Sven Wolf engagiert sich seit vielen Jahren für sexuelle Vielfalt beim Badischen Fußballverband. Seit 2017 ist er Mitglied der AG Vielfalt beim DFB. Im Interview erklärt Wolf, was sich im Fußball ändern muss. Die Fans sind ihm zufolge kein Problem für ein mögliches Coming-out eines schwulen Profis.
Herr Wolf, wieso sind schwule Fußballer noch so ein großes Thema?
Wolf: Der Fußball gilt eben als sehr männlich, weil man davon ausgeht, dass ein guter Fußballer männliche Attribute haben muss, um erfolgreich zu sein. Das traut man einem Schwulen nicht zu. Eigentlich müsste man doch gar nicht über das Thema reden. Der Grund sind die Menschen, die diskriminieren.
Was wird den Schwulen unterstellt? Dass sie zu weich sind?
Wolf: Das sind Stereotypen. Der Mann muss zum Beispiel hart in die Zweikämpfe gehen. Das könne nur ein heterosexueller Mann oder eine lesbische Frau. Das entspricht nicht der Wahrheit, aber das ist in den Köpfen drin. Heterosexuelle Frauen gelten als einfühlsam, das rechnet man auch homosexuellen Männern zu. Dass aber auch ein heterosexueller Mann einfühlsam sein und ein schwuler Spieler hart in die Zweikämpfe gehen kann, wird ignoriert. Die Leute machen es sich einfach.
Über Twitter wollen angeblich mehrere Profis ihr Versteckspiel beenden und ihr Coming-out verkünden. Ist das der richtige Weg?
Wolf: Generell muss jeder selbst wissen, welchen Weg des Coming-outs er wählen will. Wie man in einem dieser Profile lesen konnte, sind Familie und Freunde noch nicht involviert. Ohne diesen Rückhalt ist der Weg in die Öffentlichkeit umso schwerer. Unabhängig davon muss man abwarten, ob das ernstgemeinte Accounts sind, oder ob da jemand andere Ziele verfolgt.
Lässt sich sagen, wie viele Profifußballer homosexuell sind?
Wolf: Es gibt zwei Ansätze: Der eine sagt, dass der Fußball ein Spiegelbild der Gesellschaft ist. Es gibt also die berühmten fünf bis zehn Prozent. Andererseits ist es so, dass viele vorher ihre Karriere abbrechen, weil sie denken, dass sie im Profibereich dem öffentlichen Druck nicht gewachsen sind.
Das heißt, es gibt Fußballer, die das Zeug zum Profi hatten, aber aus Angst vor einem Outing aufgehört haben?
Wolf: Davon bin ich hundertprozentig überzeugt. Ich glaube, dass nicht alle den Weg gehen und vorher abbrechen. Es gibt eine europäische Studie, dass jeder fünfte schwule, lesbische oder transsexuelle Mensch nicht in den Mannschaftssport geht, weil er Angst vor Diskriminierung hat. Das könnten wir jetzt auf die Spitze treiben und fragen: Wer weiß welcher Nationalspieler uns so schon durch die Lappen gegangen ist? Steile These, aber möglich.
Gibt es Unterschiede zwischen den Profis und den Amateuren? Haben die Amateure es leichter?
Wolf: Das kann man so nicht sagen. Klar, bei den Profis geht es um die Existenz. Amateure haben diesen Druck der Öffentlichkeit oder von Sponsoren nicht. Im Amateursport hingegen ist man viel näher dran. Wer auf einem Dorfsportplatz persönlich beleidigt wird, bekommt so etwas mehr mit. Im schlimmsten Fall geht man dem Spieler plötzlich aus dem Weg. Wobei im Profibereich auch nur die vermeintliche Akzeptanz höher ist. Nach außen muss ja ein Bild gewahrt werden.
Der Ex-Nationaltorwart Jens Lehmann hatte mal gesagt, dass er es komisch fände, mit Schwulen zu duschen…
Wolf: Homosexuelle Spieler machen das, was alle unter der Dusche machen: Duschen! Hier werden einfach wieder Klischees bedient. Es sind viele Vorurteile, die sich jahrzehntelang manifestiert haben. Deshalb müssen wir sensibilisieren und Aufklärung betreiben.
Homosexuelle spielen oft in eigenen Vereinen oder bei Turnieren. Kapseln sich schwule Fußballer aus Angst vor Diskriminierung ab?
Wolf: Meine Erfahrung ist, dass schwul-lesbische Vereine offen für Heterosexuelle sind. Das Abkapseln hat eher den Grund, dass sie sich einen Schutzraum aufbauen. Da dort nur der Sport im Vordergrund steht.
Mehr zum Thema: Trainingsbesuch bei schwulen Fußballern aus Karlsruhe: Ein Verein, wie jeder andereIst der Fußball homophober als andere Sportarten?
Wolf: Das würde ich nicht sagen. Das wäre anders, wenn wir zum Beispiel im Handball oder Eishockey bereits geoutete Spieler hätten. Die haben wir aber nicht. In den USA gibt es mit Robbie Rogers ein Beispiel im Fußball, er hat sich vor einigen Jahren zu seiner Homosexualität bekannt.
Bei den weiblichen Profis ist ein Coming-out kein Thema. Sind die Frauen mutiger?
Wolf: Lesbische Frauen sind akzeptierter, da das zu den Vorurteilen passt. Da sind wir wieder bei den männlichen Attributen. Es wird erwartet, dass alle Spielerinnen lesbisch sind. Die Ursachen, warum sie es einfacher haben, mutig zu sein, sind also vor allem Klischees, die bedient werden. Das ist aber kein schöner Grund. Frauen müssen sich mehr mit Sexismus auseinandersetzen.
Glauben Sie, dass es an den Fans liegt, dass sich noch kein aktiver Fußballer geoutet hat?
Wolf: Natürlich kann man nicht ausschließen, dass Fans nach einem Coming-out Stimmung machen. Aber: Ich gehe davon aus, dass die Mehrheit offen und tolerant ist. Sie sind nicht das Hauptproblem. Fußballer müssen immer großen Druck von den Anhängern aushalten. Bis für einen homosexuellen Spieler die Fans eine Rolle spielen, muss er ganz andere Hürden nehmen. Also Familie, Freunde, Vereine und Sponsoren. Das ist das Umfeld, das ihn stützen kann und wichtig ist.
Die AG Vielfalt des DFB will über Homosexualität im Fußball aufklären. Wie werden Spieler unterstützt?
Wolf: Vorab: Es geht nicht primär darum, auf ein Coming-Out hinzuarbeiten, auch wenn dies ein wünschenswertes Ergebnis wäre. Unsere Aufgabe ist: Sensibilisierung, Akzeptanz, Aufklärung – auch in Vorträgen bei den Vereinen und Verbänden. Wer sich outen will, wird unterstützt. Aber unsere Arbeit ist es nicht, darauf zu warten.
Es geht nicht nur um sexuelle Orientierungen. Muss sich der Sport nicht auch mehr mit Trans- oder Intersexualität beschäftigen?
Wolf: Es gibt mit divers eine dritte Geschlechtsform. Ich erinnere an die intersexuelle Leichtathletin Caster Semenya. In welchen Mannschaften spielen in Zukunft diverse Menschen? Der Sport muss sich darauf einstellen, dass sich die Geschlechtereinteilungen verändern werden. Er kann es sich nicht leisten, jemanden auszugrenzen.