Zugegeben: Hygienisch ist das Händeschütteln nicht. Aber gerade wir Deutschen hatten dieses Ritual so sehr intus, dass es uns zu Beginn der Corona-Krise noch sehr schwer fiel, darauf zu verzichten. Nach fünf Wochen ohne, scheint der Handschlag wie eine ferne Erinnerung. Hat Corona ihm endgültig den Todesstoß versetzt?
Vom Beginn der Corona-Krise gibt es ein Video, das die Problematik mit dem Händeschütteln eindrucksvoll aufzeigt. Bundeskanzlerin Angela Merkel geht lächelnd auf den bereits am Tisch sitzenden Innenminister Horst Seehofer zu. Freudig streckt sie ihm die Hand zum Gruß entgegen.
Seehofer dreht sich der Kanzlerin ein wenig schwerfällig entgegen. Skeptisch blickt er auf ihre Hand und verweigert mit einer ablehnenden Geste den Handschlag. Der Bruchteil einer Schrecksekunde muss vergehen, ehe die Kanzlerin erkennt, dass weder politische Animosität noch grob bayerische Granteligkeit hinter der Verweigerung stecken. Corona heißt die Lösung. Alles gut.
Oder auch nicht. Das Virus verändert unsere Welt gerade auf die absonderlichsten Arten und Weisen. Galt die Zurückweisung einer ausgestreckten Hand bisher als rüde und unhöflich, wirkt die Geste nun geradezu ritterlich. Immerhin: Seehofer schützt seine Kanzlerin (und nebenbei natürlich auch sich selbst) vor einer tödlichen Gefahr.
Bis zu 80 Prozent der Krankheiten werden über Hände übertragen
Dass der Handschlag einmal derart in Verruf kommen könnte, hätte vor fünf Wochen wohl noch niemand gedacht. Dabei warnen Wissenschaftler schon seit Jahren vor der gesundheitsschädigenden Wirkung der vermeintlich höflichen, ganz sicher aber unhygienischen Geste.
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Nach Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) werden bis zu 80 Prozent der ansteckenden Krankheiten über unsere Hände übertragen. Doch schon ältere Kampagnen wie „No hands“ im Krankenhaus konnten dem Ritual bislang nichts anhaben. Versetzt nun Corona der uralten Kulturtechnik den Todesstoß?
„Wohl kaum“, meint Michael Hoyer. Der Kommunikationstrainer aus Villingen-Schwenningen rechnet nicht damit, dass wir das populäre Begrüßungsritual nach ein paar Wochen Enthaltsamkeit einfach so abgeschüttelt haben werden.
Wir haben das praktisch mit der Muttermilch aufgenommen.Michael Hoyer, Kommunikationstrainer
Zu tief sitze unsere Erziehung, die uns darauf geeicht hat, dass zu einer anständigen Begrüßung, zu einer Verabschiedung aber auch zu einem Dankeschön ein ordentlicher Handschlag gehören. „Wir haben das praktisch mit der Muttermilch aufgenommen“, so der Experte für Körpersprache. Dass sich Menschen einander die Hände reichen, sei so natürlich, dass es schon eine sehr bewusste und rationale Überlegung brauche, dies nicht zu tun.
Tatsächlich ist der Handschlag über die Jahrtausende zu einem Zeichen unserer Zivilisation und unserer Zivilisiertheit geworden. Wir reichen uns die Hand zur Begrüßung, zur Versöhnung, zum Abschied oder zur Besiegelung eines Vertrags. Immer dann, wenn’s wichtig wird. „Der Handschlag hat einen hohen Stellenwert“, sagt Hoyer.
Schon in der Antike reichte man sich die Hände
Das war offenbar schon in der Antike so. Darstellungen auf Grabplatten, an Tempeln oder auf alten Vasen zeigen, dass sich auch die alten Römer, allen Hygieneregeln zum Trotz, die Hände zur Begrüßung reichten. Die Griechen glaubten, dass Hades, ihr Herrscher über die Unterwelt, jeden Neuankömmling im Schattenreich persönlich mit einem Handschlag begrüßte. Die Hygiene war – an diesem Punkt mal angelangt – aber ohnehin vernachlässigbar..
Bei der Handschlag-Forschung gilt eine Entstehungstheorie als die wahrscheinlichste: „In dem man seinem gegenüber die offene Handfläche entgegenstreckt zeigt man, dass man keine Waffe hat“, sagt Michael Hoyer. In grauen Vorzeiten, als Dieben zur Strafe noch einzelne Finger abgehackt wurden, konnte das Gegenüber außerdem gleich an der Hand erkennen, ob er es mit einem ehrlichen Menschen zu tun hat.
Hobby-Psychologen dient der Handschlag bis heute als Mittel zur Ersteinschätzung des Gegenübers.
Was der Händedruck über den Menschen aussagt
Ist ein Händedruck fest und entschlossen, drückt das gemeinhin Rechtschaffenheit, Tatkraft und Verlässlichkeit aus. Ein Patschehändchen, das uns weich und schlaff entgegenlümmelt, lässt uns dagegen eher negative Schlüsse ziehen. Körpersprachler Hoyer hält solche pseudo-psychlogischen Deutungen nicht für angebracht.
„Von Bill Gates wird berichtet, dass er einen ganz weichen Händedruck hat. Aber wäre er nicht kreativ, dynamisch und zielstrebig, hätte er es wohl kaum zum reichsten Mann der Welt gebracht“, gibt der Kommunikationstrainer zu Bedenken.
Und wie sieht es mit anderen Begrüßungsritualen aus? „In Deutschland ist der Handschlag Standard“, sagt Agnes Anna Jarosch, in einem Interview mit der Deutschen Presseagentur. Doch die Vorsitzende des Deutschen Kniggerats hat festgestellt, dass die Varianz auch ohne Corona immer größer wird. „Regeln sind nicht mehr so starr wie früher“, sagt sie.
Der Franzose busselt lieber
Wangenküsse, wie sie unsere Nachbarn in Frankreich zur Begrünung verteilen, sind seit ein paar Jahren auch in deutschsprachigen Ländern gang und gäbe. Ob zwei, drei oder vier Bussis ausgetauscht werden, ist dabei von Region zu Region unterschiedlich. Als Faustregel kann gelten: Je weiter es nach Süden geht, desto mehr wird gebusselt. In anderen Teilen der Welt dagegen, gibt es eine Vielzahl von anderen Begrüßungsformeln. Doch auch beim polaren Nasenstüber, bei Umarmungen oder beim gegenseitigen Berühren mit der Stirn, kommen sich die Beteiligten aus virologischer Sicht bedrohlich nahe.
Seit Corona machen deshalb nun auch neue Formen der Begrüßung die Runde. Vom indischen Namaste-Gruß, bei dem man die eigenen Handflächen vor dem Herzen aufeinanderlegt und sich kurz verbeugt, bis hin zum Fuß- oder Ellbogenstüber. Egal wie – bei der Begrüßung kommt es darauf an, dem anderen in die Augen zu schauen. „Das ist immer das Kontaktsignal“, sagt Hoyer.
Ein Stück Leitkultur
Also könnten wir Deutschen uns doch eigentlich getrost von der unhygienischen Angewohnheit des Handschlags verabschieden. Kommunikationstrainer Hoyer bleibt skeptisch. „Eines ist sicher – der Händedruck liegt gerade uns Deutschen sehr am Herzen“, sagt er. Ein Politiker habe den Händedruck sogar einmal in die Top Ten der deutschen Leitkultur aufgenommen. „Er ist also ein Wert an sich und jetzt muss man sich fragen: Will ich das aufgeben oder sage ich mir, dass das Virus auch irgendwann wieder vorbeigeht?“