
Der Schrecken des Schriftstellers ist die Schreibblockade. „Rien ne va plus“ – nichts geht mehr. Der Titel des nun vom Theater in der Orgelfabrik in Durlach uraufgeführten Stücks bezieht sich zunächst einmal auf einen namenlosen Romancier. Weiß gekleidet sitzt er auf einem weiß verhüllten Stuhl, mit dem Rücken zum Publikum, und fällt auf der Bühne nicht weiter auf. Bis er plötzlich aufspringt!
So geht das nicht. Das ist doch kein Anfang.Der namenlose Schriftsteller
im neuen Theaterstück „Rien ne va plus“
Der Namenlose unterbricht die erste Szene: „So geht das nicht. Das ist doch kein Anfang“, ruft er verzweifelt. Der Schriftsteller hat es aber auch schwer: Er steht unter enormem Zeitdruck, und an der Fertigstellung des Romans hängt seine Existenz.
Geschickt verwoben mit Dostojewskis „Der Spieler“
Das erinnert an Fjodor Dostojewski und die Entstehung des Romans „Der Spieler“. Von diesem haben sich die Theaterleiter und Autoren Gabriele Michel und Franco Rosa zu „Rien ne va plus“ inspirieren lassen. Das Stück verschränkt das Schicksal des Romanciers, der mit seinem Manuskript ringt, geschickt mit dem Inhalt des Romans – und zeigt, dass in Dostojewski selbst ein Dramatiker steckte.
„Rien ne va plus“, sagt der Croupier beim Roulette, wenn die Kugel schon rollt. In dem Stück geht es um die Sehnsucht nach Glück und die Gier nach Geld, was für manche Menschen untrennbar zusammenzuhängen scheint. Mit Geld sei man ein anderer Mensch, glaubt der Sekretär Alexej (Rainer Haring). Der Aufbau eines Vermögens erfordert allerdings kühle Vernunft, wohingegen der Vorsatz, sich beim Glücksspiel von rationalen Entscheidungen leiten zu lassen, zum Scheitern verdammt ist.
Am Spieltisch hoffnungslos verloren
Dies erfahren sowohl Alexej als auch sein Schöpfer, der Schriftsteller (Oliver Fobe). Treffsicher hat Regisseur Franco Rosa inszeniert, wie beide der Spielsucht verfallen: Sie stehen nebeneinander, während hinter ihnen, vielfach vergrößert auf die Wand projiziert, der Roulettekessel sich dreht, die Jetons sich stapeln, Geldscheine herabflattern.
Beim ersten Mal schaffen es beide, im richtigen Moment aufzuhören, und gewinnen. Doch beide kehren an den Spieltisch zurück, verlieren und sind verloren.
Um den Spieltisch, der in einem fiktiven Ort namens Roulettenburg steht, ranken sich groteske Schicksale. Schon die erste Szene des Stücks reißt menschliche Abgründe auf: Pittoresk gekleidete Herrschaften halten ratlos Telegramme in Händen und versuchen aus ihnen herauszulesen, wie es der kranken Tante in St. Petersburg geht.
Agenda in zerbrechlicher Atmosphäre
Schnell wird klar, dass alle mehr oder weniger auf den Tod der Tante und die Testamentseröffnung warten, denn die Tante ist reich und die Herrschaften verfolgen dezidierte materielle Interessen – ob sie Schulden haben oder Betrugsabsichten hegen.
Im morbiden Ambiente der großen Halle der Orgelfabrik, wo die weiße Farbe von den Wänden abblättert, auf der mit weißen Möbeln und transparenten weißen Textilien gestalteten Bühne, die eine luftig-zerbrechliche Atmosphäre entfaltet, verfolgen die illustren Gestalten ihre je eigenen finanziellen und emotionalen Agenden: der General (Oliver Grimm), sein Sekretär Alexej, seine Schwester Marja (Martina Eckrich), seine Stieftochter Polina (Ulrike Schmitt) und seine Verlobte, die sich Blanche nennt (Veronique Weber) ebenso wie der unheimliche Wucherer de Grieux (Franco Rosa).
Eigentlich überflüssig zu erwähnen, dass sich die allseitige Freude in Grenzen hält, als die reiche Erbtante (Gabriele Michel), begleitet von ihrem Diener Potapytsch (Winfried Spiegel) überraschend in Roulettenburg auftaucht, und zwar genesen und bestens aufgelegt.
Ein großes Opfer für den Gewinn
Die Tante weiß alles, durchschaut alle und trägt nichts nach – aber auch sie zieht es an den Spieltisch. Der Schriftsteller stellt seine mechanische Schreibmaschine beiseite und hilft der Gesellschaft, die Tante die in rotes Licht getauchte Treppe hinaufzuschieben. Durch ein großes Fenster ist zu verfolgen, wie die souveräne Frau rettungslos dem Roulette verfällt.
Die Gesellschaft schart sich um sie, das Rollen der Kugel im Kessel ist nur zu hören. Auch die Tante erlebt den Rausch des Gewinnens, der ihr Machtgefühl steigert – doch dann verspielt sie fast ihr ganzes Vermögen. Was ihr bleibt, ist das Geld für die Heimreise nach St. Petersburg.
Doch schon beginnt sie murmelnd zu rechnen. Am Ende wenden sich alle wie hypnotisiert dem sich drehenden Roulettekessel zu. Immerhin hat der Schriftsteller seine Schreibblockade überwunden und reißt triumphierend das letzte Manuskriptblatt aus der Maschine.
Termine
Nächste Vorstellungen am 17., 18. und 19. August, jeweils um 20 Uhr, Theater in der Orgelfabrik in Durlach. Weitere Termine und Infos unter www.theaterinderorgelfabrik.de