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Kampf um ein Idyll

Wie Menschen auf dem Campingplatz Rülzheim um ihre Zukunft bangen

Auf dem Campingplatz in Rülzheim kursieren wilde Gerüchte. Der Plan der Gemeinde, die die Dauercamper zum Rückbau ihrer illegalen Bauten zu zwingen, habe schon ein Todesopfer gefordert, sagen die einen. Eine weitere Frau habe versucht, sich umzubringen, sagen andere Dauercamper, die ihr vertrautes Idyll verteidigen wollen. Unterstützung erhalten sie von der örtlichen AfD.

Deutsches Idyll: Der Campingplatz in Rülzheim ähnelt vielen Plätzen in der Republik. Die Ruhe trügt. Zwischen den Dauercampern und der Gemeinde tobt ein erbitterter Streit.
Deutsches Idyll: Der Campingplatz in Rülzheim ähnelt vielen Plätzen in der Republik. Die Ruhe trügt. Zwischen den Dauercampern und der Gemeinde tobt ein erbitterter Streit. Foto: Fabry

Dieser Text beginnt mit einer Warnung. Sie steht auf einem Schild, das an einen blauen Jägerzaun vor einem Wohnwagen auf dem Campingplatz in Rülzheim geschraubt ist. „Warnung“, heißt es da: „Wenn die Klügeren immer nachgeben, geschieht nur das, was die Dummen wollen.“ Dies ist die Geschichte von Menschen, die nicht die Dummen sein wollen. Aber es ist schwer zu sagen, wer der Klügere ist. Am Ende muss das wohl jeder für sich selbst entscheiden.

Zwischen "Mhou" und "Dampfnudel"

Der Campingplatz Rülzheim ist nicht gerade ein touristisches Highlight. Aber er ist ein Ort, an dem man mit bescheidenen Ansprüchen ganz gut leben kann. Das fünf Hektar große Gelände liegt im Westen der kleinen Südpfalz-Gemeinde an einem Waldrand. Vom Parkplatz des Freizeitzentrums – wie der ganze Komplex ein wenig hochtrabend heißt – ist alles ganz leicht zu erreichen.

Die Straußenfarm „Mhou“, die Eventhalle „Dampfnudel“, das inzwischen stillgelegte Freizeitbad „Moby Dick“ mit dem Skelett einer blauen Riesenrutsche an der leeren Gebäudehülle und der Campingplatz. Auch wer zum Badesee will, parkt hier. Im Sommer ist er ein beliebtes Ziel für Gäste aus Germersheim, Bruchsal, sogar aus Gemeinden südlich von Karlsruhe kommen Menschen hierher.

320 Dauercamper fühlen sich hier zu Hause

Die Internetbewertungen des Campingplatzes sind nicht gerade überschwänglich. Doch die 320 Camper, die in der Regel Dauergäste sind, stört das nicht. Die Durchreisenden bekommen sie selten zu Gesicht. Menschen wie Heidi Janczik, Simone Kamm und Klaus Müller haben sich auf dem Platz ihr eigenes kleines Paradies geschaffen. Ihre Wohnanhänger wurden seit Jahrzehnten nicht mehr bewegt. Stattdessen sind sie liebevoll umgebaut. Die Laufwege ringsum sind sauber gepflastert, ordentliche Zäune und gepflegte Hecken trennen die Parzellen voneinander ab.

Am Platz gibt es kein fließendes Wasser. Aber das stört den echten Camper nicht. Bei Wind und Wetter streift er die Badelatschen über und sucht Toiletten und Duschen im Eingangsbereich auf. Auch zum Geschirrspülen geht er vorne in den Waschraum. Sonst bleiben die Camper unter sich. Im Sommer – und erst recht im Winter, wenn sowieso keine Touristen kommen.

Leben auf dem Platz

Heidi Janczik und Klaus Müller leben dauerhaft auf dem Campingplatz. Simone Kamm im Grunde auch. Ihr Mann ist Lkw-Fahrer und viel unterwegs. In ihrer Wohnung fühlt sie sich dann oft einsam. „Hier auf dem Platz nicht. Da kennt man sich, trifft sich, redet und hat ein tolles Miteinander.“ Die drei wissen sehr gut, dass man das eigentlich nicht darf. Aber bislang hat die Leitung des Platzes noch immer ein Auge zugedrückt.

Post zu Weihnachten

Bis Weihnachten 2019. Die Erkenntnis, dass ihr kleines Idyll bedroht sein könnte, traf die Dauercamper von Rülzheim wie ein Blitz. Aus heiterem Himmel schlug er kurz vor Weihnachten ein. Aus Gründen des Brandschutzes sei dafür zu sorgen, dass die Wohnanhänger zu jeder Zeit fahrtauglich sind.

Außerdem müssten sämtliche Bauten, die über ein normales Zelt mit Plane hinausgingen, entfernt werden. Ebenso Bodenplatten, Pavillons und sämtliche Hecken und Zäune, die höher als 80 Zentimeter sind. Bis 29. Februar gab die Anordnung den Menschen Zeit, ihre liebevoll angelegten Plätze zurückzubauen. Andernfalls würden sie zwangsgeräumt.

Wie im Wohnzimmer fühlt man sich im Vorzelt von Dauercamperin Heidi.
Wie im Wohnzimmer fühlt man sich im Vorzelt von Dauercamperin Heidi. Foto: Fabry

Brandschutz verlangt Rückbau

300 der 320 Camper, die in Rülzheim langfristig einen Platz gemietet haben, betrifft das Schreiben. Für einige von ihnen, wie die 79-jährige Heidi Janczik, kam die Nachricht einer Katastrophe gleich. Seit Dezember kann sie nicht mehr schlafen. Sie klagt über Herzprobleme. Bald 19 Jahre wohnt die alte Dame auf Stellplatz römisch Eins, Ziffer 95. Von dem beigen Wohnanhänger ist nicht mehr viel zu sehen. Aber er bildet das Herzstück ihres Reichs, das dank befestigter und ausgebauter Vorzelte die Ausmaße eines kleinen Einfamilienhauses angenommen hat.

Einbauküche und Wohnzimmer

Vorne links, gleich neben dem Eingang, hat sich Frau Janczik vor Jahren schon eine Küche einbauen lassen. Mit großem Kühlschrank und einem Gasherd mit vier Kochfeldern. Den braucht sie auch. Denn wenn ihre Töchter mit Männern, Enkeln und Urenkeln zu Gast sind, dann wird es selbst in Heidis Wohnzimmer manchmal ein bisschen eng. Am Esstisch unter den weißen Gardinen über die sich kunstvoll gelbe Schals schwingen, kommt die Familie oft zusammen. Vor ein paar Jahren musste der Tisch ausquartiert werden. „Da stand an der Stelle das Pflegebett meines Mannes“, erklärt die Witwe.

Ich dachte, ich könnte für immer hier bleiben.
Dauercamperin Heidi Janczik

Für Frau Janczik kommt die Aufforderung, ihr Refugium zurückzubauen, einer Kündigung gleich. Ganz abgesehen vom finanziellen Verlust. Für ihr geliebtes Heim hat Heidi Janczik über die Jahre immerhin gut 50.000 Euro investiert. Feuerfeste Platten statt einer Zeltplane isolieren den Wohnwagenvorbau.

Vor Jahren ließ sie sich elektrische Leitungen einbauen, einen Laminatboden legen und eine Holzdecke einziehen. An den Wänden, die den Vorbau mit dem Wohnwagen verbinden, hängen die Hochzeitsbilder von zwei ihrer drei verstorbenen Ehemänner, die Glasfigürchen in der Vitrine sind Mitbringsel aus vielen, vielen Urlauben. „Ich dachte, ich könnte für immer hier bleiben“, sagt Heidi.

Wohnen auf dem Campingplatz ist nicht erlaubt

Dauerhaftes Wohnen auf einem Campingplatz ist in Deutschland nicht erlaubt. Nirgendwo. Doch angesichts grassierender Wohnungsnot wird das Modell gerade bei ärmeren Menschen immer beliebter. Viele Sozialhilfeempfänger geben ihren Erstwohnsitz auf, um günstig in einem Campinganhänger zu wohnen. Die Nutzung als Hauptwohnsitz gilt zwar als nicht statthaft, in vielen Gemeinden wird sie allerdings geduldet. So auch in Rülzheim, wo rund 20 Menschen aus sozialer Not auf dem Platz wohnen.

Juristisch kaum eine Chance

Bei Heidi, Klaus und Simone ist das nicht der Fall. Sie leben auf dem Campingplatz weil sie es wollen. Die Nähe zur Natur, die Gemeinschaft unter den Campern – all das möchten sie sich nicht nehmen lassen, auch wenn sie wissen, dass sie, juristisch gesehen, kaum eine Chance haben. Ihr Argument: Weil die Gemeinde sie jahrelang geduldet hat, hätte sie nun keine Rechte, ihnen das alles wegzunehmen.

Wilde Gerüchte kursieren

Seit der Anordnung kursieren auf dem Platz die wildesten Gerüchte. Die alte Frau Schmitz vom Stellplatz vorne links, heißt es, sei aus Gram gestorben. Tatsächlich wurde die Leiche der 90-Jährigen Dauercamperin im Januar auf der Gemeinschaftstoilette gefunden. Auch den Selbstmordversuch einer psychisch labilen Sozialhilfeempfängerin schreiben manche Camper dem unerbittlichen Vorgehen der Gemeinde zu.

An ihrer Front wird mit allen Mittel gekämpft. Viel Gehör finden sie der örtlichen AfD. Der Versuch, den Tagesordnungspunkt „Campingplatz-Verfügung“ im Ortsgemeinderat nach vorne zu bringen, scheiterte. Die Camper sagen, weil der Bürgermeister es nicht wollte. Der verweist aufs Protokoll. „Das wäre gar nicht gegangen.“ Die AfD ruft nun an diesem Samstag zu einem „Bürgertreff“ am Campingplatz auf.

Ich kenne fast alle und es tut mir in der Seele weh.
Bürgermeister Rüdiger Hör

Bürgermeister Rüdiger Hör würde die Wogen gerne wieder glätten. Der Rülzheimer ist seit 2006 im Amt. Erst als haupt-, inzwischen als ehrenamtlicher Ortschef. „Ich gebe zu, dass ich da in der Vergangenheit viel zu lange ein Auge zugedrückt habe“, sagt der 68-Jährige zerknirscht. „Aber ich kenne die doch fast alle und es tut mir in der Seele weh.“

Für die Sozialfälle wolle er sich um eine Wohnung kümmern und auch bei den „unglücklich gesetzten Fristen“ werde er den Campern entgegenkommen, verspricht er und fügt schulterzuckend hinzu: „Den Ärger halte ich jetzt auch noch aus.“

Wellness-Hotel statt Campingplatz?

Doch die Camper lassen nicht locker. Laut denken sie über das Gerücht nach, der Bürgermeister wolle sie vom Platz jagen, um das Gelände an einen Großinvestor zu verkaufen, der am Badesee Rülzheim ein Luxus-Wellness-Hotel bauen könnte. „Kompletter Nonsens“, sagt Hör.

Doch Dauercamperin Kamm verspricht: „Der Hör kommt damit nicht durch.“ Auf dem Campingplatz lichten sich derweil die Reihen. Manche bauen ihre Anlagen zurück, andere wie Paul Zimmermann wollen Rülzheim ganz verlassen. „Schade“, sagt der Rentner aus dem Ruhrpott. 32 Jahre hatte er seinen Camper hier stehen.

Der Klügere gibt nach

Der Klügere gibt nach, heißt es. Noch gibt es in Rülzheim welche, die nicht nachgeben. Am Ende wird wohl der Brandschutz wohl gewinnen. Dass das Thema plötzlich aufkam, haben die Camper übrigens einem aus ihren eigenen Reihen zu verdanken. Weil er mit einer Entscheidung der Platzleitung nicht einverstanden war, hatte er die Gemeinde nach seiner Kündigung wegen des mangelnden Brandschutzes bei der übergeordneten Behörde verpfiffen. So kam der Stein ins Rollen.

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