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KIT Karlsruhe

KIT-Experte zum Marathon-Rekord: "Für mich hat das nichts mehr mit Sport zu tun"

Als Eluid Kipchoge vergangen Sonntag über die Zielliene lief, schrieb der Kenianer Sportgeschichte. Seitdem wird viel diskutiert. Auch KIT-Experte Alexander Woll kann dem neuen Rekord nicht nur Positives abgewinnen.

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Marathon-Weltrekordhalter Eliud Kipchoge aus Kenia jubelt nach seinem Lauf im Rahmen der «Ineos 1:59 Challenge» im Ziel. Der Kenianer ist als erster Mensch einen Marathon in weniger als zwei Stunden gelaufen. Foto: Foto: Ronald Zak/dpa

Der kenianische Athlet Eluid Kipchoge legte als erster Mensch der Welt einen Marathon in weniger als zwei Stunden zurück. Seitdem wird viel diskutiert - über seine Schuhe, den Sponsor und die sterilen Bedingungen des Laufs. Auch Alexander Woll, Leiter des Instituts für Sport- und Sportwissenschaft am KIT in Karlsruhe ist kritisch.

Was war Ihr erster Gedanke, als Sie von dem Rekord Kipchoges gehört haben?

Ich war nicht überrascht und habe schon länger damit gerechnet. Schon der erste Versuch Eluid Kipchoges war vor zwei Jahren extrem professionell angegangen. Nun wurde noch einmal an den Bedingungen geschraubt. Was wir am Sonntag gesehen haben, war eine perfekt gestaltete Marketingkampagne, bei der die Optimierung des Menschen ganz klar im Vordergrund stand. Mit klassischem Sport hatte das meiner Meinung nach nichts mehr zu tun.

Warum nicht?

Der Wettkampf, das Mit- und Gegeneinander, das den klassischen Sport sonst auszeichnet, wurde bei dem Rekordversuch ausgeblendet, alle Risiken, die eine Spitzenzeit hätten verhindern können, minimiert. Die Laufstrecke auf der Prater Hauptallee in Wien wurde neu asphaltiert, vor Kipchoge fuhr ein Elektroauto, dass ihm mittels grüner Laser den kürzesten Weg auf die Strecke projizierte.

Da war kein Blatt auf der Straße, auf dem der Läufer hätte ausrutschen können. Insgesamt 40 Begleitläufer schirmten ihm vom Wind ab und gaben das Tempo vor. Bis wenige hundert Meter vor Schluss war Kipchoge quasi in einen Kokon eingehüllt - da wurde nichts dem Zufall überlassen. Bei dem Event ging es um Selbstdarstellung, nicht um Chancengleichheit.

Eluid Kipchoge ist unter dem Motto „Kein Mensch hat Grenzen“ angetreten. Stimmt das aus Ihrer Sicht?

Mit einer solchen Behauptung wäre ich vorsichtig. Einerseits ist bemerkenswert, wenn durch eine solche Veranstaltung aufgezeigt wird, dass Leistungsgrenzen verschoben werden können. Das passt schließlich auch zum Leitspruch des Sponsors: „Just do it!“ Als Pädagoge finde ich es klasse, wenn jemand sagt: „Geh‘ aus deiner Komfortzone heraus, du kannst etwas verändern.“ Auf der anderen Seite müssen wir aufpassen, dass wir diese stetige Verschiebung von Grenzen nicht zum gesellschaftlichen Leitbild titulieren.

Was befürchten Sie?

Es entsteht ein riesiger Druck, sich zu optimieren und immer das Maximale zu erreichen. Das ist einer der Gründe dafür, weshalb wir in vielen gesellschaftlichen Bereichen mehr psychische Probleme feststellen, denn je. Sich immer weiter auszupowern und über die eigenen Grenzen zu gehen, ist nicht nur positiv. Wenn ich das dauerhaft mache, hat das auch negative Auswirkungen.

Außerdem laufen wir Gefahr, den Körper zunehmend als Objekt zu sehen, das sich beliebig optimieren lässt. Dabei sind dem Körper, trotz aller medizinischer und wissenschaftlicher Fortschritte, Grenzen gesetzt. Abgesehen davon, schließen wir Schwächere damit aus - behinderte, übergewichtige oder ältere Personen können nicht jedwede Grenze überwinden.

Er selbst sei noch keinen Marathon gelaufen, erzählt Alexander Woll, Leiter des Instituts für Sport und Sportwissenschaft am KIT Karlsruhe.
Er selbst sei noch keinen Marathon gelaufen, erzählt Alexander Woll, Leiter des Instituts für Sport und Sportwissenschaft am KIT Karlsruhe. Foto: Scheu

Kann, abgesehen von körperlichen Einschränkungen, jeder einen Marathon laufen?

Theoretisch ja, jedoch nicht in weniger als zwei Stunden. Kipchoge hat im Durchschnitt 17 Sekunden für 100 Meter benötigt – das sind 68 Sekunden für eine gewöhnliche 400-Meter-Runde im Stadion. Das ist unglaublich für eine 42-Kilometer-Strecke . Man kann sich nicht vorstellen, wie schnell das ist.

Ist ein solches Tempo für einen durchschnittlich trainierten Menschen mit der entsprechenden Vorbereitung zu schaffen?

Nein, 95 Prozent der Bevölkerung würden keine einzige Runde in dieser Geschwindigkeit durchhalten. Nicht umsonst heißt es, jemand ist zum Sprinter geboren. Für das schnelle Laufen ist eine gewisse Anzahl schnell zuckender Muskelfasern wichtig – die sind genetisch determiniert. Es ist sehr schwer, diese Muskelfaserstruktur durch Training zu verändern. Ausdauer hingegen ist die Komponente der körperlichen Leistungsfähigkeit, die sich am besten trainieren lässt - auch noch im hohen Alter.

Gibt es in dieser Disziplin Unterschiede zwischen Männern und Frauen?

Je länger die Distanz ist, desto mehr gleichen sich die Leistungen an. Frauen haben im Hinblick auf lange Strecken aufgrund des geringeren Gewichts einen Vorteil. Beim Marathon ist der Unterschied entsprechend nicht all zu groß. Bei Frauen liegt der Rekord bei knapp 02:15 Stunden.

Welche Rolle spielt mentale Stärke beim Sport?

Bei Ausdauerläufern eine extrem große. Ab Kilometer 35 beginnt die, wie ich es nenne „Knautschzone“. Ab da tun jedem die Beine weh, auch den Spitzenläufern. Die mentale Herausforderung besteht darin, mit diesen Schmerzen umzugehen, sie zu überwinden und dennoch weiterzulaufen. Das Gute ist: Der Körper schüttet bei Schmerzen mit der Zeit Endorphine aus, die zu einem Glücksgefühl führen. Das ist einer der Gründe, warum Laufen tatsächlich süchtig machen kann.

Wie bereitet man sich auf einen Marathon vor? Alexander Woll verrät seine Top-3-Tipps:

Bestandsaufnahme machen

„Zu Beginn empfiehlt es sich, zu schauen, wo man eigentlich steht und wie der körperliche Zustand ist“, rät Alexander Woll. Vor allem, wer schon länger keinen Sport mehr gemacht habe, sollte dabei einen Mediziner zu Rate ziehen. „Dadurch lässt sich prüfen, ob es Einschränkungen hinsichtlich des Herz-Kreislauf-Systems gibt.“

Realistische Ziele setzen

Nach einer ersten Bestandsaufnahme rät der Sportwissenschaftler, einen Trainingsplan zu entwickeln. Dabei gelte: Umfang vor Intensität. „Vor allem im Ausdauerbereich gibt es viele, die sich übertrainieren.“ Ein Fortschritt sei nur zu erzielen, wenn der Körper Zeit habe, zu regenerieren. „Pausen sind wichtig“, betont Woll.

Verbündete suchen

„Trainiert man mit anderen, macht es nicht nur mehr Spaß“, weiß Woll. „Das hilft auch, Motivationslöcher zu überwinden.“



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