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Von Fleisch- und Körnerfresser

"Was kannst du dann noch essen?" – ein Selbstversuch in Veganismus

Rund eine Million Veganer leben in Deutschland, Tendenz steigend. Dazu kommen immer mehr Menschen, die regelmäßig vegane Kost in ihren Alltag einbauen. Doch wie ist es eigentlich, vegan zu leben? Unsere Autorin wagte den Selbstversuch.

IMMER HER MIT DEM GEMÜSE: Unsere Redakteurin Martha Steinfeld versuchte sich zwei Monate lang an einer veganen Ernährung.
Immer nur her mit dem Gemüse: Unsere Redakteurin Martha Steinfeld versuchte sich zwei Monate lang an einer veganen Ernährung. Foto: privat

Er ist seit Jahren in aller Munde: der Veganismus. Lange ließen sich die Meinungen darüber klar in zwei Lager teilen: Auf der einen Seite die überzeugten Fleischesser, die für die „Körnerfresser“ nur Sprüche wie „Ihr esst meinem Essen das Essen weg“ übrig hatten. Auf der anderen diejenigen, die vegan essen und ihre Ernährung und die dahinterliegende Weltanschauung oft unaufgefordert in die Welt riefen.

Heutzutage sind diese harten Fronten um einiges weicher. Rund eine Million Veganer leben laut Vegetarierbund Deutschland in der Bundesrepublik. Tendenz steigend. Dazu kommen immer mehr Menschen, die regelmäßig vegane Kost in ihren Alltag einbauen. Doch wie ist es eigentlich für einen normalen Fleischesser, vegan zu leben? Unser Redaktionsmitglied Martha Steinfeld wagte einen Selbstversuch – mit nachhaltigen Folgen.

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Einseitig ist auch eine komplett tierproduktfreie Ernährung nicht. Im Gegenteil: Wer vegan isst, probiert wahnsinnig viel Neues. Foto: © marilyn barbone / Adobe Stock

Woche eins

Veganismus beginnt mit einem Großeinkauf im Biomarkt. Sojamilch, Quinoa, Matchapulver, Amaranth, Mandelmus und Tofu – das hatte ich vorher selten bis nie zu Hause. Und das braucht man, um vegan zu leben. So sagt es jedenfalls Attila Hildmann, der als Person umstrittene, aber eindeutige Papst des Veganismus in Deutschland. Also packe ich Nüsse, Körner, Getreide und Unmengen an Gemüse in den Einkaufswagen und blättere dafür knapp über 200 Euro hin.

Am Abend folgt gleich der erste Test: Wir sind bei Freunden zum Essen eingeladen. Anstatt Steak braten sie mir Zucchinistreifen an. „Was kannst du dann noch essen?“ fragen sie. Und als ich mit meinen Ausführungen über vegane Ernährung fertig bin: „Was ist mit Honig? Ist der vegan?“ Wir lösen diese Frage schließlich mit Hilfe des Internets. Beziehungsweise lösen sie nicht, denn Honig ist zwar nicht vegan (weil von Tieren), aber Veganer sind diesbezüglich gespalten. Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß: Diskussionen wird es noch viele geben.

Woche zwei

Die größte Veränderung ist eine, die ich in ihrem Ausmaß vor dem Selbstversuch gnadenlos unterschätzt hatte: Wer auf vegane Ernährung umstellt, ist gezwungen, sich mit Essen auseinanderzusetzen. Für mich heißt das erst mal verstehen, wie viele Tierprodukte meine Familie und ich zu uns nehmen. Rund 60 Kilogramm Fleisch isst ein Mensch in Deutschland laut Heinrich-Böll-Stiftung durchschnittlich pro Jahr. Dazu kommen nach Angaben des Milchindustrie-Verbands durchschnittlich 55 Liter Milch, 24,5 Kilo Käse und an die sechs Kilo Butter. Tierprodukte sind überall: Auf den Brötchen, die es beim Bäcker zu kaufen gibt, in der mit Rinderbouillon gekochten Gemüsesuppe der Kantine, und auf den butterglänzenden Nudeln im Restaurant.

Auseinandersetzen heißt deshalb auch: Ich muss nun fast alles selbst kochen. Mal eben was auf die Hand kaufen, das geht nur noch im Biomarkt. Klar kann man sich das vegane Leben einfach machen und jeden Tag (eierfreie) Nudeln mit Tomatensoße essen. Da das erstens langweilig und zweitens auf Dauer ungesund wäre, lese ich mich ein, frühstücke Müsli mit Hafermilch, koche sonntags große Mengen Vollkornreis oder Quinoa vor, wie es Ella Woodward in ihrem Buch „Deliciously Ella“ vorschlägt, lerne neues Gemüsesorten kennen und bereite Leinsamen-Cracker und Kokos-Riegel als Snacks für zwischendurch zu. Das ist erst einmal viel Arbeit, aber so lehrreich, dass es mir nicht wie Arbeit vorkommt.

Weißt du, vegan ist ja ok, aber....

Woche drei

„Weißt du, vegan ist ja ok, aber was ich nicht verstehe, ist, warum man sich dann Essen kauft, das wie Fleisch aussieht und nicht schmeckt“, sagt ein Kollege in der Mittagspause mit Blick auf meine veganen Würstchen. Es ist nicht das erste Mal, dass ich auf den Sinn von Fleischersatzprodukten angesprochen werde. Und auch wenn ich ihm darin Recht geben muss, dass ein großer Teil dieser Produkte (nach) wenig schmeckt – und aus ökologischer Sicht oft problematisch ist – erkläre ich, dass viele Menschen aus ethischen oder Gesundheitsgründen vegan leben und ihr Schnitzel eben vermissen. Oder – was mich betrifft – denen ohne Fleisch ein Medium fehlt, auf das sie Senf schmieren können. Für mich Grund genug für Sojawurst.

Was ich ihm nicht sage: dass mich das viele Fleisch auf seinem Teller jeden Tag ein bisschen mehr anekelt. Denn mein Geschmack ändert sich. Je länger es her ist, dass ich Fleisch gegessen habe, desto weniger mag ich es. Und je mehr Gemüse ich esse, desto mehr Lust habe ich darauf.

Woche vier

Meine größte Angst vor dem Selbstversuch war, nicht satt zu werden. Völlig unberechtigt, stelle ich nun fest. Unmengen an Gemüse und Obst füllen den Magen gut. Ein Eintopf aus Dinkelkörnern und Pilzen hält mich einen halben Tag lang bei der Stange. Und Quinoa wird zu meiner Allzweckwaffe: Das Pseudo-Getreide, das man gewürzt und mit ein bisschen gebratenem Gemüse schnell essfertig machen kann, scheint in meinem Magen auf die doppelte Größe anzuwachsen und macht mich so satt wie nichts jemals zuvor.

Und nicht nur meine Ernährung ist inzwischen umgestellt: Auch meiner Familie setze ich drastisch weniger Fleisch vor. Und weil ich mich nun auch mit Themen wie Massentierhaltung und Nahrungsmittelproduktion im Allgemeinen auseinandersetze, kaufe ich solches nur noch beim Metzger, der genau weiß, woher seine toten Tiere kommen.

Woche fünf

Vier Wochen. So lange sollte mein veganer Selbstversuch gehen. Aber ich möchte nicht aufhören, auch wenn mir der Anblick eines Käsebrotes ab und zu einen Stich der Sehnsucht versetzt. Doch zu viele Rezepte habe ich noch nicht ausprobiert: etwa Linsen mit Nudeln und karamellisierten Zwiebeln, ein libanesisches Gericht aus dem Kochbuch „Immer schon vegan“. Oder den veganen Karottenkuchen , den ich mir auf der Webseite eines veganen Foodblogs markiert habe.

„Machst du dir keine Sorgen, dass es dir an Proteinen mangelt?“, fragt eine Bekannte, die unglücklich damit ist, dass ich ihre Bolognesesoße verschmähe und mir stattdessen geschnittene Avocado, Olivenöl und Zitronensaft auf die Spaghetti werfe (was übrigens lecker ist). Eine Frage, die ich inzwischen beantworten kann: Vegan zu leben ist, exakt wie das Leben mit Fleisch, dann gesund, wenn man auf seine Ernährung achtet. Wer täglich besagte Nudeln mit Tomatensoße isst, bekommt sicher Mangelerscheinungen. Wer darauf achtet, ausgewogen zu essen und seine Nährstoffe in pflanzlicher Form zu sich zu nehmen, dem wird es an nichts mangeln.

Woche sechs

Die Erkenntnis kommt überraschend: Meine Hose ist plötzlich zu weit. Ein Effekt, den ich bisher nur umgekehrt kannte. Die Waage gibt Gewissheit: Ich habe abgenommen, mehrere Kilogramm. Kein Wunder aber, wenn man bedenkt, dass ich nicht mehr in alte Ernährungsfallen tappe. Heißhunger? Statt in der offenen Kühlschranktür stehend ein paar Scheiben Schinken in mich hineinzuschaufeln, mache ich mir nun ein Avocadobrot. Lust auf Süßes? Dagegen gibt es einen Kokos-Dattel-Ball. Und wenn ich einen solchen nicht vorbereitet habe (was oft der Fall ist), dann eben Apfelschnitze mit Erdnussmus.

Und noch etwas anderes fällt mir auf. Die Neurodermitis, mit der meine Haut auf stressige Zeiten reagiert, ist wie weggeblasen. „Das ist, weil Sie die Milchprodukte weglassen“, sagt mein Hautarzt.

Das machst du jetzt aber nicht für immer?

Woche sieben

„Das machst du jetzt aber nicht für immer?“, werde ich inzwischen öfter besorgt gefragt. Und ich gebe zu, dass das wahrscheinlich stimmt. Mit dem Veganismus an sich hat das wenig zu tun. Es ist in meiner Lebensphase mit Beruf und Familie einfach nur etwas schwierig, so viel Zeit in Kochen zu investieren.

Meine Weltanschauung hat sich trotzdem geändert. Und parallel auch meine Geduld mit dem alten Lager der überzeugten Fleischesser. Als ein Bekannter mir erklärt, ich „hätte ja nicht wirklich vegan gelebt, weil ich noch Lederschuhe trage“, erkläre ich ihm, dass es besser ist, ein bisschen was richtig zu machen als gar nichts. „Jetzt redest du wie ein Körnerfresser“, denke ich mir. Und es macht mir überhaupt nichts aus.

Woche acht

Zwei Monate habe ich nun vegan gelebt. Und obwohl ich mir nach dem offiziellen Ende meines Selbstversuchs als erstes ein schönes Stück Lachs brate, steht auf dem Essensplan meiner Familie fortan so viel Vegetarisches und Veganes wie möglich. Und warum auch nicht? Zu lecker und einfach sind die Rezepte von Autoren wie Anna Jones , die in ihrem Buch „a modern way to eat“ gute Ideen zusammengetragen hat. Zu familientauglich die Rezepte des schwedisch-dänischen Paares Luise Vindahl und David Frenkiel und ihrer „grünen Küche für jeden Tag“ .

Und was mich persönlich angeht, habe ich beschlossen, gar kein Fleisch mehr zu essen. Mit Erfolg. Wie ich das so sicher sagen kann? Das ist ganz einfach: Mein veganer Selbstversuch ist nämlich inzwischen zwei Jahre her. Und bisher habe ich mich daran gehalten.

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