Skip to main content

Landwirtschaft in Corona-Krise

Vom Herd auf den Spargelacker: So ist der Alltag für die Erntehelfer

In der Morgensonne glänzen die Folien auf den Spargeldämmen, der Wind fährt darunter, bläht sie auf, lässt sie tanzen. Bei der Anfahrt wirken die Felder des Iffezheimer Spargelbauern Stefan Schneider wie ein idyllisches Landschaftsgemälde. Doch beim Aussteigen wird sofort klar: Nur wer sich schnell „warmschafft“, hält das hier stundenlang durch.

Die sonnige Idylle täuscht: Die Erntehelfer arbeiten auf dem Iffezheimer Spargelfeld im eisigen Wind. Gastronomie-Fachleute springen diese Saison für osteuropäische Kräfte ein.
Die sonnige Idylle täuscht: Die Erntehelfer arbeiten auf dem Iffezheimer Spargelfeld im eisigen Wind. Gastronomie-Fachleute springen diese Saison für osteuropäische Kräfte ein. Foto: Schneider/Weisenburger

Es ist ein eisiger, scharfer Wind, der über den Acker pfeift. „Als die Leute heute früh ankamen, hatten wir nur ein Grad über Null“, sagt Hofbesitzer Schneider. Zu seinen Leuten gehört neuerdings auch Philipp Fleck. Normalerweise arbeitet er als Koch im Baden-Badener Kurhaus. Doch Normalität gibt es nicht mehr, seit die Corona-Pandemie die Gastronomie lahmgelegt hat und die meisten osteuropäischen Erntehelfer nicht mehr nach Deutschland einreisen können.

Nun hat Fleck eben als Spargelstecher in Iffezheim angeheuert. „Ich finde es schön, hier draußen an der frischen Luft zu arbeiten“, sagt der 30-Jährige gut gelaunt. Seinen Kopf hat er dick eingemummelt, um der Kälte zu trotzen. Es wirkt routiniert, wie der Koch zuerst ein Loch in die krümelige Erde gräbt, dann das Stecheisen ansetzt – und eine dicke Stange des „Weißen Goldes“ ans Licht holt.

Vom Herd auf den Spargelacker: Koch Philipp Fleck springt als Erntehelfer ein.
Vom Herd auf den Spargelacker: Koch Philipp Fleck springt als Erntehelfer ein. Foto: Schneider/Weisenburger

„Man kriegt schnell ein Gefühl dafür“, meint Fleck. „Wichtig ist, dass man ein Stückchen neben dem Spargel losgräbt – und dass man die Pflanze nicht anschneidet.“ Seine Berufserfahrung komme ihm auch zugute, wenn er abschätzen muss, wo er das scharfe Eisen ansetzen soll: „Ich weiß ja, in welcher Länge die Spargelstangen in der Küche angeliefert werden.“

Vor knapp einer Woche ist er vom Herd aufs Feld gewechselt. „In der Gastronomie sind wir ja nicht arbeitsscheu“, sagt er. „Aber man kriegt ganz anderen Respekt vor dem, was die rumänischen und polnischen Erntehelfer hier jedes Jahr leisten, bei Wind und Wetter.“

Da stimmen die anderen Neulinge auf dem Spargelfeld zu. Sie wissen, dass die „Profis“ aus Osteuropa schneller die Körbe füllen als die Neueinsteiger. Sie wissen es auch zu schätzen, dass ihnen Dauerregen bisher erspart blieb.

Eine heiße Dusche am Abend hilft. Man gewöhnt sich an alles.
Silvia Ketterer, 65-jährige Friseurin und Erntehelferin

Eine Erfahrung haben sie aber alle gemacht, nach stundenlangem Bücken: „Das spürt man in den ersten Tagen schon im Rücken“, gibt Dennis (28) zu. „Aber gleichzeitig ist das hier ein Fitness-Studio – und wir haben ein nettes Team.“

Kellner, Köche und Restaurantmanager sichern Frühernte

Dennis ist eigentlich stellvertretender Restaurantleiter in der Gastronomie-Hochburg Baiersbronn. Sieben Leute sind allein aus seinem Betrieb nach Iffezheim gekommen und stellen fast die halbe Mannschaftsstärke auf Schneiders Hof.

Kellner, Köche, Restaurantmanager sichern aktuell dort die Frühernte. Dass in Deutschland das zähe Klischee bejammert wird, einheimische Arbeitskräfte könnten keinen Tag auf dem Spargelacker durchstehen – das entlockt ihnen ein müdes Lächeln. „Wenn man will, schafft man alles“, meint Fleck – und fügt sarkastisch hinzu: „Ich frage mich nur, wo die Fridays-for-Future-Aktivisten geblieben sind? Jetzt, wo es drauf ankommt, könnten sie mal Zusammenhalt beweisen und helfen, die Ernte einzuholen.“

Alle aktuellen Entwicklungen zum Coronavirus im Überblick

Statt der Protestjugend arbeitet sich auch eine Frau im Rentenalter an den Iffezheimer Spargeldämmen entlang: Silvia Ketterer (65). Die Friseurmeisterin hat vor kurzem ihren Salon im Schwarzwald an ihre jüngere Schwester übergeben und ist nach Selbach gezogen.

Im Mini-Job hat sie noch stundenweise im Geschäft geholfen – bis alle Salons schließen mussten. „Dann habe ich gehört, dass Erntehelfer gesucht werden“, erzählt sie. „Ich habe früher schon Spargel bei Schneiders gekauft. Also dachte ich: Warum nicht?“ Scherzhaft bezeichnet sie sich selbst als „Dinosaurier“ unter den Helfern.

Wie ihre Knochen den Job verkraften? „Eine heiße Dusche am Abend hilft“, sagt Ketterer lachend. „Man gewöhnt sich an alles.“ Dass es bei dem Job auf dem Spargelhof auch um den Zuverdienst geht, ist klar. Zugleich beteuern die Neuen übereinstimmend: „Wir wollen auf keinen Fall nur zuhause rumhocken.“ „Das hier ist eine ehrliche Arbeit“, sagt Kellner und Barkeeper David Wimmer. „Man hat ein gutes Gefühl, wenn man abends heimkommt.“

Den gesetzlichen Mindestlohn von 9,35 Euro pro Stunde erhalten die Erntehelfer. Reich wird damit keiner, aber in der Krise hilft der Job mitunter die Miete zu sichern. „Es wäre schön, wenn alle das Geld komplett behalten dürften, sozialversicherungsfrei, so wie die ausländischen Saisonkräfte“, sagt Hofbesitzer Schneider.

Ich war angenehm überrascht, wie viele Helfer sich gemeldet haben.
Stefan Schneider, Spargelhof-Besitzer aus Iffezheim

Für Kurzarbeiter gilt ab 1. April: Sie dürfen so viel Geld abgabenfrei hinzuverdienen, bis ihr übliches Netto-Gehalt erreicht ist. Aber – eine Einkommenslücke bleibt trotzdem, betont ein 44-jähriger Helfer, der eigentlich Führungskraft in der Gastronomie ist und seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will: „In unserer Branche werden viele Zuschläge bezahlt, etwa für Feiertagsdienste – und die werden bei der Gehaltsberechnung nicht berücksichtigt“, sagt er. Diese Extrazahlungen, aber auch das Trinkgeld, fehlten den Kollegen nun.

Mehr zum Thema:

Einige Helfer arbeiten auch nur als 450-Euro-Jobber und bauen im Hauptberuf noch Urlaub ab. Wie viele der Aushilfen wohl bis Saisonende im Juni bleiben? „Sobald es in der Gastronomie wieder losgeht, sind wir weg“, sagt Dennis.

Für Schneider ist es eine Krux: Jetzt fallen die Restaurants als Spargel-Käufer weg. Öffnen sie, verliert er seine Arbeiter. Bleibt die Hoffnung auf Nachrücker aus anderen Branchen. „Ich war jetzt schon angenehm überrascht, wie viele Helfer sich gemeldet haben“, sagt Schneider. Vorerst zählt, was der erfahrene polnische Vorarbeiter Przemyslav Chmielewski über die Neuen sagt: „Ein sehr gutes Team, alles klappt“.

nach oben Zurück zum Seitenanfang