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Kritik am Führungsduo

Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans: Wirkungslos verpufft das Feuerwerk der neuen SPD-Vorsitzenden

Knapp zwei Monate nach der Wahl der Schwarzwälderin Saskia Esken und des Nordrhein-Westfalen Norbert Walter-Borjans zu den neuen SPD-Vorsitzenden macht sich Ernüchterung breit. Der Aufbruch ist ausgeblieben, in Umfragen verharrt die Partei zwischen zwölf und 14 Prozent.

SPD-Chefs Esken und Walter-Borjans
Saskia Esken, Bundesvorsitzende der SPD, spricht neben Norbert Walter-Borjans, Co-Bundesvorsitzender der SPD, während der Pressekonferenz nach der Sitzung von SPD-Bundesvorstand und Präsidium im Willy-Brandt-Haus. Foto: Michael Kappeler/dpa

Knapp zwei Monate nach der Wahl der Schwarzwälderin Saskia Esken und des Nordrhein-Westfalen Norbert Walter-Borjans zu den neuen SPD-Vorsitzenden macht sich Ernüchterung breit. Der Aufbruch ist ausgeblieben, in den Umfragen verharrt die Partei zwischen zwölf und 14 Prozent. Und in der Bundestagsfraktion geht man zunehmend auf Distanz zum neuen Führungsduo.

Peter Tschentscher hat sich entschieden. Der Bürgermeister von Hamburg und SPD-Spitzenkandidat bei der Wahl zur Bürgerschaft Ende Februar verzichtet in seinem Wahlkampf auf die Unterstützung durch die neuen Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans. Offiziell heißt es bei den Sozialdemokraten in der Freien und Hansestadt, bei der Planung der Termine habe noch gar nicht festgestanden, wer sich bei dem Mitgliederentscheid durchsetzen und auf dem Parteitag in Berlin Anfang Dezember gewählt werden würde.

Wahlkampf in Hamburg ohne die Parteichefs

Aber hätte dies auch für den Fall gegolten, dass Tschentschers Vorgänger, der Hamburger Olaf Scholz, gewonnen hätte? So entsteht der Eindruck, dass der Bürgermeister größtmögliche Distanz zum neuen Führungsduo halten will. Bei der Bürgerschaftswahl gehe es ausschließlich um Hamburg, argumentiert er. „Da wünschen wir uns, dass die Hamburger Themen im Vordergrund stehen.“

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Esken und Walter-Borjans gewinnen Zeit

Für die neuen Vorsitzenden der Partei ist das eine schlechte Nachricht – aber auch eine gute. Einerseits kommt die demonstrative Absage einem Misstrauensvotum gleich, die Hamburger Genossen fürchten wohl, in den Abwärtsstrudel der Mutterpartei zu geraten. Andererseits aber können Walter-Borjans und Esken nicht dafür verantwortlich gemacht werden, wenn die SPD in ihrer Hochburg im Norden massiv Stimmen verliert, was alle Umfragen vorhersagen. Damit hätten der Nordrhein-Westfale und die Schwarzwälderin etwas Zeit gewonnen, um sich zu konsolidieren und etablieren.

Schon ist von einem "Fehlstart" die Rede

Auch wenn der Hamburger Landesverband nicht repräsentativ für die Gesamtpartei ist, weil er als vergleichsweise konservativ und hanseatisch pragmatisch gilt, ist die Debatte doch symptomatisch für die Stimmung in der SPD. Die Euphorie des Neuanfangs, die auf dem Parteitag in Berlin beschworen wurde, hat nicht lange angehalten, schon mehren sich die Stimmen, die von einem „Fehlstart“ des neuen Führungsduos sprechen.

Lauter Knall und schnelles Verglühen

Denn auch in den Umfragen kommt die SPD nicht von der Stelle, liegt unverändert bei mageren zwölf bis 14 Prozent. Auch wenn noch offiziell die 100-Tage-Schonfrist gilt, in der man sich mit öffentlichen Bewertungen zurückhält, rumort es in vor allem in der SPD-Fraktion gewaltig – und das nicht nur bei den Anhängern des unterlegenen Olaf Scholz im rechten „Seeheimer Kreis“, sondern auch im gemäßigten linken Lager. Man sehe mit „Erstaunen und Verwunderung“, wie Walter-Borjans und Esken ein ganzes „Feuerwerk an Vorschlägen“ abfeuerten, sagt ein führender Sozialdemokrat aus dem Süden den BNN, „und wie bei jedem Feuerwerk gibt es erst einen kurzen lauten Knall – und danach ein schnelles Verglühen“.

Vorschläge sind nicht mit der Fraktion abgesprochen

An Schlagzeilen herrschte kein Mangel. So forderten die beiden seit ihrer Wahl unter anderem höhere Rentenbeiträge für Gutverdienende, einen höheren Spitzensteuersatz, das Streichen aller steuerlichen Ausnahmen für Firmenerben, die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, eine Bodenwertzuwachssteuer, die Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro sowie ein Ende der „schwarzen Null“. Zudem verteidigte Esken den „demokratischen Sozialismus“ und stellte die Polizeitaktik bei den Silvesterkrawallen in Leipzig infrage.

Das sei ja nicht alles falsch oder unvernünftig, heißt es in der Fraktion, aber da diese Vorschläge und Vorstöße weder mit Fraktionschef Rolf Mützenich noch mit den zuständigen Arbeitsgruppen oder Berichterstattern abgesprochen seien, die zu ihrer eigenen Überraschung davon aus der Zeitung erfuhren, würden sie im luftleeren Raum verpuffen. „Wenn man mit einer Forderung an die Öffentlichkeit geht, muss man vorher Verbündete suchen, die für die nötige Unterstützung sorgen, aber das geschieht nicht“, klagt ein Abgeordneter. „Eine One-Man und One-Woman-Show nützt nichts, wir brauchen ein Team. Wir sind als Fraktion dazu bereit, aber dann muss man uns auch in die Überlegungen einbinden.“

Die Linken kritisieren den Kuschelkurs mit der Union

Die Linken in der Partei, die lieber heute als morgen aus der ungeliebten GroKo aussteigen wollen, klagen lautstark darüber, wie schnell Esken und Walter-Borjans von dieser Forderung abgerückt sind. „Für einen Kuschelkurs mit der Union haben wir sie nicht gewählt“, klagt eine Vertreterin der Parlamentarischen Linken. Da habe man sich „mehr Distanz“ erwartet.

Die Fraktion ist eigenständig
Fraktionschef Rolf Mützenich

Erkennbar ist, dass nicht die Parteichefs vom Willy-Brandt-Haus aus den Kurs vorgeben, sondern die Ministerinnen und Minister sowie die Fraktion mit ihrem Chef Mützenich an der Spitze. „Mützenich ist der starke Mann in der SPD“, sagt ein Abgeordneter den BNN, „er hat hohe Akzeptanz und genießt die Unterstützung aller Flügel.“ Er sorge dafür, dass die Handschrift der SPD in der Großen Koalition mit der Union sichtbar werde.

Bei der Klausur der SPD-Fraktion Anfang Januar stellte denn auch Mützenich im Beisein von Walter-Borjans und Esken unmissverständlich klar, dass er sich von den Parteichefs nicht ins Handwerk pfuschen lassen wolle. „Die Kompetenz und Expertise, die die SPD-Fraktion mit ihren 152 Abgeordneten hat, ist ganz maßgeblich auch für die Arbeit der SPD“, sagte er. Die Fraktion sei „eigenständig“, es gehe darum, sozialdemokratische Positionen in konkrete Gesetze umzusetzen – und das gehe nur in der Regierung.

Olaf Scholz hält an der Schwarzen Null fest

Und auch die Ministerinnen und Minister sind fest entschlossen, an ihrem Kurs festzuhalten. So erinnerte Finanzminister Olaf Scholz seine Kolleginnen und Kollegen im Kabinett daran, dass er auch bei der Aufstellung des Haushalts für 2021 an der Schwarzen Null festhalten wolle, obwohl sich die beiden Parteichefs für eine Neuverschuldung für Investitionen in die Infrastruktur oder Bildung ausgesprochen haben. Es gelte unverändert der „Grundsatz eines ausgeglichenen Haushalts“, an dem sich die Etatplanung zu orientieren habe, schrieb er – und machte damit mit deutlich, was er von der Position der Parteivorsitzenden hält: Nichts.

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