Zugang zum Internet ist eine Lebensgrundlage – diese Auffassung vertrat schon 2013 der Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Damals war trotzdem noch ein großer Teil der Gesellschaft vom Netz abgeschnitten: Die Senioren in Alten- und Pflegeheimen. Das ändert sich langsam, auch in Karlsruhe.
Rosemarie Erb findet WLAN scheußlich. Nicht den Zugang zum Internet, den nutzt sie intensiv. "Aber diese Abkürzung, 'Wireless' irgendwas", sagt die 84-Jährige seufzend. "Das kann ich mir nie merken."
Was sie hingegen kann: Ihr iPhone entsperren, WhatsApp öffnen, und ihrem 17-jährigen Enkel eine Nachricht schreiben. Denn im Pflegeheim "Alte Mälzerei" in Karlsruhe, wo die Seniorin wohnt, gibt es kostenloses WLAN, also kabellosen Zugang zum Internet.
Die Nachfrage steigt so langsam.Martina Warth-Loos (Heimstiftung Karlsruhe)
Die Einrichtung gehört der Heimstiftung Karlsruhe, einer Anstalt des öffentlichen Rechts. Der Stiftungsrat hatte bereits Ende 2017 beschlossen, einen Antrag der Karlsruher Grünen umzusetzen und "in der nächsten Zeit" WLAN in allen Einrichtungen anzubieten.
Fast zwei Jahre später war es im ersten Haus so weit: Die "Alte Mälzerei", ein moderner Neubau voller Technik, wurde im September 2019 bezogen. Zwei Monate nach Eröffnung des Hauses mit 100 Plätzen sind schon 30 kostenlose Internettickets an Bewohner und Angehörige ausgegeben worden.
Im Pflegeheim wohnen nicht nur alte Menschen
"Die Nachfrage steigt so langsam", berichtet Heimstiftungs-Geschäftsführerin Martina Warth-Loos, "es spricht sich herum". Besonders wichtig ist das Angebot für Bewohner der "Jungen Pflege" – hier leben auch Menschen in ihren Vierzigern.
Im regulären Pflegebereich sind die Bewohner zum Großteil älter als 80, laut Geschäftsführerin Warth-Loos habe es hier bis vor Kurzem keine größere Nachfrage nach WLAN gegeben. Doch der Wunsch nach Vernetzung wird steigen, glaubt sie: "Über das Internet ist zum Beispiel eine bessere Kommunikation mit weit entfernt lebenden Enkeln möglich."
Schauen Senioren bald gemeinsam YouTube-Videos?
Schon jetzt kämen ab und zu Angehörige ins Heim, brächten Laptops mit und zeigten darauf ihre im Netz gespeicherten Urlaubsfotos. "Oder sie richten den Bewohnern einen Skype-Zugang für Videoanrufe ein." Neben der einfachen Kommunikation könnte ein Internetzugang den Heimbewohnern auch Beschäftigung bieten, so Warth-Loos: "Sie schauen jetzt bereits gemeinsam Filme, da wäre es durchaus denkbar, dass man in Zukunft auch YouTube-Videos guckt."
Ganz so einfach wie in der "Alten Mälzerei" ist es für die Karlsruher Heimstiftung aber nicht überall. Im Durlacher Seniorenzentrum "Parkschlössle" läuft zurzeit die Konzeption, wie man Internet in das Bestandsgebäude bringen könnte. "Wir haben da sieben Stockwerke und wollen keine dicken Kabel überall hinlegen", erklärt Geschäftsführerin Warth-Loos.
Ziel sei aber auch hier, Internet in jedes Zimmer zu bringen – genau wie in die Seniorenresidenz am Wetterbach, die Anfang 2020 renoviert werden soll.
Flächendeckendes Angebot und Tablets in der Pflege
Etwas weiter sind bereits die AWO Karlsruhe und die Caritas. Die beiden Träger betreiben insgesamt neun Pflegeheime in Karlsruhe und haben flächendeckendes WLAN in allen Zimmern eingeführt. "Das kommt immer mehr", sagt Nicole Meyer von der AWO. "Wir haben 60- bis 70-Jährige, die sich mit ihren Angehörigen Fotos oder Filme angucken."
Man könnte ja meinen, die Bewohner hätten Berührungsängste, aber sie waren da eher neugierig.Nicole Meyer (AWO Karlsruhe)
Im Rahmen des Projekts "I-Care", das vergangenes Jahr endete, hat die AWO sogar aktiv Demenzpatienten an die Bedienung von Tablets herangeführt. "Die konnten sich Bilder ansehen oder Spiele spielen, das kam erstaunlich gut an", berichtet Meyer. "Man könnte ja meinen, die Bewohner hätten Berührungsängste, aber sie waren da eher neugierig."
In den Heimen der Caritas Karlsruhe sind Anfang des kommenden Jahres Handykurse für die Senioren geplant: Jugendliche sollen den Heimbewohnern die Geräte erklären und mit ihnen online gehen. Seit anderthalb Jahren gebe es in den Heimen bereits WLAN, sagt Vorstand Hans-Gerd Köhler.
Internet zur Verfügung zu stellen, sei für die Caritas eine Selbstverständlichkeit gewesen: "Das gehört heute einfach zum Leben und zum Service dazu."
Nicht in allen Heimen gibt es Internetzugang
Diese Ansicht hat sich aber anscheinend noch nicht überall verbreitet. Eine Umfrage unter Pflegeheimen in Karlsruhe und der Region ergab ein gemischtes Bild. Im Haus Aaron funktioniert die Technik noch nicht so richtig, im Haus Schmitz wird das bestehende Angebot kaum angenommen. Die private Seniorenresidenz Acabelle de Fleur bietet nach Auskunft einer Mitarbeiterin kein Internet an und plant das auch nicht für die nähere Zukunft.
Die Kurpark-Residenz Bellevue in Baden-Baden bietet WLAN im Café, außerdem haben sich nach Angaben einer Mitarbeiterin "ein, zwei Bewohner selbst einen Internetzugang im eigenen Zimmer angeschafft".
Im Seniorenzentrum Cura in Bruchsal gibt es kein WLAN, in einem Acherner Heim wissen die Mitarbeiter nicht sicher, wie es funktioniert. Andere Einrichtungen, die gar keinen Internetzugang anbieten, wollen ihren Namen nicht auf BNN.de lesen.
Neues Thema für den Stadtseniorenrat
Auch für den Karlsruher Stadtseniorenrat ist das Thema noch Neuland. "Ehrlicherweise haben wir darüber noch gar nicht gesprochen", gibt die Vorsitzende Karin Heidt zu, "dabei wäre es naheliegend." Die Digitalisierung hat längst auch die älteren Teile der Gesellschaft erreicht. Laut Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse nutzt mehr als ein Drittel der Über-65-Jährigen das Internet. Diese Generation kommt langsam ins Pflegealter.
Vor einigen Tagen erzählte Heidt den Mitgliedern des Stadtseniorenrats vom Erlebnis einer Bekannten, die eine Seniorin in einem Karlsruher Pflegeheim besuchte. Auf die Bitte, das Radio auszustellen, drehte sich die 93-Jährige um und sprach in den Raum "Alexa, mach das Radio aus". Die Geschichte sorgte für viel Gelächter im "Arbeitskreis Heime" des Stadtseniorenrats – und dafür, dass plötzlich ein ganz neues Thema auf der Agenda stand.
Kein Briefkasten in der Nähe, dafür WhatsApp immer griffbereit
In der zunehmenden Digitalisierung von Heimen sieht Karin Heidt Chancen für die Autonomie der Bewohner: Über sprachgesteuerte Geräte wie Amazons "Alexa" könnten auch körperlich eingeschränkte Senioren Radio oder Fernsehen steuern. "In vielen Heimen wird der Fernseher morgens an- und abends wieder ausgemacht", so Heidt, "und die Bewohner müssen das dann den ganzen Tag lang ertragen."
Das Beispiel der 93-Jährigen aus einem Karlsruher Heim zeigt, dass es auch anders geht. Und die 84-jährige Rosemarie Erb beweist, dass sich das Mediennutzungsverhalten quer durch alle Generationen geändert hat. Denn: Erb würde zwar gerne auch noch öfter echte Briefe auf Papier schreiben. Doch der nächste Briefkasten ist einen halben Kilometer entfernt. Ihr iPhone hat Erb hingegen immer griffbereit in der Tasche.
"Ohne wäre mein Leben furchtbar", sagt Erb, für die das Handy der direkte Draht zur eigenen Tochter ist, zu den Enkeln und sogar zu vielen Freunden aus ihrer Uni-Zeit. Ein Seniorenheim ohne WLAN? "Da würde ich wahnsinnig werden." Nur die Abkürzung, an die wird Erb sich wohl nicht mehr gewöhnen.