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Wenn Argumente nicht fruchten

Verschwörungs-Mythen im Familien- und Freundeskreis: Wie verhalte ich mich richtig?

Verschwörungsmythen belasten viele Familien und Freundeskreise. Wenn sich Angehörige immer tiefer darin verstricken, wird die Kommunikation immer schwieriger. Was ist besser: Diskutieren oder schweigen?

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Wenn Verschwörungserzählungen im Spiel sind, wird die Kommunikation mit den Betroffenen oft immer schwerer. Wie verhält man sich richtig? Foto: imago images / Christian Ohde

Immer mehr persönliche Beziehungen zerbrechen an Verschwörungserzählungen. Denn die Zahl der Menschen, die an Verschwörungen glauben, wächst. Wenn sich Diskussionen mit den betroffenen Angehörigen nur noch im Kreis drehen und Gespräche eskalieren, kommt es im schlimmsten Fall zum Kontaktabbruch.

Doch wie schafft man es, im Dialog zu bleiben? Und: Sollte man das überhaupt?

Felix Steinbrenner ist Fachreferent für Extremismus-Prävention und leitet die Stabsstelle „Demokratie stärken“ der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg in Stuttgart. Der Fachbereich bietet sowohl Fortbildungen als auch Vorträge zu Verschwörungstheorien an.

Im Gespräch mit den BNN erklärt Steinbrenner, warum immer mehr Menschen an Verschwörungserzählungen glauben, was es mit dem Demokratiebegriff der Querdenken-Bewegung auf sich hat und wie man mit Familienangehörigen oder Freunden umgehen kann, die in Verschwörungserzählungen verstrickt sind.

Warum glauben immer mehr Menschen an Verschwörungserzählungen?
Felix Steinbrenner

Verschwörungserzählungen sind gerade sehr populär, weil sich für viele Leute in der Corona-Pandemie der Alltag auf den Kopf stellt. Da herrscht große Unsicherheit. Und eine Verschwörungserzählung gibt einem Menschen subjektiv die Möglichkeit, eine Situation unter Kontrolle zu bringen. Es gibt klare Verantwortliche für eine unübersichtliche Situation, klare Verantwortliche, die etwas Böses im Schilde führen. Das verschafft einem eine Form von Sicherheit.

Auf der psychologischen Seite haben Menschen häufig das Gefühl, dass große Folgen auch große Ursachen haben müssen. Sie glauben dann etwa, wenn ein kleines Virus so viele Konsequenzen verursachen kann, die die ganze Welt betreffen, kann das doch kein Zufall sein. Man hält es daher für logisch, dass es einen großen Plan dahinter geben muss.

Außerdem kann man mit Verschwörungserzählungen auch eine Heldengeschichte von sich erzählen. Man hat das ja alles schon erkannt. Dann sind die Leute, die nicht daran glauben, „Schlafschafe“ und eben noch nicht so erweckt wie man selbst.

Sind die Verschwörungserzählungen, die gerade im Umlauf sind, neu?
Felix Steinbrenner

Die Corona-Verschwörungserzählungen sind zunächst von der Struktur und Erzählweise nicht neu. Sie docken an alte Erzählweisen an, die gerade nur wieder populär werden. Sie sind sozusagen mit neuen Kleidern versehen. Die Schnittmenge der alten und neuen Verschwörungserzählungen ist häufig Antisemitismus. Die Vorstellung von dunklen Mächten, die der Menschheit Böses wollen ist auch der Kern von Antisemitismus.

Man stößt heutzutage aber nicht unbedingt auf offenen Antisemitismus, sondern auch auf sprachliche Codierungen, die zunächst vielleicht etwas höflicher Daherkommen.

Besonders die Teilnehmer der Querdenken-Demonstrationen berufen sich häufig auf die Demokratie und das Grundgesetz. Wie kommt das?
Felix Steinbrenner

Es ist in der Tat auffällig, wie viele Leute sich plötzlich auf die Demokratie und das Grundgesetz beziehen. Dabei gibt es einen großen Unterschied zwischen dem, was die Demonstranten darunter verstehen und der Realität. Aber da der Demokratiebegriff nun mal kein Copyright hat, kann man viele Dinge darunter verstehen.

Im Kern scheinen viele Leute politische Prozesse einfach nicht richtig verstanden zu haben. Es herrscht Unverständnis darüber, wie Gesetze und Regelungen zustande kommen. Dass Grundrechte, die verbrieft sind, auch eingeschränkt werden können zum Beispiel. Und dass sie miteinander kollidieren können und deswegen Abwägungsprozesse stattfinden müssen. Wir sind eine sehr heterogene Gesellschaft. Da knallen Interessen aufeinander und müssen immer wieder in politische Kompromisse überführt werden.

Auf den Demonstrationen geht es immer nur um Maximalforderungen. An dieses Schlagwort „unsere Freiheit“ sind auch viele Leute anschlussfähig, deswegen versammeln sich auch so viele verschiedene Menschen aus sehr unterschiedlichen Spektren auf diesen Demos. „Freiheit“ ist zunächst eine Leerformel. Jeder kann sich darunter etwas ganz Individuelles vorstellen.

Was kann man tun, wenn Angehörige und Freunde in Verschwörungstheorien verstrickt sind?
Felix Steinbrenner

In der Familie ist es in der Regel keine Option, den Kontakt abzubrechen. Man will ja das Familienleben weiterführen. Deshalb muss man auch unterscheiden, wie tief die betreffenden Personen schon in die Verschwörungserzählungen eingetaucht sind.

Wenn man das Gefühl hat, es bahnt sich gerade an, die Leute sind noch in einer Suchphase, sind unsicher oder konsumieren online alternative Medien, kann man noch sehr viel mit Fakten erreichen. Manchmal kann man eine Verschwörungserzählung für die Betroffenen dann noch dekonstruieren und sagen, da wird eine Unwahrheit behauptet.

Wenn man aber den Eindruck hat, die Menschen haben sich schon sehr weit in den Verschwörungsglauben verstrickt, können Fakten auch genau das Gegenteil bewirken. Dann kann es passieren, dass Leute sich sogar noch stärker in Verschwörungserzählungen eingraben. Trotzdem ist es dann wichtig, nicht den Kontakt zu verlieren, sondern irgendwie in Beziehung zu bleiben. Man hat da einen Marathon vor sich.

Man kann vielleicht noch auf der Ebene an die Leute herankommen, in dem man nach den Quellen fragt, indem man Quellenkritik übt. Wie kommt denn das, was du glaubst, zustande? Was sind das für Quellen auf die du dich beziehst? Wer hat da vielleicht ökonomische Interessen? Viele Verschwörungserzähler haben ja ein ökonomisches Interesse hinter ihren Äußerungen. Wichtig ist, dranzubleiben und zu sagen: Ich akzeptiere die Position nicht, die du vertrittst. Aber ich akzeptiere dich als Person.

Sie sprechen von einem Marathon: Auf welche „Strecke“ muss man sich einstellen?
Felix Steinbrenner

Man darf sich nicht erhoffen, dass sich das bei einem erwachsenen Menschen, wenn er sich manifest in so einen Verschwörungsglauben verstrickt hat, mit einem Gespräch erledigt hat. Erwachsene sind lernfähig, aber nicht sehr belehrbar. Es ist wirklich ein Marathon.

Beim ersten Aufschlag wird man fast unweigerlich auf Zurückweisung treffen. Wenn man dann aber dran bleibt, hat man eine Chance, Leute da herauszubegleiten.

Auf einer anderen Ebene kann es helfen, Bedürfnisse herauszukehren, die die Leute möglicherweise haben. Vielleicht sind die Leute einsam und brauchen eine Form von Zuneigung. Oder sie sind ökonomisch gebeutelt und brauchen vielleicht einen Termin bei der Schuldnerberatung. Mit Verschwörungsmythen kann man sich ja auch seine Schulden erklären. Dann ist die Weltveschwörung dafür verantwortlich. Nicht ohne Grund finden sich im Reichsbürger-Milieu viele Menschen, die in ökonomischen Lebenskrisen stecken. Wenn es die Bundesrepublik gar nicht gibt, kann sie ja auch kein Geld von mir wollen.

Es kann für den Verschwörungsglauben aber auch in der Persönlichkeit liegende Dinge geben, die im Laufe der Zeit sichtbar werden. Als Familienmitglied kann man das vielleicht sogar besonders gut herausfinden.

Ist es überhaupt ratsam, sich auf Diskussionen mit Verschwörungsgläubigen einzulassen?
Felix Steinbrenner

Da geht es auch um das Thema Zivilcourage. Wenn alle schweigen, verbreiten sich diese Positionen oft umso mehr. Es ist wichtig, dass man auch in der Öffentlichkeit den Mut hat, zu sagen: Ich sehe das anders. Das reicht zunächst auch schon, man muss gar nicht inhaltlich argumentieren. Aber es ist wichtig, damit nicht der Eindruck entsteht, alle sind stumm und die, die an die Verschwörungen glauben und sie verbreiten, sagen die Wahrheit.

Man muss sich auch überlegen, für wen man in eine Diskussion hinein geht. Wenn man sagt: „Ich sehe das anders“ hat man auch diejenigen im Blick, die zuhören. Die Dritten. Es ist auch wichtig zu sehen, dass verschwörungsgläubige Leute auf Widerspruch stoßen. Um sie zu verunsichern. Da ist die gesamte Gesellschaft in der Verantwortung.

Man kann das nicht nur in die Familien geben, das muss gesamtgesellschaftlich passieren. Wir sind in einer paradoxen Situation, in der die Vernünftigen und Verantwortungsvollen zur Hause bleiben und die Verschwörungsgläubigen auf die Straße gehen. Da kann der Eindruck entstehen, die Verschwörungsgläubigen wären in der Überzahl. Deswegen ist es wichtig, immer wieder ein Zeichen zu setzen.

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