Skip to main content

Ladenschließungen wegen Corona

Werden die Deutschen wegen geschlossener Friseursalons ein Volk von Hippies?

Für Ästheten und die Anhänger eines gepflegten äußeren Erscheinungsbildes ist es eine Horrorvorstellung: Kehren wegen der Corona-Pandemie die Hippies der späten 60-er und 70-er Jahre mit ihrem langen, wallenden Haar und den dichten Rauschebärten zurück?

Seit die Friseursalons geschlossen haben, droht Haar- und Bartwildwuchs in Deutschland. Die Nachfrage nach Rasierapparaten und Haarfärbemitteln für den häuslichen Gebrauch ist bereits gestiegen.
Seit die Friseursalons geschlossen haben, droht Haar- und Bartwildwuchs in Deutschland. Die Nachfrage nach Rasierapparaten und Haarfärbemitteln für den häuslichen Gebrauch ist bereits gestiegen. Foto: Imago Images

Wird das berühmt-berüchtigte „Vokuhila“, Abkürzung für „vorne kurz, hinten lang“, das in den 80-ern megaschick war, eine Renaissance erleben? Oder entsteht in den nächsten Wochen ein völlig neuer Haarstil, die Corona-Matte? Manche befürchten gar, dass das Haarnetz zurückkommt.

Alle aktuellen Entwicklungen zum Coronavirus im Überblick

Und das nur, weil wegen der Corona-Pandemie seit Montag alle Frieursalons geschlossen sind und die Kundinnen und Kunden auf unbestimmte Zeit nicht mehr ihre Haare schneiden lassen können.

Zum Hippie gehört mehr als nur der üppige Haarschopf.
Eric Schneider, Vorstandsmitglied der Friseur- und Kosmetikinnung Karlsruhe/Bretten

Fragen über Fragen. Eric Schneider, Friseurmeister in der Karlsruher Innenstadt und Vorstandsmitglied der Friseur- und Kosmetikinnung Karlsruhe/Bretten, kann darüber nur lachen. „Nein, die Hippies kommen so schnell nicht zurück“, sagt er den BNN. „Allenfalls äußerlich. Aber zum Hippie gehört ja mehr als nur ein üppiger Haarschopf.“

Ähnlich sieht es Richard Niederbühl, Obermeister der Friseurinnung Bruchsal.  „Selbstverständlich liegt uns das Erscheinungsbild mit Schnitt, Farbe, Styling am Herzen – aber wir glauben nicht, dass der bisher gepflegte Kunde zum Hippie wird und selbst zur Schere greifen muss.“

Das Haar wächst ein bis 1,5 Zentimeter pro Monat

Dagegen sprechen schon die reinen Zahlen. Im Durchschnitt wächst das Haar um 0,3 bis 0,5 Millimeter pro Tag, das sind ein bis 1,5 Zentimeter pro Monat und zwölf bis 15 Zentimeter im Jahr. Im Sommer wächst es etwas schneller als im Winter und während der Nacht langsamer als tagsüber. Im Alter lässt das Wachstum nach, bei älteren Männern kann es sich sogar komplett einstellen.

Wie lange es dauert, bis aus einem Kopf mit einem gepflegten Kurzhaarschnitt ein Haupt mit üppig wallendem Haarschmuck und prächtigen Locken wird, zeigt ein Blick nach Oberammergau: Für die – mittlerweile abgesagten – Passionsspiele, die im Mai beginnen sollten, wurde für alle Darsteller bereits vor einem Jahr, am Aschermittwoch 2019, der Befehl erteilt: Haareschneide verboten, die Männer wurden zudem aufgefordert, sich die Bärte wachsen zu lassen – 14 Monate vor der Premiere.

Auch interessant:

Drogeriemärkte verspüren Nachfrage nach Haarcolorationen und Rasierapparaten

Entsprechend gelassen beurteilt der Karlsruher Friseurmeister Eric Schneider die Lage. „Eine Schließung der Salons für 14 Tage oder drei Wochen ist verkraftbar.“ Gleichwohl spüren die Drogeriemärkte in der Region bereits, dass das Thema Haarpflege die Kundinnen und Kunden umtreibt.

Wir beobachten die Entwicklung und bereiten uns auf eine steigende Nachfrage vor.
dm-Geschäftsführer

„Wir bei dm können aufgrund der Schließung von Friseursalons eine steigende Nachfrage nach Haarcolorationen und Rasierapparaten verzeichnen“, sagt der für Marketing und Beschaffung zuständige Geschäftsführer der Karlsruher Drogeriemarktkette dm auf BNN-Nachfrage. „Wir beobachten die Entwicklung und bereiten uns auf eine steigende Nachfrage vor.“

Wer wäscht den älteren Frauen nun die Haare?

Was Eric Schneider und seinen Kolleginnen und Kollegen größere Sorge bereitet, ist die Tatsache, dass noch immer viele ältere Kunden, vor allem Frauen, mindestens einmal pro Woche in die Salons kommen, um sich die Haare waschen, einlegen und föhnen zu lassen.

Alle Informationen gibt es auf bnn.de/coronavirus

„Für diese Personen ist die Schließung der Salons ein gewaltiger Einschnitt“, sagt der Friseurmeister. Sie seien es nicht gewohnt, sich selber die Haare zu waschen. „Nun sind sie darauf angewiesen, dass jemand zu ihnen nach Hause kommt, um die Haarpflege vorzunehmen.“

Friseure dürfen keine Hausbesuche machen

Die Friseure dürfen das nicht. Nach der Verordnung des Landes Baden-Württemberg sind ihnen Hausbesuche ausdrücklich untersagt, sowohl zum Waschen als auch zum Schneiden.

„Das einzige, was wir dürfen, ist, bestimmte Haarpflegeprodukte auszuliefern, auf die unsere Kunden angewiesen sind.“  Aber diese müssten vor der Türe abgelegt werden, die Wohnung dürfte nicht betreten werden.

Um Kunden und Mitarbeiter zu schützen, war und ist es notwendig zu schließen.
Richard Niederbühl, Obermeister aus Bruchsal

Für die Anordnung, die Salons zu schließen, gibt es bei den Friseuren in der Region großes Verständnis. „Um Kunden und Mitarbeiter zu schützen, war und ist es notwendig zu schließen“, sagt der Bruchsaler Obermeister Richard Niederbühl.

„Wir sind täglich ganz nah am Kunden dran und können zu diesem keinen geforderten Abstand einhalten.“ Bei mehr als 200.000 Beschäftigten bundesweit und beispielsweise fünf Kunden pro Tag seien dies täglich eine Million Kundenkontakte. „Im Zeitalter von Corona unverantwortlich“, so Niederbühl.

Viele Betriebe leben von den Tageseinnahmen

Für viele Betriebe, auch in der Region, gehe es nun aber ums nackte Überleben. „Die meisten Geschäfte sind kleine Personenunternehmen mit geringer Liquidität“, schildert Schneider die Situation der knapp 100 Mitgliedsbetriebe in der Innung Karlsruhe/Bretten. Man lebe von den Tageseinnahmen.

Die würden nun wegfallen, während die Fixkosten für Miete, Pacht, Strom, Wasser, Versicherungen und Löhnen weiter zu Buche schlagen. „Zwei, drei Wochen wären überschaubar, aber wenn es deutlich länger dauert, kommen unschöne Zeiten auf uns zu“, orakelt der Karlsruher Friseurmeister.

Sein Bruchsaler Kollege setzt auf die versprochene Wirtschaftsförderung von Bund und Land für Kleinbetriebe und Selbstständige: „Wir hoffen, dass all die Maßnahmen zur Überwindung der Coronakrise fruchten und wir bald wieder mit Elan und Leidenschaft unserem Beruf, unserer Berufung, nachgehen können.“

nach oben Zurück zum Seitenanfang