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Arbeitnehmermarkt

„Roter Teppich“ und Matching: Wie Deutsche Bahn und Daimler auf Fachkräftemangel reagieren

Waschkörbeweise Bewerbungen – das war einmal. Aus dem Arbeitgebermarkt ist ein Arbeitnehmermarkt geworden. Wie die Deutsche Bahn und Daimler reagieren.

Mit Pavillon und rotem Würfel auf Fachkräftesuche: Auf dem Bahnhofsvorplatz in Karlsruhe hat die Deutsche Bahn Ende März versucht, Interessierte für offene Stellen zu finden.
Mit Pavillon und rotem Würfel auf Fachkräftesuche: Auf dem Bahnhofsvorplatz in Karlsruhe hat die Deutsche Bahn Ende März versucht, Interessierte für offene Stellen zu finden. Foto: Erika Becker

Vor dem Eingang des Karlsruher Hauptbahnhofs sitzt ein Mann ohne Schuhe, die Füße sind schmutzig. Ein Teenager rennt in Richtung Züge, zwei Touristinnen suchen den Weg nach Durlach.

Im typischen Ambiente des Bahnhofsvorplatzes, hinter einem Meer von Fahrrädern, hat sich die regionale Personalabteilung der Deutschen Bahn mit einem Infostand und einem großen roten Würfel aufgebaut: Die Bahn sucht Fach- und Arbeitskräfte.

Hürden für Bewerbungen sind bei der Deutschen Bahn stark gesenkt

In dem Würfel bietet sie Interessierten an, Platz auf ICE-Sesseln zu nehmen und von geschulten Kräften ihren Lebenslauf checken zu lassen. Bei Messen mit Hochschulabsolventen kommt dieses Angebot wohl besser an. Doch der Konzern muss breiter ausrücken, um Personal zu finden. „Wir gehen zu den Menschen vor Ort“, formuliert es die Recruiting-Leiterin der Bahn für den Südwesten, Carla Beige.

Es reicht nicht mehr, Anzeigen zu schalten und auf Berufsmessen zu gehen. „Mit unseren Kampagnen sind wir bundesweit präsent“, sagt Beige. Den März hat der Konzern kurzerhand zum Weltfrauenmonat erklärt, und will bei Events unter diesem Label auch Frauen ansprechen – in Medien wie Instagram und Facebook ist das nicht zu übersehen.

Die Hürden für eine Bewerbung hat der Konzern dabei stark gesenkt. Für Azubis und einige Berufsgruppen braucht es gar kein Anschreiben mehr.

Ein paar Klicks auf dem Handy reichen. „Den Rechner packt dafür heute kaum noch einer aus“, sagt Beige. Quereinsteiger mit abgeschlossener Berufsausbildung – egal welcher – können sich bei voller Bezahlung zum Zugführer oder Fahrdienstleiter umschulen lassen.

Wir begegnen den Bewerberinnen und Bewerbern auf Augenhöhe. Wir bewerben uns auch um sie.
Arndt Zeitz, Daimler Truck

Der Markt hat sich umgekehrt: Von einem Arbeitgeber- zu einem Arbeitnehmermarkt. Personalchefs, die sich noch an Waschkörbe voller Bewerbungen erinnern, lassen jetzt bei sogenannten Recruiting-Events regelrecht den roten Teppich für Interessierte ausrollen, die Firmen zeigen sich von ihrer besten Seite.

„Da findet ein Paradigmenwechsel statt, der zu einer neuen Selbstverständlichkeit wird“, sagt Arndt Zeitz, Leiter Personalentwicklung bei Daimler Truck. „Wir begegnen den Bewerberinnen und Bewerbern auf Augenhöhe. Wir bewerben uns auch um sie.“

Drängendstes Problem quer durch die Branchen

Der Fachkräftereport des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) zeigt: Branchenübergreifend können 53 Prozent der Unternehmen nicht alle offenen Stellen besetzen.

Außer Fachkräften fehlen in vielen Bereichen auch zunehmend geringer Qualifizierte. „In unserer jüngsten regionalen Konjunkturumfrage wurde der Mangel an geeigneten Arbeitskräften noch vor den Energiepreisen als größtes Risiko für die wirtschaftliche Entwicklung in den kommenden zwölf Monaten genannt“, resümiert IHK-Sprecherin Claudia Nehm.

Die Schere bei den Fachkräften geht immer mehr auseinander. Fehlten 2021 im Bezirk der IHK Karlsruhe noch 19.000, so wird zwischen Bühl bis Bad Schönborn in fünf Jahren schon ein mehr als doppelt so großer Engpass erwartet. Nur in der Coronazeit fehlten weniger. „Da waren viele Firmen abwartend und haben einen Einstellungsstopp verhängt“, erinnert sich Bahn-Personalerin Beige, und grinst: „Wir haben weiter eingestellt.“

Wir fischen in einem leeren Becken.
Frank Roth, Appshere AG Ettlingen

Gerade im Software-Bereich ist die Lage „richtig, richtig schwierig“, sagt die Stuttgarter Personalvermittlerin Hannah Gutmann, die auch die Region Karlsruhe eng im Blick hat. „Gefühlt jeder sucht da.“ Manche Entwickler bekämen täglich Anfragen.

„Alle fischen im gleichen Becken“, meint IHK-Sprecherin Nehm. „Wir fischen in einem leeren Becken“, ergänzt Frank Roth, Chef der Ettlinger AppSphere AG. Im März sagt er auf dem IHK-Podium bei einer gemeinsamen Veranstaltung mit Handwerkskammer und Agentur für Arbeit: „Die jungen Menschen werden nur so weggesogen. Die Älteren haben den Vorteil, dass sie mehr Gelassenheit, Ruhe und Erfahrung zu bieten haben.“

Neue Chancen für die Generation 50 plus

Auch IHK-Vizepräsidentin Ariane Durian, Geschäftsführerin beim Personalvermittler Connect, sieht hier große Chancen. Für die ältere Generation seien Work-Life-Balance oder Homeoffice nicht so wichtig. „Das Privatleben steht nicht mehr ganz so im Fokus.“

Bei der Vermittlung spielt ein Alter sogar jenseits der 60 für sie heute keine Rolle mehr – jüngst hat sie die Arbeitseinstellung eines 78-Jährigen begeistert. „Vor allem, wenn ein Geschäftsführer selbst über 50 oder 60 Jahre alt ist, ist da zunehmend Offenheit zu spüren.“

Daimler stellt Motivation klar heraus

Wie man erfolgreich im ziemlich leeren Becken fischt, zeigen Konzerne wie Daimler Truck. Sie schreiben jungen, technikaffinen Kräften, den „Engpassprofilen“, eine Schlüsselrolle zu, um die Transformation der Antriebstechnik in der Automobilindustrie zu stemmen.

Am CO2-freien Gütertransport mitarbeiten, die Welt ein bisschen besser machen: Diese zentrale Motivation stellt der Konzern klar heraus.

Daimler sucht wie auch viele IT-Firmen in der Region den frühen Kontakt mit Studierenden, etwa durch Bachelor- und Masterarbeiten oder Ferienjobs.

Aber auch in Richtung der Young Professionals wirft der Konzern Netze aus: Berufstätige mit interessanten Profilen werden durch Veranstaltungen wie das „Reboot Camp“ im vergangenen August zu einem Wechsel inspiriert. 870 Bewerbungen gab es laut Daimler. Die besten 120 wurden zu dem Event in die Unternehmenszentrale eingeladen – für 50 freie Stellen.

„Wir erproben an so einem Recruitingtag, ob man zueinander passt“, sagt Zeitz. „Das ist kein klassischer Auswahl-, sondern ein Matchingprozess, der von beiden Seiten kommt.“

Reboot-Camp der Daimler-Truck AG.
Recruiting-Tage mit Großevent-Charakter: Um künftige Beschäftigte mit „Engpassprofilen“ zu finden, scheuen Firmen wir Daimler Truck etwa bei ihrem „Reboot-Camp“ keine Kosten und Mühen. Foto: Daimler Truck AG

Der Aufwand für so ein Großevent ist hoch. Doch die Mühe lohnt sich: Nahezu alle 50 Stellen konnten laut Daimler innerhalb von zwei Tagen besetzt werden. „Ein großer Schritt nach vorn“, freut sich Zeitz.

Nicht alle Firmen sind so schnell und können so viel zahlen. „Bei großen Firmen ist das Gehalt mitunter heftig, da können Kleinere nicht mithalten“, sagt Personalvermittlerin Gutmann.

Lange Einstellungsprozesse sind nicht mehr zeitgemäß

Aber nicht nur bei sechsstelligen Gehältern ist bei einigen das Ende der Fahnenstange erreicht. „Manche Firmen haben sehr langsame Einstellungsprozesse, das ist nicht mehr zeitgemäß.“

Auch die Ansprüche von Firmen an die Deutschkenntnisse der Bewerber seien oft nicht zu erfüllen. „Die Firmen müssen sich anpassen, sonst verschließen sie sich einem großen Teil des Marktes.“

Am Thema Schnelligkeit arbeiten auch die Bahn-Personaler. Nicht immer mit Erfolg, wie im Konzern durchaus selbstkritisch bemerkt wird. Auch im Internet wird eine der vielen Anzeigen des Konzerns schon mal kommentiert.

„Die wichtigste Frage wär ja, warum keiner Ihrer Angestellten in der Lage ist, zeitnah auf eine Bewerbung zu reagieren“, schreibt Facebook-Userin „Kat Ja“. Sie arbeite mittlerweile in einem „ähnlich großen Unternehmen, da vergingen von der Bewerbung bis zum Vertrag vier Wochen“.

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