Streit ist überall da, wo Menschen sind. Wenn ein Konflikt eskaliert, endet das häufig vor Gericht. Am Ende gibt es einen Gewinner und einen Verlierer. Bei einer Mediation ist das anders. Wenn es gut läuft, werden aus Streitgegnern Streitpartner. Vier Mediatoren aus unterschiedlichen Arbeitsbereichen haben uns von ihrer Arbeit und ihren Erfahrungen erzählt.
Ein ganz klassischer Fall, bei dem wir gerade jetzt in Corona-Zeiten oft angerufen werden, ist der: Ein Deutscher mietet über einen französischen Anbieter ein Ferienhäuschen in Frankreich und kann den Urlaub wegen der Pandemie nicht antreten. Der Anbieter ist wenig entgegenkommend und will die Kaution oder die geleistete Anzahlung nicht zurückzahlen. Hier kommen wir vom EVZ ins Spiel. Wir kennen die Rechtslage in Frankreich und können den deutschen Verbraucher über seine Rechte und Möglichkeiten genau informieren. Wenn er dann selbst nicht weiterkommt, kontaktieren wir den Anbieter und versuchen, den Konflikt zu lösen.
Das klappt in der Regel auch gut. Egal, wie verfahren der Sachverhalt ist und egal, wie viel wütende E-Mails oder Telefongespräche zwischen den Konfliktpartnern hin und her gegangen sind. Wir nehmen Emotionen raus, geben eine rechtliche Einschätzung ab und schaffen es auch meistens, die Diskussion wieder in ruhigere Gewässer zu führen. In 80 Prozent der Fälle kommen wir zu einer positiven Lösung für den Verbraucher.
Wir vom EVZ werden auf Seiten des Verbrauchers tätig. Weil wir keine Behörde sind, haben wir keine staatlichen Befugnisse und sind rein außergerichtlich tätig. Doch inzwischen beteiligen sich sehr viele Unternehmen an der außergerichtlichen Streitbeilegung, die wir anbieten. Das liegt auch daran, dass viele deutsche Kunden durch eine Rechtsschutzversicherung abgesichert sind. Die Unternehmen müssen sich also gut überlegen, wie lange sie in einem Streit mitgehen. Kommt außergerichtlich keine Einigung über uns zustande, kann es sein, dass der Verbraucher doch klagt.
Unser Spektrum ist das ganze Leben: Egal ob Telefonverträge, Online-Dating, defekte Ware, Reisen – das EVZ wird in ganz vielen Fällen angerufen. Wir beraten auch dann, wenn jemand den Eindruck hat, einem Betrug aufgesessen zu sein. Das Internet hat vieles einfacher gemacht, aber auch undurchsichtiger. Manche Online-Shop-Adressen haben ein „.de“ hinten stehen, kommen aber gar nicht aus Deutschland.
Andere Länder, anderer Streit? Es gibt gewisse Mentalitätsunterschiede, die man kennen muss. Aber ich glaube – egal in welchem Land der Erde man ist – um einen Streit schlichten zu können, geht es am Ende immer darum, dass beide Seiten das Gefühl haben, gehört und wertgeschätzt zu werden.
Karolina Wojtal ist Leiterin des Europäischen Verbraucherzentrums (EVZ) in Kehl
Als ich noch in der Grundschule war, wurde ich ziemlich viel gemobbt. Das war furchtbar. Aber diese Erfahrungen haben mich stärker gemacht und mich sehr motiviert. Als dann an unserer Lidell-Schule Streitschlichter gesucht wurden, habe ich mich sofort gemeldet. Ich möchte einfach nicht, dass andere Kinder das Gleiche erleben müssen wie ich. Also habe ich die Ausbildung begonnen. Die ging ungefähr zehn Wochen mit jeweils Doppelstunden-Unterricht in Theorie. Da haben wir alles über die drei Phasen einer Schlichtung gelernt. Erst danach durften wir die Streitschlichter, die es schon gibt, bei ihrer Arbeit begleiten. Wir haben ihnen bei ihrer täglichen Arbeit auf dem Schulhof über die Schulter geschaut. Etwas später haben wir selbst unsere ersten Fälle übernommen.
Im Alltag läuft das so: Während der Großen Pause sind immer zwei Streitschlichter auf dem Pausenhof unterwegs. Wir tragen blaue oder orangefarbene Westen, an denen wir für alle klar als Streitschlichter erkennbar sind. Wenn ich sehe, dass es irgendwo ein Problem gibt, dass zum Beispiel jemand Sand auf einen anderen wirft, oder dass es ein Gerangel gibt, gehe ich auf die Streitenden zu und biete an, dass wir uns in einen Klassenraum zurückziehen und darüber reden. Die meisten sind schnell einverstanden.
Während der Schlichtung sind wir zu zweit mit den beiden Streitenden in einem Klassenzimmer. Ein Lehrer sitzt im Hintergrund dabei. Der greift aber in der Regel nicht ein. Wir erklären den Schülern erst mal, dass wir als Schlichter total neutral sind. Außerdem müssen sie wissen, dass alles, was in diesem Raum gesagt wird, unter uns bleibt. Dann müssen wir die Streitenden bitten, ganz ehrlich zu sein. Sonst funktioniert das Schlichten nicht.
Einer fängt an, zu erzählen. Als Schlichter fasse ich das Gesagte dann noch einmal zusammen. Wir fragen auch immer bei dem anderen nach. Wie geht es Dir mit dem, was gerade gesagt wurde? Was ist Dein Wunsch? Das Wichtigste ist, dass wir als Schlichter keine Lösung vorgeben. Der Sinn ist, dass die Streitenden selbst eine Lösung für ihr Problem finden. Es fällt ihnen leichter, sich später auch daran zu halten. Wenn beide mit dem Vorschlag, den sie erarbeitet haben, einverstanden sind, müssen sie sich die Hand geben. Wir machen noch ein Protokoll und nach einiger Zeit überprüfen wir, ob es geklappt hat.
Mit dieser Methode gelingt es ziemlich oft, einen Streit zu schlichten. Als Streitschlichter habe ich gelernt, dass man viel Geduld haben muss. Wichtig ist, dass jeder das Gefühl bekommt, dass man ihm zuhört. Das braucht manchmal ein bisschen Zeit - aber es lohnt sich wirklich.
Amin Ullah von der Lidellschule in Karlsruhe.
Zu einem Güterichter kommt man erst, wenn der Streit schon einmal vor Gericht gelandet ist. Da kann schon viel Zeit ins Land gegangen sein. Es sind bereits Rechtsanwälte eingeschaltet und Schriftstücke hin und her geschickt worden. Der Richter, auf dessen Tisch der Fall landet, kann eine Güteverhandlung vorschlagen. Da kommen wir ins Spiel.
Am Karlsruher Landgericht gibt es vier Güterichter. Wir sind alle ausgebildete Richter und auch sonst in Zivilprozessen tätig. Das ist ein großer Vorteil, weil wir entsprechende juristische Kenntnisse haben. Wichtig ist, dass der eingeschaltete Güterichter den Fall nicht auch als Richter bearbeitet. So sind wir freier und ungebundener und die Prozessbeteiligten müssen keine Angst haben, dass das, was sie sagen, Auswirkungen auf das Urteil haben wird. Unsere Herangehensweise ist eine ganz andere. Im Rahmen eines Güterichterverfahrens wird man versuchen, die Parteien dabei zu unterstützen, ihren Konflikt selbst zu lösen. Gemeinsam erarbeiten sie, was für sie passt. Als Güterichterin sitze ich nicht wie sonst in der Verhandlung vorne und getrennt von den Parteien. Ich versuche mich so zu positionieren, dass keiner eine herausgehobene Stellung hat und man sich nicht wie Gegner gegenüber sitzt.
Die sachliche, aber doch angenehme Gesprächsatmosphäre bei unseren Terminen hilft zu verstehen, um was es in dem Konflikt wirklich geht. Ein Beispiel aus meiner Praxis: Ein Erwachsener klagt gegen seine Eltern. Er fordert Geld, das ihm seines Erachtens zu steht. Die Situation ist sehr verfahren. Der Vater und das Kind reden schon seit langem nicht mehr miteinander.
Im Gespräch kristallisiert sich schnell heraus, dass das Kind sehr verletzt ist. Aber es wird auch klar, dass der Vater sich um dessen Zukunft sorgt und deshalb die Zahlung zurückhält. Ich erinnere mich gut an diesen Fall. Beide konnten sich einigen und als sie sich am Ende unseres Termins voneinander verabschieden mussten, habe sie sich ganz innig in den Arm genommen.
Güteverhandlungen eignen sich immer dann, wenn die Menschen, die sich streiten, auch nach dem Konflikt noch irgendwie miteinander auskommen müssen. Nachbarn zum Beispiel, Familienangehörige, aber auch Geschäftspartner. Das Güterichterverfahren ermöglicht es, dass beide als Sieger vom Platz gehen können. Die Konfliktlösung steht im Mittelpunkt, nicht Gesetze und Paragrafen. Deshalb finde ich auch, dass das Verfahren in Deutschland noch viel öfter Anwendung finden sollte.
Christina Walter ist Vorsitzende Richterin am Landgericht und stellvertretende Güterichterin.
Die Tochter möchte als frisch gebackene Firmenchefin neue Wege gehen und eigene Entscheidungen treffen. Der Vater und Firmengründer will mit der Firma auch seinen Erfahrungsschatz an seine Nachfolgerin übergeben und weiß, welche Fallstricke mit den bestehenden Geschäftsprozessen vermieden werden. Sie hingegen kennt sich beim Thema Digitalisierung aus und hat neue Ideen, wie man die Firma in die Zukunft führt. Das ist ein klassischer Fall, in dem ich als Wirtschaftsmediator angerufen werde.
Dabei sind die professionellen Differenzen zwischen der Juniora und dem Senior nur die eine Seite. Mindestens genauso wichtig ist die Beziehungsseite: Der Vater hat womöglich bei jedem Veränderungsvorschlag den Eindruck, dass die Tochter seine Lebensleistung nicht anerkennt – er hat doch nicht alles falsch gemacht? Wenn er sie an seine langjährigen Erfahrungen erinnert, hat sie das Gefühl, dass ihr Vater ihr nicht zutraut, die Firma zu führen. Führungsstrategien, Zahlen und harte Fakten sind das Eine und Gefühle das Andere.
Mediation ist das einzige Verfahren, das mit beiden Parteien beide Ebenen eines Konfliktes gleichzeitig bearbeitet. Ich bin kein Richter. Ich trete als allparteilicher Vermittler auf und kann beiden dabei helfen, ihren Standpunkt auszudrücken. Dazu muss ich erst mal zuhören und das Gehörte „übersetzen“. Ein Mediator kann Missverständnisse aufdecken und oft Übereinstimmungen im Ziel herausarbeiten, die den Streitenden gar nicht bewusst waren. In einem zweiten Schritt frage ich: „Und wofür genau ist Ihnen das wichtig?“ und mache so die Beweggründe hinter dem Offensichtlichen sichtbar. Dadurch entsteht ein neues, tieferes Verständnis und mehr Lösungsoptionen.
Ich nenne es das „Wunder der Mediation“, wenn sich nach ein paar Stunden Gespräch dann neue Türen öffnen. Beide haben ihre Wünsche geäußert und können jetzt konstruktiv eigene Vorschläge erarbeiten.
Wirtschaftsmediationen dauern in der Regel ein bis zwei Tage. In 90 Prozent der Fälle kommt es zu einer Vereinbarung. Aber auch die anderen zehn Prozent geben an, dass sich die Mediation gelohnt hat. Die Kostenersparnis ist für viele das Hauptargument, zu mir zu kommen. Ein Rechtsstreit ist teuer und kann sich lange hinziehen. Gesetzlich ist geregelt, dass man auch in der Mediation rechtsverbindliche Verträge schließen kann. Viel wichtiger finde ich aber die menschliche Seite. Beide Parteien können sich auch nach dem Streit noch in die Augen schauen. So hält die Vereinbarung dann auf Dauer.
Jürgen von Oerzten ist Mediator in Wirtschaftskonflikten.