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Deutschlands schlimmster Wirbelsturm

Tornado Pforzheim: Eine Zugfahrt ins Herz des Sturms

Es sollte die letzte Fahrt der Kleinbahn sein. In der Sturmnacht geriet Zugführer Emil Morsch mit seinen Fahrgästen mitten in den Tornado. Ohne Strom rollte die "Rutsch" in ein Abenteuer, das die Kleinbahn nicht überstand.

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Im Pforzheimer Tornado ging auch die Kleinbahn Ittersbach-Pforzheim unter. Ein mächtiger Birnbaum beendete ihre letzte fahrplanmäßige Fahrt. Foto: Kirschner

Mit einem 50 Tonnen schweren Stahlkoloss mitten in den Wirbelsturm hinein – während viele Menschen dem Pforzheimer Tornado am liebsten aus dem Weg gegangen wären, fuhr Emil Morsch seinen Zug geradewegs ins Zentrum der Katastrophe.

Spätestens seit Hollywood die Tornadojäger für sich entdeckt hat, kennt jeder diese wagemutigen Abenteurer, die mit ihren klapprigen, mit allerlei Messgeräten vollgestopften Wohnmobilen ins Herz der Wirbelstürme vordringen wollen.

Dienstfahrt in den Wirbelsturm

Doch für den Zugführer Morsch war es eine ganz normale Dienstfahrt auf der Kleinbahn zwischen Pforzheim und Ittersbach, die am Tag des Tornado vor 50 Jahren um 21.15 Uhr am Leopoldplatz im Herzen der Goldstadt begann und im tobenden Tornadowirbel kurz vor Dietlingen endete. „Schon in Brötzingen haben wir gemerkt, das gibt was wüstes. Der Himmel war schweflig-gelb, es war, ich hatte so was noch nicht erlebt“, erzählt Morsch, inzwischen 81 Jahre alt und sicherlich sehr viel entspannter als auf seiner letzten Zugfahrt als Chef auf der Kleinbahn.

Ein Blitz züngelt über die Gleise

„Auf der Höhe von Birkenfeld kam der Tornado auf uns zu. Gesehen haben wir ihn zunächst nicht. Erst als der Blitz über die Gleise züngelte, da war mir klar, das ist was Großes. Der Blitz kam über die Schienen und plötzlich stand ich in einer schwarzen Wolke. Mein Motor war durchgebrannt.“

Eine gigantische Überspannung hatte dem mächtigen Antrieb der „Rutsch“ den Garaus gemacht. „Glück nur, dass wir schon über die Birkenfelder Kuppe waren. Ohne Licht, ohne Strom und ohne Kraft rollten wir in die Nacht hinein. Wir wollten Dietlingen erreichen, um Hilfe rufen zu können.“

Der 50-Tonnen-Stahlkoloss zitterte

Doch nach dem Blitz kam der Sturm. „Das war eine Urgewalt. Der Motorwagen, ein 50-Tonnen-Stahlkoloss, hat gezittert - und ich wahrscheinlich auch“, erinnert sich der Zugführer von einst.

Eben hatten sie das Wäldchen bei Gräfenhausen durchfahren, als es hinter ihnen zusammenfiel, Oberleitung und Schienenbett unter sich begrabend.

In dunkler Nacht gegen knorrigen Birnbaum

In dunkler Nacht rauschte die einst so romantische Panoramabahn von Birkenfeld und der alten Landesgrenze auf das Weindorf Dietlingen zu. Oben, an der hohen Böschung, entwurzelt der Sturm einen alten knorrigen Birnbaum just in dem Moment, als unten die Kleinbahn vorbeirollt.

Krachend begräbt der hundertjährige Baum den Triebwagen unter sich. „Zum Glück war das noch so ein alter eiserner stabiler Triebwagen, denn ein moderner Leichtbau hätte das bestimmt nicht ausgehalten“, erinnert sich Morsch.

Mit dem Baum auf dem Dach kommt der Zug 150 Meter vor dem Dietlinger Bahnhof zum Stillstand. „Der Baum hat die gesamte Oberleitung abgerissen und einige Masten umgeworfen“, so der Fahrer. „Obwohl wir keinen Strom mehr hatten, sprühten bei der Kollision die Funken, als sei es ein Feuerwerk.“

Es war dies das Abschiedsfeuerwerk für die Rutsch. Der gewaltige Wirbelsturm und letztlich auch der knorrige Dietlinger Birnbaum zwangen das „Bähnle“ nach 68 Jahren zu seinem letzten Halt.

Zwar knickte der Tornado nur die Masten der Oberleitung auf der Strecke zwischen Arlinger und Gräfenhausen ab. Doch war schon vor dem Sturm das baldige Ende der romantischen, aber nur 25 Stundenkilometer schnellen „Rutsch“ beschlossen.

Die Busse standen schon parat

Die Dieselbusse waren schon gekauft. In eine Reparatur wollte niemand mehr investieren. Zu langsam und zu teuer war sie, die Kleinbahn, die ihren Betreibern ein feierliches Aus nicht gönnen wollte und statt dessen im Jahrhundertsturm unterging.

Für den Transport der Fahrgäste sorgten bereits am Morgen nach dem Sturm die bereitstehenden Überlandbusse der Stadtwerke Pforzheim. Die Schotterstrecke zwischen Ittersbach und Pforzheim wurde vergessen.

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Auf dem letzten Abschnitt der Kleinbahntrasse strampeln heute die Radler. Die Strecke von Birkenfeld bis Pforzheim wurde zum Radweg ausgebaut. Foto: Ehmann

In den Ortskernen vergrößerten Anwohner ihre Gärten um den einstigen Schienenweg, auf freier Flur übernahmen Brombeerhecken die Renaturierung. Zwischen Birkenfeld und Pforzheim wird die Trasse als Radweg genutzt.

Den Radlern kommt dabei entgegen, dass auch die „Rutsch“ steile Anstiege nicht mochte und ihre Planer deshalb möglichst stets in der Ebene blieben. Alle Versuche, zwischen Ittersbach und Pforzheim eine Schienenverbindung zu etablieren, scheiterten bis heute an den Kosten.

Weitere Artikel zu 50 Jahre Tornado in Pforzheim gibt es in unserem Dossier .

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