Historiker beleuchten den von Euphorie getragenen Start des Wissenschaftszentrums in den 1950er-Jahren, ziehen Vergleiche zur internationalen Atomforschung jener Zeit, referieren über Endlager-Politik, über die Führungskräfte der Anfangsjahre, die teils aus NS-Zeiten belastet waren.
Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Sylvia Kotting-Uhl spricht über Karlsruhe als "Wiege der Atomkraft" und Manfred Popp, der ehemalige Vorstandschef des Forschungszentrums, über den permanenten Wandel der Forschungsstätte - von der Reaktorstation bis zum heutigen Teil des KIT.
Wer mit „Atomkraft, nein danke!“-Aufklebern aufwuchs, reibt sich bei Bildern aus den frühen Jahren des Kernforschungszentrums die Augen. Eine der Schwarz-Weiß-Aufnahmen zeigt schick gekleidete Damen, die mit Männern in Strahlenschutzanzügen für ein Erinnerungsfoto posieren – sichtlich stolz. 1962 ließ sich die Besuchergruppe im Kernforschungszentrum Karlsruhe ablichten. „Atomkraft“: Das Wort klang damals nach Glück und Verheißung.
Atomkraft sollte "von Sorgen befreien"
Auch die SPD schwamm auf der Euphorie-Welle. Es sei „die Hoffnung dieser Zeit, daß der Mensch im atomaren Zeitalter sein Leben erleichtern, von Sorgen befreien und Wohlstand für alle schaffen kann“, schrieben die Sozialdemokraten 1959 im Godesberger Programm fest.
Drei Jahre zuvor war das Kernforschungszentrum Karlsruhe gegründet worden. Einer der ersten deutschen Forschungsreaktoren entstand dort. Später entfiel der „Kern“ im Namen, heute gehört das Forschungszentrum zum Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Seine wechselvolle Geschichte beleuchtet an diesem Donnerstag und Freitag eine Veranstaltung an der Universität. „Es sind auch Filme aus der Frühphase zu sehen“, verspricht Geschichtsprofessor Marcus Popplow.
Franz-Josef Strauß unterzeichnete Gründungsurkunde
Mehrere Historiker-Kollegen sowie die Grünen-Politikerin Sylvia Kotting-Uhl und der frühere Forschungszentrumschef Manfred Popp halten Vorträge. „Wir wollen zeigen, wie spannend die Entwicklung des Kernforschungszentrums, aber auch der späteren Transformation zum breit aufgestellten Großforschungszentrum war“, sagt Popplow. Franz Josef Strauß – seines Zeichens Bundesminister für Atomfragen – unterzeichnete am 19. Juli 1956 die Gründungsurkunde für das Kernforschungszentrum Karlsruhe, das draußen bei Leopoldshafen entstand. Maxau war wegen Hochwassergefahr ausgeschieden.
"Ich bin persönlich der Überzeugung [...], daß die Ausnutzung der Atomenergie für wirtschaftliche und kulturelle Zwecke denselben Einschnitt in der Menschheitsgeschichte bedeutet wie die Erfindung des Feuers für die primitiven Menschen." Franz Josef Strauß in einem Interview mit dem Nordwestdeutschen Rundfunk am 21. Oktober 1955
Die Menschen warendamals nicht völlig blauäugigGeschichtsprofessor Marcus Popplow
damals nicht völlig blauäugig
"Wüsten können durch Entsalzen des Meerwassers bewässert, Urwälder oder arktische Gebiete mit Hilfe von Elektrizitätswerken, die durch die Luft versorgt werden, erschlossen werden. Schiffahrt und Luftfahrt werden auf den neuen Brennstoff übergehen. Ein halbes Kilo davon wird künftig ein Flugzeug achtmal um die Erde treiben können.“ Leo Brandt zum „Atomplan der SPD“ auf dem SPD-Parteitag im Juli 1956
Auf Euphorie folgte harter Absturz
Viele Aspekte zur Geschichte des Zentrums seien noch unerforscht. Klar ist: Extreme Höhen und Tiefen gehörten dazu, wie sich Ex-Vorstandschef Manfred Popp erinnert. „Wenn man zuerst auf einer Woge der Begeisterung getragen wird und dann so einen gesellschaftlichen Absturz erlebt – das ist hart zu ertragen“, sagt er. „Nicht alle Mitarbeiter haben das leicht weggesteckt.“ Letztlich sei der Wandel aber geglückt. Anfang der 90er Jahre bestand die Gefahr, dass das Zentrum abgewickelt wird. „In der ehemaligen DDR ist das ja vielen Teilen der Wissenschaft passiert“, betont Popp. „Das war schon ein Wettlauf damals.“
Die Veranstaltung: „Geschichte schreiben: Das Kernforschungszentrum Karlsruhe. Von der Atomeuphorie über die Nuklearkontroverse bis zur Energiewende." Vortragsveranstaltung auf dem KIT-Universitätscampus in Karlsruhe, Donnerstag, 23. Januar, ab 18 Uhr im NTI-Hörsaal, Campus Süd, Gebäude 30.10. Am Freitag, 24. Januar, 9.30 bis 13 Uhr, Neuer Senatssaal, Gebäude 11.30. Das ausführliche Programm ist abrufbar unter www.zak.kit.edu/kfz.