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Alexander Gerst

Unser Mann fürs All: Wie Astro-Alex die Raumfahrt wieder cool machte

Mehr als eine Million Follower auf Twitter, fast 500.000 Fans auf Facebook: Der deutsche Astronaut Alexander Gerst ist längst ein Star. Wie er eine Nation wieder für die Raumfahrt begeisterte und der Menschheit gleichzeitig gehörig ins Gewissen redete: Ein Porträt aus Tweets und Taten.

Alexander Gerst bei einer DLR-Raumfahrt-Show vor 15.000 Schülern im Steigerwaldstadion in Erfurt.
Alexander Gerst bei einer DLR-Raumfahrt-Show vor 15.000 Schülern im Steigerwaldstadion in Erfurt. Foto: M.xKremerx/xFuturexImage/imago

Seine Stimme war schon weiter im All als er selbst: Mit sechs Jahren sprach Alexander Gerst in das Amateurfunk-Gerät seines Großvaters, die Worte wurden vom Mond reflektiert und waren wenige Sekunden später zurück auf der Erde. Da wurde dem Schuljungen klar: So eine Reise möchte er auch einmal machen.

Gerst erhält Ehrendoktorwürde des KIT in Karlsruhe

Was er damals vermutlich nicht wollte: Jede Woche etliche Interview-Anfragen bekommen, die ganz großen Bühnen bespielen und immer wieder erklären müssen, wie man im Weltraum aufs Klo geht. Das alles macht Gerst mittlerweile, und er tut es bewundernswert unermüdlich. Der Baden-Württemberger, der sich auf Twitter selbst als „Europäer deutscher Nation“ bezeichnet, erhält heute die Ehrendoktorwürde des KIT in Karlsruhe .

Nach Abitur und Zivildienst ging es für Alexander Gerst mit dem Rucksack rund um die Welt, durch Neuseeland, nach Äthiopien und in die Antarktis. Fasziniert von Vulkanen und zerklüfteten Landschaften studierte er dann in Karlsruhe Geophysik. „Alexander Gerst hatte das Talent, Dinge im großen Stil zu begreifen“, erinnert sich sein damaliger Professor Friedemann Wenzel.

Gerst habe schnell Neues aufgefasst und effizient gearbeitet, so Wenzel. „Er war einer, der weiter gehen wollte als andere. Die Erde war ihm wohl zu klein.“ Seinen Master machte Gerst in Neuseeland, seinen Doktor in Hamburg. Doch einem Ort blieb er immer verbunden: Seiner hohenlohischen Heimat Künzelsau, eine Kleinstadt am Kocher, Firmensitz der Würth-Gruppe und einiger anderer Weltmarktführer.

Der baden-württembergischen Heimat ist er noch sehr verbunden

Im November 2014 winkt Gerst aus einem ISS-Modul.
Im November 2014 winkt Gerst aus einem ISS-Modul. Foto: Imago

Ein Schraubenkönig und ein Weltraumstar, das sind gleich zwei sehr illustre Persönlichkeiten für einen kleinen Ort wie Künzelsau. Die 15.000 Einwohner nehmen es niemandem übel, Künzelsau nicht zu kennen – wohl aber, das Wort nach dem L statt nach dem S zu trennen.

Gerst ist hier aufgewachsen, seine Eltern leben immer noch in der Region. Ab und zu kommt der Astronaut zu Besuch, macht einen Abstecher zu Winklers Weinstube, isst dort Maultaschen, „die liebt er“, sagt der Wirt. Frank Winkler kennt Alexander Gerst seit dessen Geburt, aus väterlicher Freundschaft ist im Laufe der Zeit eine ebenbürtige geworden.

Alle paar Monate kommt Gerst vorbei, „er ist ja sehr beschäftigt“, erklärt Winkler, „und sehr gefragt.“ In der Weinstube fühlt Gerst sich wohl, weil er dort sicher ist vor aufdringlichen Fans und Journalisten. Die Kneipe mit dem dunklen Holztresen und wenig Tageslicht ist fast immer voll, wer die berühmten Toasts essen möchte, sollte reservieren.

Er wird darauf reduziert.

„Ich glaube, er würde das Essen gerne mal mit hochnehmen“, sagt Winkler. Über das All redet er jedoch selten mit seinem Freund Alex, das hat er sich abgewöhnt. „Er wird darauf reduziert“, sagt Winkler, „aber Alex als Menschen macht noch mehr aus.“ Als heimatverbunden, cool und bescheiden beschreibt er ihn. „Aber er ist froh, wenn er ab und zu über etwas Anderes reden kann als über die Arbeit.“

Natürlich ist Gerst mittlerweile der Europäer, der die meiste Zeit im All verbracht hat. Natürlich zählt er zu den wenigen Menschen, die überhaupt mehr als einmal in den Orbit fliegen durften. Natürlich war er der erste deutsche Kommandant der ISS. Doch trotz all dieser Rekorde wirkt Alexander Gerst, man muss es leider so sagen: auf dem Boden geblieben.

Mit Jan Böhmermann testet er im Neo Magazin Royale Weltraumnahrung, mit Stefan Raab macht er bei TV total Astronautentraining. Für die Sendung mit der Maus erklärt er Klein und Groß, wie er im All seine Zähne putzt und wie die Jahreszeiten entstehen.

Die Deutschen sehen Gerst als ihren Botschafter im All

Die Maus fliegt als Plüschfigur mit ins All, genauso wie Linsen mit Spätzle und ein Stück Berliner Mauer; und so kann einfach kein Deutscher sagen, dass er sich von Gerst nicht repräsentiert fühlt. Ausgerechnet am 3. Oktober, dem Tag der deutschen Einheit, übernimmt er bei seinem zweiten Aufenthalt auf der ISS das Kommando.

Als ein Live-Gespräch mit Heilbronner Schülern 2018 aus technischen Gründen nicht klappt, erklärt sich Gerst sofort zu einem zweiten Versuch bereit. Als sich die DFB-Elf 2014 zum Weltmeistertitel schießt, fiebert er im deutschen Trikot auf der ISS mit. Und auch Tatortschauen geht im Weltall, wie Gerst mit einem Foto-Tweet beweist.

Bei all der Weltraum-Folklore vergessen die Deutschen gerne, dass Gerst nicht jahrelanges Training und gefährliche Flüge ins All auf sich genommen hat, um der Nation nach gewonnenem Eurovision Song Contest, gewonnener Fußballweltmeisterschaft und kurzzeitiger Papst-Herrschaft noch ein weiteres Stück Nationalstolz zurückzugeben. Gerst ist Wissenschaftler, die Forschung ist zuvorderst seine Aufgabe im All.

„Wir fliegen nicht zum Mond, weil der so schön lebenswert ist“, sagte Gerst im Hinblick auf mögliche zukünftige Missionen. „Wir fliegen zum Mond, um dort mehr über uns selbst zu erfahren und das zurück zur Erde zu bringen.“ Wenn man ihm die Möglichkeit gäbe, würde Alexander Gerst wohl sogar bis zum Mars fliegen.

MacGyver-Tricks bringen auf Twitter Klicks

„Vorgelegt von Alexander Gerst – aus Künzelsau“ steht auf der Titelseite seiner Dissertation, als Gerst längst in Hamburg lebt und arbeitet. Dann ein Zitat: „To strive, to seek, to find, and not to yield.“ Zu streben, zu suchen, zu finden und nicht nachzugeben, aus Ulysses von Alfred Lord Tennyson. „Ich bin wahrscheinlich einer der ersten Geophysiker, die ihr Untersuchungsobjekt mal als Ganzes sehen“, sagt Gerst im Bayerischen Rundfunk.

Und nutzt seine große Gefolgschaft auf Twitter auch, um von der ISS über seine Experimente zu berichten. Wenn Gerst im MacGyver-Stil ein französisches Projekt rettet, indem er mit seiner Deutschlandflagge störende Sensorreflexe abwendet, bekommt auch ein solcher Post mal viel Aufmerksamkeit. Beliebter sind aber die Bilder, mit denen er seinen Blick auf die Erde zeigt.

Ins Licht der Öffentlichkeit tritt Alexander Gerst zum ersten Mal 2009. Markanter rötlicher Bart, braune Augen, große Ohren: Als die ESA damals ihre neue Astronautenklasse vorstellt, hat Gerst noch Haare auf dem Kopf. Gegen mehr als 8000 Mitbewerber hat er sich durchgesetzt, lernt nun Russisch und das Raumfahren. 2010 spürt er im Training zum ersten Mal die Schwerelosigkeit. Ein Jahr später ist klar: 2014 geht es für Gerst zur ISS.

Wenn ich Angst hätte, hätte ich mich nicht beworben.

Frank Winkler hat mit seiner Mundart-Band Annaweech einen Song über Gerst geschrieben, „Mister Cool“ lautet der Titel. Und genauso gibt sich Alexander Gerst, wo immer er auftritt. „Wenn ich Angst hätte vor was, hätte ich mich nicht beworben“, sagt Gerst kurz vor seinem ersten Raketenstart dem Bayerischen Rundfunk. Nach der Landung einige Monate später sagt er, dass er direkt wieder hoch will.

Für die ESA ist Gerst der perfekte Werbeträger, twittert meistens auf Deutsch und Englisch, wenn er Polarlichter fotografiert, Bergformationen oder das nächtlich beleuchtete Shanghai. „Aber er zahlt einen hohen Preis dafür“, sagt Gersts langjähriger Freund Winkler. „Ihm geht es nicht um die Popularität, sondern um die Sache an sich.“ Um die Menschen emotional mitzunehmen, müsse man halt auf die Bühnen gehen, so Winkler. „Die Begeisterung für die Raumfahrt war nie so groß wie ohne ihn.“

Einer von Gersts erfolgreichsten Tweets zeigt Hurrikan Florence, der auf die US-Küste zurast. „Da kommt ein Albtraum auf euch zu, das ist nicht zum Spaßen“, schreibt Gerst an die Amerikaner. Sein Tweet wird 24.000 Mal geteilt, der Hurrikan tötet mindestens 37 Menschen. Gerst schickt Fotos der Waldbrände in Kalifornien und der Dürre in Deutschland. „Schockierender Anblick“, schreibt er dazu. „Alles trocken und braun, was eigentlich grün sein sollte.“ Da ist sie wieder: Die Unermüdlichkeit, mit der er den Erdbewohnern ins Gewissen redet.

Er hat vielleicht nicht dieselbe Wirkung wie Umweltaktivistin Greta Thunberg, aber auch Alexander Gerst macht den Schutz des Planeten zu seinem Thema. 2016 wird Braunsbach von schweren Sturmfluten halb weggespült, auch Gersts Heimatstadt Künzelsau wenige Kilometer entfernt steht unter Wasser. 2018 nimmt Gerst im All eine Videobotschaft auf, „Nachricht an meine Enkelkinder“ nennt er sie und meint damit: an alle.

„Ich hoffe sehr für euch, dass wir noch die Kurve kriegen und ich würde mir wünschen, dass wir nicht als die Generation in Erinnerung bleiben, die eure Lebensgrundlage egoistisch und rücksichtslos zerstört hat“, sagt Gerst.

Und eine halbe Million Menschen hört ihm auf YouTube zu.

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