auf den Lehrgängen ja auch etwas mit“, hebt Baumgärtner hervor. Es könnte vermehrt darauf hinaus laufen, dass sich Clubs insbesondere im Jugendbereich zusammentun und auf bezahlte Trainer setzen.
Das ist mein Verein, der mir am Herzen liegt, der mir viel gegeben hat. Das will ich in Form des Ehrenamts zurückgeben
An anderer Stelle aber wird es auch weiterhin auf das ehrenamtliche Engagement ankommen. Und darauf, dass Menschen Zeit und Spaß daran haben, mitzugestalten. Draus zieht auch Baumgärtner die Motivation, „zu sehen, was man bewirkt“. Die treibende Kraft, das ist die Liebe zum Fußball, sagt Becker. Aber selbstverständlich zählt das Vereinsleben dazu, „die vielen tollen Erlebnisse“, wie der 56-Jährige sagt. „Das ist mein Verein, der mir am Herzen liegt, der mir viel gegeben hat. Das will ich in Form des Ehrenamts zurückgeben“, betont Grabens Vorsitzender Landkammer – einer der vielen Schlagmänner in der Region, die dafür sorgen, dass der Fußball auf Kurs bleibt.