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Erfolgreiche Premiere

Spielerisches Stück zur Gender-Debatte: „Gabriel“ am Staatstheater Karlsruhe

Gern werden klassische Texte am Theater auf aktuelle Debatten eingegrenzt. Am Staatstheater Karlsruhe bleibt „Gabriel“ von George Sand zeitlos - und überzeugt dadurch umso mehr.

Swana Rode und Andrej Aganowski in  „Gabriel“ am Staatstheater Karlsruhe, Premiere: 14.04.2022
Faszinierendes Paar: Die Liebesgeschichte von Gabriel (Swana Rode) und Astolphe (Andrej Aganowski) ist das überzeugende Zentrum der Inszenierung „Gabriel“ am Staatstheater Karlsruhe. Foto: Felix Grünschloß

Im Schlussapplaus mag etwas Erleichterung mitgeschwungen haben. Denn dieser Abend hätte auch richtig hartes Brot werden können: drei Stunden Theater mit einem rund 180 Jahre alten Text, der durchaus zum Fuchteln mit dem Zeitgeist-Zeigefinger anregen könnte.

Immerhin geht es in „Gabriel“ von George Sand – 1839 veröffentlicht als Roman, aber verfasst in bühnentauglicher Dialogform – um die derzeit viel diskutierte Frage, ob sich Menschen schlicht in die zwei Gruppen männlich/weiblich aufteilen lassen und ob die Geschlechtszuordnung angeboren oder anerzogen ist.

Außergewöhnlich langer und herzlicher Beifall

Doch die Regisseurin Sláva Daubnerová tappt mit „Gabriel“ nicht in die Falle des wohlfeilen Meinungstheaters. Und so werden das Regieteam und das Ensemble am Ende zu Recht mit außergewöhnlich langem und herzlichem Beifall belohnt.

Und ebenfalls zu Recht gilt ein Großteil dieses Beifalls der Hauptdarstellerin Swana Rode, die hier nach mehreren prägnanten Nebenrollen (zuletzt in „Medea. Stimmen“) und ihrem furiosen Studio-Solo „Das kalte Herz“ zeigt, dass sie auch einen großen Abend in der Titelpartie tragen kann.

Rode spielt Gabriel, der im Lauf des Stücks zu Gabrielle wird. Zu jener Gabrielle, die er eigentlich immer schon war. Denn die Titelfigur in Sands Roman ist eine Frau, die als Mann erzogen wurde, um als männlicher Nachkomme den Familienbesitz zu sichern. Doch als sie davon erfährt, entflieht sie ihrem goldenen Käfig, zieht als Mann los und verbindet sich aus Trotz gegen den intriganten Großvater mit Astolphe – jenem Cousin, der um das Erbe betrogen werden sollte.

Der Cousin entpuppt sich als Cousine

Astolphe ahnt zunächst nicht, dass sein junger Cousin in Wahrheit eine Cousine ist und ist reichlich irritiert von dem heftigen Begehren, das er empfindet. Als es unwiderstehlich zwischen den beiden funkt, gibt Gabrielle ihre männliche Rolle mehr und mehr auf – um nach einer kurzen Zeit des Glücks erneut gefangen zu sein, im Gefängnis von Astolphes Eifersucht und im Geflecht sozialer Konventionen.

Keine Scheu vor der Schmierenkomödie

Das Kunststück von Daubnerovás Inszenierung liegt darin, die ernsten Themen des Textes unterhaltsam zu verpacken. So lässt sie das literarisch knirschende Konstrukt, dass der Schwindel der Erbschaftsintrige 17 Jahre lang geheim bleibt, schön schmierenkomödiantisch ausspielen: Gunnar Schmidt gibt Gabriels herrischen Großvater mit knarzender Gruselfilm-Bosheit, André Wagner wuselt als unterwürfiger Hauslehrer herum und Jens Koch hat als Diener, der sich gezielt dumm stellt, die Lacher auf seiner Seite.

Getragen wird die Aufführung durch die überzeugende Chemie zwischen Swana Rode als Gabriel(le) und Andrej Aganowski als Astolphe, deren Liebesgeschichte man vom herzflimmernden Anfang bis zum todtraurigen Ende gebannt folgt. Daubnerovás Regie hat hier zwei ideale Protagonisten für choreografisch starke Bilder gefunden, etwa wenn sich die Bewegungen aus der freundschaftlichen Rauferei der Kumpane Gabriel und Astolphe später im leidenschaftlichen Tanz des Liebespaares spiegeln.

Hauptdarstellerin mit scheinbar müheloser Artistik

Rodes scheinbar mühelose Artistik lässt Gabriel von Anfang an wie ein Wesen wirken, das nicht an die Schwere irdischer Konventionen gebunden ist. Das ist nicht nur faszinierend anzusehen. Sondern es erspart dem Stück auch jene Einengung, unter der die Titelfigur leidet. Denn es lenkt den Blick weg von dogmatischen Debatten und unterstreicht den zeitlosen Kernimpuls des Stücks: die menschliche Sehnsucht nach Freiheit – ganz gleich zu welcher Zeit, in welchem Land und in welchem Körper.

Service

Weitere Vorstellungen: 20. April, 20 Uhr; 24. April, 19 Uhr; 15. und 20. Mai sowie 11. und 18. Juni jeweils 19.30 Uhr. www.staatstheater.karlsruhe.de

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