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Gespräch mit Meike Bottlender

Kinderpsychiater über Coronavirus: "Zeigen Sie Ihren Kindern was passiert, wenn jede infizierte Person zwei weitere ansteckt"

Kitas und Schulen sind geschlossen, Besuche bei Oma und Opa nicht mehr möglich. Bei schönstem Frühlingswetter darf man nicht draußen mit Freunden spielen. Das Coronavirus stellt den Alltag von Kindern und Jugendlichen auf den Kopf. "Erklären Sie dem Kind, dass bestimmte Menschen vor Krankheiten besonders geschützt werden müssen", sagt Meike Bottlender, Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie am Städtischen Klinikum in Karlsruhe, im Interview.

Kreativ Corona erklären: Wenn ein Playmobil-Männchen zwei ansteckt und davon jedes wieder zwei ansteckt , ist die Spielkiste bald leer. Kinderpsychologe Meike Bottlender setzt beim erklären des Virus für Kinder auf einfache Ideen und leichte Sprache.
Kreativ Corona erklären: Wenn ein Playmobil-Männchen zwei ansteckt und davon jedes wieder zwei ansteckt , ist die Spielkiste bald leer. Kinderpsychologe Meike Bottlender setzt beim erklären des Virus für Kinder auf einfache Ideen und leichte Sprache. Foto: dpa

Kindergärten, Kitas und Schulen sind geschlossen, Besuche von oder bei Oma und Opa sind nicht mehr möglich und selbst bei schönstem Frühlingswetter darf man nicht mit den Freunden zum Spielen raus gehen. Das Coronavirus stellt in diesem Tagen auch den Alltag von Kindern und Jugendlichen völlig auf den Kopf.

Die Erwachsenen stellt es vor Fragen, die nicht immer leicht zu beantworten sind. Unser Redaktionsmitglied Sibylle Kranich sprach mit Meike Bottlender, dem Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie am Städtischen Klinikum in Karlsruhe, darüber, wie man seinen Kindern ihre Ängste nehmen kann, ohne dabei den Ernst der Lage herunterzuspielen.

Psychiater: In einer angenehmen Situation über das Coronavirus sprechen

Eltern möchten ihre Kinder von Themen wie Krankheit und Tod möglichst fernhalten. Jetzt ist da dieses Virus. Wie spricht man darüber?

Meike Bottlender: Alles hat seinen Ort und seine Zeit. In einer ruhigen und angenehmen Situation, vielleicht beim Spielen oder beim Malen, ergibt sich die Möglichkeit, mit dem Kind ins Gespräch zu kommen. Fragen Sie Ihr Kind, was es weiß und was es schon gehört hat. Dies ermöglicht es Ihnen auf die Unklarheiten einzugehen – in einer Sprache, die Ihr Kind versteht.

Erläutern Sie ihm die wichtigen Regeln (Hände waschen, Abstand halten und Maßnahmen beim Niesen und Husten beachten). Schauen Sie sich gemeinsam kindgerechte Sendungen und Beiträge an, wie zum Beispiel „Die Sendung mit der Maus“ zum Thema Corona.

Angst ist so ansteckend wie Corona. Sollen Eltern ihre Sorgen besser für sich behalten?

Mit Ängsten müssen wir einen individuellen Umgang finden – Panik steckt an. Kinder spüren die Gefühle ihrer Eltern und merken, wenn etwas nicht stimmt. Schauen Sie erst, wie Sie mit Ihren eigenen Befürchtungen und Sorgen umgehen.

Sprechen Sie mit Familienmitgliedern und Freunden über eigene Ängste, nehmen Sie sich Zeit zur Entspannung – so können Sie in das Gespräch gehen und dem Kind Sicherheit vermitteln.

Erklären Sie dem Kind, dass bestimmte Menschen vor Krankheiten besonders geschützt werden müssen.
Meike Bottlender

Kann ich erkennen, ob mein Kind sich sorgt oder verängstigt ist?

Sie kennen Ihr Kind am besten. Beobachten Sie es: Wie reagiert es auf das Thema, verändert es die Sprache, spricht es plötzlich schneller oder in einer anderen Tonlage, atmet es schneller, ist es aufgeregt? Achten Sie auf die körperlichen Symptome.

Alle aktuellen Entwicklungen zum Coronavirus im Überblick

Oma und Opa gehören zum Familienleben dazu. Plötzlich darf man sie nicht mehr besuchen. Ist das für ein kleines Kind überhaupt nachzuvollziehen?

Erklären Sie dem Kind, dass bestimmte Menschen vor Krankheiten besonders geschützt werden müssen. Menschen, die schon eine Erkrankung haben oder Personen, deren Kräfte gegen Krankheiten geschwächt sind – und das ist auch der Fall bei älteren Menschen, bei Oma und Opa.

Seit 1. November 2018 ist Meike Bottlender (42) Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in Karlsruhe, davor war in Leitungsfunktion als Oberarzt in Berlin und als stellvertretender Chefarzt in der Schweiz sowie als Lehrbeauftragter der Universität Koblenz/Landau tätig. Von 1995 bis 2005 studierte er Medizin in Düsseldorf und Bochum und von 2013 bis 2015 Kriminologie in Hamburg. Bottlender ist Facharzt und Kriminologe, seine Schwerpunkte liegen im Bereich Kleinkind- und Adoleszentenpsychiatrie, Essstörungen, psychotische Erkrankungen und forensische Begutachtung.

Schwer zu verstehen, warum man sich nicht mit Freunden treffen darf, wenn das Virus doch nur für alte Menschen gefährlich ist.

Visualisieren Sie die Sachverhalte, mit Figuren oder Zeichnungen, zeigen Sie Ihren Kindern was passiert, wenn jede infizierte Person zwei weitere ansteckt. Schnell wird das Blatt oder der Tisch voll sein an gemalten Menschen oder aufgestellten Figuren, die zum Beispiel medizinische Hilfe und Unterstützung brauchen. Dadurch hat das Personal im Krankenhaus immer mehr zu tun und kommt nicht mehr hinterher.

Die Supermarktregale sind leerer als sonst und alle Welt redet davon, dass es kein Klopapier mehr gibt. Was soll man da sagen?

Manche Menschen kaufen aus Panik heraus zu viel ein, weil sie Sorgen und Ängste haben, dass es bald nichts mehr gibt. Verdeutlichen Sie ihrem Kind, dass genug für alle da ist und das Lastwagen und Transporter immer wieder neue Dinge bringen.

Alle Informationen gibt es auf bnn.de/coronavirus

Selbstbeschäftigung ist Kindern möglich und sie können es auch lernen.
Meike Bottlender

Viele Erwachsene arbeiten jetzt im Homeoffice – wie kann man trotzdem dafür sorgen, dass es zu Hause entspannt zugeht?

Auch für Kinder ist es eine neue Situation, dass die Eltern zu Hause sind. Es kann helfen über den Tag hinweg immer wieder gemeinsame Zeiten für Aktivitäten, Spiele oder Schulaufgaben vorzusehen.

Meike Bottlender
Meike Bottlender, Klinikdirektor. Foto: pr

Was, wenn es den Kindern langweilig wird?

Selbstbeschäftigung ist Kindern möglich und sie können es auch lernen.

Sie plädieren dafür, eine Art Tagesplan aufzustellen. Wie streng muss man über dessen Einhaltung wachen?

Tagespläne können hilfreich sein, aber wenn man merkt, dass etwas dazwischen kommt oder etwas länger dauert, sollte man nicht mit aller Energie an einem Plan festhalten – das macht nur zusätzlichen Stress. In solchen Situationen sind dynamische Fähigkeiten und auch Spontanität gefragt.

Thema Schulaufgaben: Manche Schüler erledigen sie von ganz allein, andere brauchen viel Hilfe und ständige Überwachung. Wie kann ich meiner Verantwortung da gerecht werden?

Das kann nur im Rahmen der eigenen Möglichkeiten funktionieren, abhängig von der eigenen Beanspruchung durch die berufliche Tätigkeit – eLearning oder Blended Learning, also digitale Lernplattformen, die auch eine soziale Interaktion ermöglichen, sind in dieser Situation gute Möglichkeiten.

Diese Krise zwingt Familien dazu, viel enger zusammenzurücken. Viele machen schon Witze darüber, dass man sich ziemlich schnell, ziemlich heftig auf die Nerven gehen wird. Was meinen Sie? Bietet das Virus vielleicht auch eine Chance für ein neues Miteinander?

Wenn die Familie ein Spiegel der Gesellschaft ist, dann liegt in der aktuellen Situation das Potential, wieder mehr aufeinander zu achten und nacheinander zu schauen – Verantwortung zu übernehmen, respektvoll miteinander umzugehen und miteinander zu kommunizieren – auf allen Kanälen.

Es werden sich nach der Krise Chancen ergeben, über Fragen unseres gesellschaftlichen Miteinanders in Bezug auf Gesundheit, Bildung, Arbeitswelt und Wirtschaft ins Gespräch zu kommen.

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