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Peter Weibel im Interview

ZKM-Chef Weibel widmet sich Klimakrise, Künstlicher Intelligenz und Renaissance

Wird man im Museum irgendwann von Bildern angeredet? Ist Kunst eigentlich Wissenschaft? Und wie lässt sich mit Daten auf die Klimakrise reagieren? Es sind viele und vielschichtige Themen, die Peter Weibel in den verbleibenden Jahren seiner Amtszeit am ZKM Karlsruhe noch umsetzen will, wie er im BNN-Interview verriet.

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Peter Weibel hat viele Pläne für seine verbleibenden Jahre als Künstlerischer Vorstand des ZKM Karlsruhe. Foto: Deck

Das Jahr 2019 war – was Peter Weibel anbelangt – lange von der Frage beherrscht: Wird Weibels Vertrag als Künstlerischer Vorstand des Karlsruher Zentrums für Kunst und Medientechnologie (ZKM) verlängert oder nicht? Mittlerweile steht fest: Ja, der Theoretiker, Wissenschaftler, Künstler und Kurator wird die international renommierte Institution bis Ende März 2023 leiten. Mit unseren Redaktionsmitgliedern Michael Hübl und Andreas Jüttner sprach Peter Weibel über die Pläne des ZKM für diese Zeit.

Die Monate der Ungewissheit sind vorbei, jetzt können Sie wieder mit berechenbaren Verhältnissen arbeiten. Was planen Sie?

Weibel: Es wird einige große Ausstellungen geben, unter anderem mit den noch nie öffentlich gezeigten Skulpturenvitrinen von Anselm Kiefer. Aber wir sind mehr als ein Museum, denn wir haben auch Forschungsprojekte. Seit der Gründung des Hertz-Labors ist der Erfolg noch größer, denn durch den Namen wird der wissenschaftliche Anspruch erkennbar. Wir sind das von der EU meistgeförderte Kulturinstitut in Deutschland und leiten gerade eine neue Etappe ein in der Forschung zu AI, Artificial Intelligence. Hier geht es um emotionale Aspekte, zum Beispiel um die Frage: Wie kann Künstliche Intelligenz Empathie simulieren?

Worauf basiert diese Forschung?

Weibel: Sie kennen ja meine Leidenschaft für Wiederentdeckungen. Er gab den Kybernetiker Manfred Clynes, der das Wort Cyborg erfunden hat. Er war auch Pianist und hat in seinem Buch „Sentics“ erforscht, warum Musik eine emotionale Wirkung hat und wie man diese Wirkung messen und steuern kann. Der Mann ist weitgehend vergessen, aber um ihn herum machen wir unser Forschungsprojekt zu AI.

Musik wird also ein Thema sein?

Weibel: An der Musik, die ja Mutter der zeitbasierten Künste ist, kann man die technische Entwicklung des 20. Jahrhunderts am besten sehen. Vom Orchester zur elektronischen Musik – diese Entwicklung in nur 100 Jahren, das muss ein Thema sein für uns. Zum Beispiel haben wir ein von Creative Europe gefördertes Projekt mit Gastkünstlern aus Griechenland, Georgien, Schweden und Kolumbien, wo es auch um die Frage geht, wie man mit Hilfe von Computern komponieren kann. Bisher hat man Computer eingesetzt, um Inhalte zu vermitteln. Jetzt geht es darum, mit Hilfe neuer Technologien etwas zu produzieren, was es vorher so nicht gegeben hat.

Kooperationen scheinen eine wichtige Rolle zu spielen.

Weibel: „Beyond Matter“ beispielsweise wird von der EU gefördert, da sind wir Antragsteller und Projektleiter zusammen mit dem Centre Pompidou Paris und dem Ludwig Museum in Budapest und mit anderen Einrichtungen in Estland, Albanien sowie der Aalto Universität in Helsinki. Hier geht es darum, mit AI und VR zu kuratieren. Die Maschinen lernen, im virtuellen Raum zu kuratieren. Damit können Ausstellungen rekonstruieren und dokumentiert, aber auch geplant werden. Vielleicht sogar Ausstellungen, die gar nicht im realen Raum stattfinden.

Das heißt, es könnte Ausstellungen geben, die man nicht im eigentlichen Sinn betreten kann?

Weibel: Ja, Medienkunst braucht ja nicht die originale Leinwand wie etwa Malerei. Für all diese Projekte haben wir weltweite Netzwerke aufgebaut, wir bekommen Künstler von Burundi bis Lettland, die kommen hierher und wir arbeiten gemeinsam an diesen Themen.

Das klingt nach langfristigen Zeitplänen…

Weibel: Alle diese Projekte sind auf drei bis vier Jahre Forschung angelegt. Das war auch der Grund, warum ich die Verlängerung meines Vertrags beantragt habe. Ich habe diese Projekte ja als einer der Antragsteller mit unseren Kooperationspartnern entwickelt.

Sicher gibt es noch weitere Vorhaben?

Weibel: Ein Lieblingsprojekt von mir ist: Wie können Chatbots das Museum verändern? Ich stelle mir das so vor: Man steht vor einem Bild, und das fragt plötzlich „Kannst du mir helfen? Ich weiß nicht wie ich heiße. Schau auf das Schild, da steht mein Name.“ Und wenn dann ein Dialog entsteht, können die Bilder von sich erzählen. Dafür braucht man intelligente „Agenten“, die auf die Fragen reagieren. Für dieses Projekt „Digitale Wege ins Museum“ werden wir auch vom Land Baden-Württemberg gefördert.

Gibt es da auch Anwendungsmöglichkeiten außerhalb von Museen?

Weibel: Auch die Anwendung von Bildschirm-Learning gehört hier dazu. Bisher haben Lehrer die undankbare Aufgabe, darauf zu reagieren, dass in einer Klasse manche schneller und manche langsamer sind. Da könnte maschinelle Unterstützung dazu beitragen, dass jeder Schüler sein individuelles Tempo finden kann. Auch solche Dinge entwickeln wir in den nächsten Jahren. Das Museum als Lernumgebung haben wir in „Open Codes“ ja schon gezeigt.

Sie blicken also optimistisch in die Zukunft?

Weibel: Viele sehen nur den dystopischen Aspekt – Deutschland ist in solchen Fragen ja oft der Weltethikrat. Aber nehmen wir zum Beispiel die Medizin: Wie viele Elektrokardiogramme kann sich ein Arzt im Lauf seines Lebens merken? Wenn ich hoch rechne, würde ich sagen: 1.000. Wenn er ein neues sieht, muss er nachdenken und sich fragen, was es bedeutet. Ein Computer kann spielend eine Million speichern und bei einem neuen sofort erkennen: Das sieht aus wie Nummer 625.000, der Patient damals ist drei Stunden später an dem und dem gestorben. Und dann weiß der Arzt, er muss schnell handeln. Keines dieser Geräte wird uns beherrschen oder etwas Böses tun. Es kann uns unterstützen, besser zu analysieren, was zu tun ist. Das versuchen wir im Bereich Kunst und Museum voranzutreiben, um so etwas von der Angst wegzunehmen, die derzeit alle vor der Zukunft haben.

Nun sieht aber, wenn man in die Zukunft blickt, durchaus nicht alles rosig aus.

Weibel: Unser nächstes großes Ausstellungsprojekt ab Mai 2020 machen wir mit Bruno Latour. Es heißt „Kritische Zone“ und befasst sich mit der dünnen Schicht rund um die Erde – 15 Kilometer nach oben, 15 ins Erdinnere. Wenn diese 30 Kilometer kaputt sind, kann man sich verabschieden von der Erde. Diese Zone wird schon lange beobachtet – damit hat Humboldt angefangen, mit der Messung von Luftdruck, Feuchtigkeit und so weiter. Klar ist jetzt: Wir müssen die Veränderungen in dieser Schicht gründlich beobachten und analysieren. Da bekommen wir auch eine andere Antwort auf die Bewältigung der Klimakrise als nur Sparvorschläge. Reduktion allein löst das Problem nicht.

Sie gehen also grundlegend von Beherrschbarkeit aus?

Weibel: Alles, was wir heute als Natur erleben, ist von uns gemacht. Die Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Vollhard hat gesagt: 99 Prozent der Lebewesen, die es gab, sind wieder verschwunden. Das ist der Preis der Evolution. Wenn sich vor 10 000 Jahren die Luft verändert hat, dann ist ein bestimmter Baumtyp verschwunden, weil es für ihn schlecht war. Andere profitieren davon. Die Angst derzeit ist die, dass erstmals der Mensch selber bedroht ist, weil er seine Lebensgrundlagen zerstört. Daher heißt der Untertitel unserer Ausstellung „Horizonte einer neuen Erdpolitik“.

Wo bleibt bei diesen wissenschaftlichen Fragen die Kunst?

Weibel: Schon Leonardo da Vinci hat geschrieben: Die Malerei ist eine Wissenschaft. Und denken Sie mal an die Aufsichten auf Landschaften von holländischen Malern – wie haben die das gemacht, lange vor Erfindung von Flugzeugen in einem Land ohne Berge? Wie haben sie die Schatten von Wolken auf Stadtansichten gemalt? Sie haben es berechnet. In meiner Abschiedsausstellung, die für März 2023 als Kooperation mit der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe geplant ist, wird es unter dem Arbeitstitel „Renaissance 2.0“ auch um das gehen, was Raffaels Fresko „Schule von Athen“ zeigt: Da sind die Wissenschaftler, die Ingenieure und die Philosophen in einer Akademie versammelt. Das ist aus meiner Sicht wieder aktuell.

Wissenschaft und Kunst gehören für Sie zusammen?

Weibel: Ja, auch bei einem weiteren Thema, mit dem wir uns befassen: Transhumanismus. In Silicon Valley gibt es bereits Stimmen, die behaupten, man könne den Tod abschaffen. Das steht für mich in folgender Reihe: Als erstes gab es für den Menschen mit der Elektrifizierung den Sieg über die Sonne, dann folgte mit Fluggeräten der Sieg über Schwerkraft. Und jetzt kommt, mit Gentechnik und Operationen, der Sieg über die Asche. Wobei das eigentlich schon immer der Antrieb von Kultur war: Man schreibt, um zu überleben. Wenn ich mir die Bilder von Hans Baldung Grien anschaue, bin ich beeindruckt: Wie kann ein Künstler 500 Jahre überleben? Das ist eine zivilisatorische Leistung: Der Mann ist 500 Jahre tot, aber die Bilder sind immer noch da und sie sagen uns immer noch etwas.

Tag der offenen Tür

Das ZKM ist am Montag, 6. Januar, von 11 bis 18 Uhr bei freiem Eintritt zum „Tag der offenen Tür“ geöffnet. Zum umfangreichen Programm gehört ab 17 Uhr eine Podiumsdiskussion zum Thema „Kritische Zone“. – www.zkm.de



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