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Neues Projekt soll helfen

Warum die meisten Daten in der Corona-Krise nur wenig aussagekräftig sind

Selten waren Zahlen, Daten und Statistiken so gefragt wie in der Corona-Krise. Politiker richten sich etwa nach ihnen, wenn sie über Kontaktsperren entscheiden. Die meisten Werte haben allerdings nur eine geringe Aussagekraft. Doch es gibt Hoffnung.

An Daten mangelt es beim Thema Corona nicht. Doch die meisten sind nur wenig aussagekräftig.
An Daten mangelt es beim Thema Corona nicht. Doch die meisten sind nur wenig aussagekräftig. Foto: dpa

Bunte Balkendiagramme, Schaubilder mit mehr oder weniger stark steigenden Kurven, Tabellen, in denen sich Zifferkolonnen tummeln – Werkzeuge, mit denen sich sonst nur Statistikfreaks und Mathematiklehrer freiwillig herumschlagen, sind in der Corona-Krise plötzlich gefragt.

Politiker rechtfertigen damit Ausgangsbeschränkungen, Medienschaffende nutzen sie zur Veranschaulichung der Pandemie, Wissenschaftler erhoffen sich von ihnen Erkenntnisse über die Ausbreitung des Virus.

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Und der Normalbürger sucht im Dickicht der Kurven und Zahlen eine Antwort auf die Frage aller Fragen: Wie gefährlich ist es denn nun wirklich, das Virus? Dass die Pandemie das Potenzial besitzt, eine Katastrophe auszulösen, zeigt ein Blick nach Italien oder New York. Aber wie bedrohlich ist die Situation gerade in Deutschland?

Was genau ist mit Zahl der Infizierten gemeint?

Es mag ernüchternd klingen, aber die meisten der kursierenden Werte lassen keine verlässliche Antwort zu. Bei einigen von ihnen ist bereits die Bezeichnung irreführend.

Die sogenannte Zahl der Infizierten, von der oft die Rede ist, verlangt zum einen nach einer Präzisierung: Geht es nun darum, wie viele sich an einem Tag neuinfiziert haben, wie viele aktuell infiziert sind oder geht es um die Gesamtzahl aller Infizierten seit Ausbruch der Pandemie, zu der auch die verstorbenen oder wieder genesenen Menschen gerechnet werden müssen?

Wird mehr getestet, steigt wohl auch die Fallzahl von Covid-19

Zum anderen hält der Begriff – ganz egal, was nun genau gemeint ist – nicht, was er verspricht. Wie viele Menschen in Deutschland tatsächlich das Coronavirus in sich tragen oder getragen haben, weiß keiner.

Bekannt ist lediglich, bei wie vielen Menschen ein entsprechender Test positiv ausgefallen ist. Und diese Zahl hängt in nicht unerheblichem Maße davon ab, wie oft und unter welcher Voraussetzungen getestet wird. Das Robert-Koch-Institut (RKI) hat in Kalenderwoche 11, also zwischen dem 9. und 15. März, deutschlandweit gut 127.000 Tests erfasst, wovon rund 7.500 (5,9 Prozent) positiv ausfielen.

In der Folgewoche waren bereits knapp 24.000 (6,8 Prozent) positiv, allerdings hatte sich auch die Zahl der Tests auf mehr als 348.000 massiv erhöht. Wird mehr getestet – etwa weil die Kriterien hierfür gelockert wurden –, ist auch mit einem Anstieg der Corona-Diagnosen zu rechnen.

Die Gruppe der Getesteten ist nicht repräsentativ

Das Ganze funktioniert genauso in die andere Richtung: Geht die Zahl der Tests zurück, etwa weil die Kapazitätsgrenze erreicht ist, könnten dadurch auch weniger Infektionen erfasst werden. Laut RKI haben in der letzten Märzwoche (23. bis 29.) bereits 86 Labore Lieferengpässe gemeldet und drei Labore angekündigt, ihre Kapazitäten notgedrungen zu reduzieren.

Und was ist mit dem relativen Anteil, also der Zahl der positiven geteilt durch die Zahl aller Tests? Auch dessen Aussagekraft ist begrenzt, denn die Gruppe der Getesteten, in der Regel Menschen mit Symptomen oder aus der Risikogruppe, ist sehr wahrscheinlich nicht repräsentativ für die Gesamtbevölkerung.

Neue Projekte könnten Licht ins Dunkle bringen

Müssen wir uns also damit abfinden, bei der Gesamtzahl der Infizierten im Dunkeln zu tappen? Nicht unbedingt. Es gibt eine Chance, der sogenannten Dunkelziffer auf die Schliche zu kommen. „Dazu bräuchte es eine vollständige Testung einer repräsentativen Stichprobe aus der Bevölkerung“, schreibt das .

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Das Kieler Institut für Weltwirtschaft erhebt die gleiche Forderung, da es „die Unsicherheit über tatsächliche Corona-Fallzahlen als erhebliches Problem für angemessene politische Entscheidungen“ sieht.

Die Nutzung einer repräsentativen Stichprobe, bei Wahl-Umfragen oder der Ermittlung von TV-Einschaltquoten gang und gäbe, könnte also helfen.

Die Politik scheint das inzwischen verstanden zu haben. In München begann am Sonntag die bislang größte Studie zur Corona-Verbreitung in Deutschland, bei der Menschen aus 3.000 Haushalten auf Antikörper gegen Sars-CoV-2 getestet werden sollen. Die Ergebnisse könnten auch Rückschlüsse auf die Situation in anderen deutschen Großstädten zulassen.

Das Projekt soll Vorläufer für eine bundesweit angelegte Studie mit 100.000 Probanden sein, die das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig koordiniert.

Hohe Dunkelziffer könnte Coronavirus etwas von seinem Schrecken nehmen

So könnte man der Dunkelziffer, die manche Experten als fünf-, andere als zehnmal so hoch wie die erfassten Werte einschätzen, auf die Spur kommen. Aber welche Folgen hätte eine hohe Anzahl an nicht-erfassten Fällen überhaupt?

Einerseits bestünde dadurch die Gefahr, dass sich die Pandemie schneller als bekannt ausbreitet, denn schließlich sind auch die nicht-diagnostizierten Virusträger ansteckend.

Andererseits könnte paradoxerweise gerade eine hohe Dunkelziffer dem Virus ein wenig von seinem Schrecken nehmen, denn der Großteil der nicht nachgewiesenen Fälle dürfte ohne oder mit nur milden Symptomen davongekommen sein. „Je mehr durchgemachte Infektionen nachgewiesen werden, desto besser. Denn jeder unbemerkte Fall lässt den Anteil der schweren Erkrankungen unter allen Infizierten schrumpfen“, sagte der Freiburger Statistikexperte Gerd Antes zuletzt dem „Spiegel“.

Auch die Zahl der Corona-Toten ist nicht wirklich verlässlich

Je mehr Infizierte es tatsächlich gibt, umso geringer ist die Wahrscheinlichkeit, an Corona zu sterben, auch Letalität genannt. Doch die knifflige Suche nach der wirklichen Zahl der Infizierten ist nicht das einzige Hindernis bei der Bestimmung der Letalität.

Auch die Anzahl der Corona-Toten, die auf den ersten Blick exakt bestimmbar scheint, ist alles andere als verlässlich. Auf der einen Seite dürfte es auch hier eine Dunkelziffer geben: Nicht jeder, der an Corona stirbt, wurde vorher getestet.

Auf der anderen Seite ist nicht immer klar, ob die Erkrankung an dem Virus tatsächlich auch zum Tod geführt hat. „Stirbt jemand am oder mit dem Virus? Das lässt sich kaum auseinanderdividieren“, sagt Antes.

Und so dürfte es noch ein ziemlich steiniger Weg sein, bis eines Tages wirklich aussagekräftige Zahlen vorliegen. Bis dahin ist Vorsicht nicht der schlechteste Ratgeber, denn eines lässt sich anhand der bislang gesammelten Daten mit großer Sicherheit sagen: Die Pandemie ist für ältere Menschen und solche mit Vorerkrankungen sehr gefährlich.

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