Am Mittwoch dieser Woche steht am Bühnenschiedsgericht in Berlin ein Prozess an. Eine Dramaturgin des Maxim Gorki Theaters klagt dagegen, dass ihr befristeter Vertrag nicht verlängert wurde.
Zwar sind Verträge an Theatern stets befristet und über Verlängerungen entscheidet die Theaterleitung. Doch genau hierin liegt der Knackpunkt: Die Dramaturgin klagt, weil sie die Nichtverlängerung als Folge ihrer internen Kritik am Führungsverhalten von Intendantin Shermin Langhoff versteht, wie der Berliner „Tagesspiegel“ berichtet.
Diese Konstellation birgt einiges an Sprengkraft. Die Berliner Theaterlandschaft ist ohnehin erschüttert durch die Belästigungsvorwürfe an der Volksbühne gegen den Intendanten Klaus Dörr, der bereits von seinem Amt zurückgetreten ist. Und das Maxim Gorki Theater gilt seit Langhoffs Amtsantritt 2013 als bundesweite Vorzeigebühne für eine Kultur, die sich für Gleichberechtigung und Multikulturalität sowie gegen Rassismus, Sexismus und überholte Herrschaftsstrukturen engagiert.
Unter Langhoff wurde das Gorki zwei Mal zum „Theater des Jahres“ gewählt, die Theaterchefin selbst ist eine viel gefragte Interviewpartnerin zu den oben erwähnten Themen und wurde 2017 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.
Nun liegt jedoch nicht nur die Arbeitsklage auf dem Tisch, sondern die Amtsführung von Langhoff insgesamt wird vehement in Frage gestellt. Und zwar mit Argumenten, die frappierend an die Karlsruher Theaterkrise vom vergangenen Sommer erinnern.
Bericht über „Klima der Angst“
So berichtet der „Spiegel“ in seiner aktuellen Ausgabe, 15 aktuelle und ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Theaters beklagten „eine toxische Arbeitsumgebung“. Im Mailverkehr zwischen Mitarbeitern und der Vertrauensstelle Themis sei die Rede von einem „Klima der Angst“. Beide Formulierungen kamen auch bei der Kritik aus dem Staatstheater Karlsruhe an dem mittlerweile vor dem Abschied stehenden Generalintendanten Peter Spuhler mehrfach vor.
Auch hieß es über Langhoff, als Anlass für Zornausbrüche würden Kleinigkeiten genügen, etwa „eine Formulierung in einem Programmzettel, die ihr nicht gefalle, eine Mitarbeiterin, die sie bei einer Sitzung vermisse“. Von ähnlichen Erlebnissen in Karlsruhe hatten im Sommer 2020 mehrere am Staatstheater Beschäftigte den BNN berichtet.
Mediationsprozesse hier wie dort
Die Parallelen gehen weiter: Laut „Spiegel“ hat es am Gorki-Theater bereits mehrere Mediationsprozesse gegeben. Der bislang letzte davon sei eingeleitet worden, weil auch nach zwei Mediationen noch im November 2019 neun Beschäftigte die Notwendigkeit sahen, die Schiedsstelle Themis zu informieren, was eher eine Zuspitzung als eine Befriedung der internen Konflikte vermuten lässt. Trotz dieser Vorgänge beschloss der Berliner Senat im Dezember 2020 eine Verlängerung von Langhoffs Vertrag bis 2026.
In Karlsruhe war 2015 eine Mediation eingeleitet worden, die erst im Dezember 2018 mit einer Betriebsvereinbarung abgeschlossen worden war. Noch im November 2018 hatten Vertreter der Belegschaft beim Kunstministerium in Stuttgart darum gebeten, Spuhlers damals bis 2021 laufenden Vertrag nicht weiter zu verlängern. Im Mai 2019 allerdings tat der Verwaltungsrat des Staatstheaters genau das – mit einer Laufzeit bis 2026.
Personalfluktuation als weitere Parallele
Damit nicht genug: Die Krise am Staatstheater hatte sich unter anderem abgezeichnet durch eine auffällig hohe Personalfluktuation. Am Gorki verlassen laut „Spiegel“ die meisten der neun Beschäftigten, die sich über Langhoff beschwert haben, das Theater zum Ende der Spielzeit. Im Statement ihres Anwalts auf die „Spiegel“-Anfrage habe Langhoff mitgeteilt, Fluktuation am Theater sei ein normaler Prozess. Ähnliches war in Karlsruhe oft von Spuhler selbst zu hören gewesen, aber auch aus dem Kunstministerium.
Vergleichbar ist auch die Fallhöhe: Bis zur öffentlichen Debatte über sein Verhalten agierte Spuhler öffentlichkeitswirksam als eloquent-charmanter Leiter eines Hauses, das sich Gleichberechtigung, Toleranz und Menschenrechte auf die Fahnen schrieb. Langhoff galt bislang als streitbare, aber integre Theaterfrau, die mit „postmigrantischem Theater“ konstruktiv an der Überwindung alter Abgrenzungsmechanismen arbeitete und gezielt auf Teambuilding setzte. In einem taz-Interview von 2014 kommentierte sie die Beobachtung, am Gorki-Theater sei das Ensemble der Star, mit dem Satz, in dieser Form der Theaterarbeit dürfe es „keine Arschlöcher geben“.
Selbstverständnis und Werte stehen in Frage
In diesem Satz spiegelt sich ein Selbstverständnis des Theaters, das nun ins Wanken gerät: Gerade weil viele Bühnen in den vergangenen Jahren inhaltlich verstärkt auf die Darstellung von Werten gesetzt haben, ist die Irritation um so größer, wenn sich herausstellt, dass diese Werte intern nicht gelebt werden.
Fachleute sehen hierin allerdings weniger eine bewusste Täuschung durch Theaterleiter mit Doppelmoral, sondern die Auswirkungen der unzeitgemäßen Allmacht des Intendantenamtes. Diese führe Theaterleiter „in die Falle vermeintlichen Omnipotenz“, warnt der Frankfurter Theatermanagement-Professor Thomas Schmidt, der seit längerem für eine Aufteilung von Leitungsverantwortung plädiert.
Auffällig in diesem Zusammenhang: Bis 2019 leitete Langhoff das Gorki-Theater gemeinsam mit dem Dramaturgen Jens Hillje. Den Berichten ist zu entnehmen, dass die internen Probleme deutlich zugenommen haben, seit Langhoff durch Hilljes Weggang zur alleinigen Chefin geworden ist.