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Der doppelte Max

Weihnachten 1944: Ein Max ist im Krieg, der andere auf dem Weg dahin

Wir waren im September 1944 in Karlsruhe total ausgebombt worden. Über meine Freundin, deren Eltern aus dem Albtal stammten, bekamen wir dort eine kleine Wohnung. Ein kleines Zimmer, eine Küche und ein Plumpsklo, das wir mit anderen teilen mussten. Ein Maler strich den Küchensockel hellblau und die Wände weiß und mit einer Schablone zauberte er kleine blaue und rote Vögel auf die weißen Wände.

Sieglinde Vater aus Karlsruhe mit ihren Vater Max
Der doppelte Max: Sieglinde Vaters Vater kam aus dem Krieg zurück, ihr Weihnachtsgast Max blieb dort. Foto: Privat

Unser einziger, von den Bomben geretteter, Schatz, eine große Kiste. Sie wurde auch hellblau gestrichen und diente als Sitzbank vor dem geliehenen Tisch. Die Oma meiner Freundin hatte eine Wirtschaft im Dorf und von ihr bekamen wir drei Stühle und das ausgediente Oberteil einer Gläservitrine das, auch blau angestrichen, prima als Küchenschrank diente. Auch gab’s für jeden von uns Geschirr und Besteck. Es war ganz gemütlich mit dem Tischtuch von daheim aus der Schatztruhe. Es gab einen kleinen, rechteckigen Herd, den wir selbst auf einem Leiterwagen über den Berg von Malsch abholten.

Am Morgen des Heiligen Abend 1944 ging der Ortsbüttel mit seiner Glocke durchs Dorf und bat die Einwohner, sich der Soldaten einer durchziehenden Kompanie anzunehmen und diese zum Essen einzuladen,weil keine Feldküche vorhanden sei. Meine Mutter wollte auch einen Soldaten einladen - in Gedanken an meinen in Russland vermissten Vater. Und so bekamen wir einen 18 jährigen, mit Ohrenweh behafteten, Soldaten und er hieß: Max, wie mein vermisster Vater. Er war aus Bayern und sehr scheu und zurückhaltend. Ich war 14 Jahre alt und weil er Max hieß, bildete ich mir heimlich ein, er wäre mein, immer schon so sehr gewünschter, großer Bruder.

Meine Mutter machte ihm als erstes einen heißen Kartoffelwickel in einem Handtuch aufs Ohr. Zu Essen gab’s : Rohe Kartoffelscheiben auf der blanken Herdplatte gebraten, wir hatten kein Fett für die Pfanne, selbst eingelegte, fein gehobelte, saure Rüben (wie Sauerkraut) und einen Ring Griebenwurst mit Zwiebel, den meine Mutter sich beim Ortsmetzger verdient hatte.

Sie war Schneiderin, nähte und flickte Wäsche manchmal in der Metzgerei und ließ sich mit Waren bezahlen. Eine geliehene Nähmaschine half uns oft mit ein paar Liter Milch oder gar einem Brotlaib den ewigen Hunger zu stillen. Meine Mutter arbeitete immer und wurde auch ausgenutzt, denn die Sympathie für die Ausgebombten und Flüchtlinge, hielt sich bei den Bauersleuten in Grenzen. Wir hatten ja nichts mehr, wie z.B. Silberbesteck oder andere Wertsachen, gegen Lebensmittel einzutauschen. Ach Jeh! Jetzt hab ich in Gedanken an meine immer für mich und Opa sorgende Mutter den Faden verloren....... also zum Nachtisch gab’s: Apfelkompott und den Brombeerblättertee sogar mit Zucker und den nur wegen Max.

Es gab nur drei Teller, so aß meine Mutter aus der Griebenwurstpfanne, selbstverständlich wurde die Griebenwurst vorher aufgeteilt, meine Mutter verzichtete auf ihren Anteil und gab ihn Max. Sein Ohrenweh hatte nachgelassen und wir lachten über seinen Kartoffelturban und er selbst taute richtig auf und fühlte sich wohl bei uns. Er erzählte schlimme Sachen vom Krieg, von seinem ewigen Heimweh und der Sorge um seine Eltern, die Bauern waren und seine Hilfe benötigten, da sein Vater Hand amputiert war,musste er zwar nicht in den Krieg, aber Max fehlte an allen Ecken und Enden. So verging der Heilige Abend wunderschön für uns alle und wir weinten alle beim Abschied von Max Rotz und Wasser. Selbst mein Opa war so traurig, dass er Max als Schutz ein geweihtes Marienbildle aus seinem, aus den Trümmern geretteten, Gesangbuch schenkte. Beide, Opa und Max waren katholisch! Von Max hörten wir nichts mehr. Im Januar 1945 kam von seinen Eltern ein rührender Dankesbrief aus Bayern, weil wir ihren einzigen Sohn Max so gut und lieb am Heiligen Abend aufgenommen haben und dass er jetzt in Russland sei. Im Februar bekamen wir von den Eltern einen zweiten Brief: Dass Max in Russland gefallen ist - und Sie nicht wissen, für was Sie noch leben? Max, mein heimlicher großer Bruder, ist in Russland geblieben. Max, mein Vater, kam Ende 1947 aus russischer Gefangenschaft zurück.

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