Liebe Leser,
haben Sie in diesem Jahr schon zum Stift gegriffen und einen Brief geschrieben? Falls nicht, stehen die Chancen gut, dass sich das auf den letzten Metern, also während der letzten Wochen in 2020, noch ändern wird.
Denn laut der Deutschen Post wächst das Briefaufkommen jedes Jahr pünktlich zur Adventszeit. Alle Jahre wieder werden da die Füller gezückt, Briefbögen herausgeholt und los geht’s.
Ja, generell gibt es diesen Trend, dass immer weniger Briefe verschickt werden. Ein Minus von zwei bis drei Prozent jedes Jahr meldet die Deutsche Post mit großem Bedauern. „Insgesamt hat die Deutsche Post 2019 über 17 Milliarden Briefsendungen befördert, darunter rund 147 Millionen Postkarten“, sagt Marc Mombauer von der Pressestelle Süd. Das macht, rechnet er vor, 57 Millionen Briefe pro Werktag. Im Jahr 2013 waren es noch 64 Millionen.
Aber: Kein Grund zum Kulturpessimismus. Denn auch wenn erst Fax, dann E-Mail, jetzt Whatsapp den Menschen neue Möglichkeiten der Kommunikation bescherten, gibt es sie ja eben noch, die Briefschreiber, die Postkartenliebhaber, die Menschen, die sich gerne schriftlich und noch lieber handschriftlich mitteilen. „Digitale Grüße per Whatsapp oder SMS sind flüchtig“, sagt Mombauer. „Weihnachtsgrüße per Post hingegen bleiben in Erinnerung und werden sogar häufig aufbewahrt.“
Die schönsten Briefe schreibe ich nach Mitternacht.Inge Strüwing, Bibliothekarin
Inge Strüwing (57) aus Karlsruhe-Rüppurr zum Beispiel macht das. Sie schreibt auch schon ihr ganzes Leben lang Briefe. „Lange Briefe“, sagt sie. „Bei Whatsapp bin ich nur, weil unsere Söhne dort auch reagieren, wenn man sie anschreibt.“ Die Bibliothekarin hat schon von Berufs wegen ein inniges Verhältnis zur Sprache.
Doch das Briefeschreiben ist bei ihr auch ein Familiending. Ihre Schwester tut es, ihr Mann tut es. „Vor Weihnachten sitzen mein Mann und ich da mit Kerzen und Tee und schreiben“, erzählt sie. „Manchmal stundenlang.“ Muße, die braucht sie zum Schreiben. Das war schon immer so. „Die schönsten Briefe schreibe ich nach Mitternacht“, sagt Inge Strüwing.
Sie schickt sie an Freunde und Freundinnen, sogar eine aus der Kindergartenzeit ist noch dabei. „Natürlich telefonieren wir auch. Aber mir fällt es leichter, meine Gefühlswelt darzustellen, wenn ich sie niederschreibe. Das hilft mir auch selbst weiter.“
Briefeschreiben als Hilfe zur Selbstreflexion. Aber auch zum Erkenntnisgewinn des Lesenden? Sicher, und das auch noch Jahre später. Bestes Beispiel sind die Briefwechsel berühmter Persönlichkeiten, die Jahr für Jahr in den Programmen der Buchverlage auftauchen und deren Erscheinen teilweise sehnsüchtig erwartet wird.
Da wird veröffentlicht, was sich Goethe und Schiller zu schreiben hatten, Ingeborg Bachmann und Paul Celan, Paul Celan und Nelly Sachs, Willy Brandt und Günter Grass, Simone de Beauvoir und Paul Sartre. Intimste Gedanken, Liebesglück und Seelenpein – alles ist nachzulesen. Näher kann man den Schreibenden doch gar nicht kommen. Oder um es mit dem bekennenden Briefefreund Goethe zu sagen: „Deshalb sind Briefe so viel wert, weil sie das Unmittelbare des Daseins aufbewahren.“
Eine ganze Internetseite mit “letters of note“
Es gibt eine ganze Internetseite, die sich seit 2009 dem Sammeln von Briefen zumeist aus der Feder berühmter Persönlichkeiten verschrieben hat, den „letters of note“. Sie zog solch ein Interesse auf sich, dass 2013 erste Briefe in Buchform veröffentlicht wurden und seitdem stetig neue herrliche Ausgaben folgen.
Im 2020 bei Heyne erschienenen„Briefe, die die Welt bedeuten“ findet sich unter anderem der Brief „Doch, Virginia, den Weihnachtsmann gibt es“. Er ist ein Leitartikel in Form eines Antwortschreibens auf die Nachricht der achtjährigen Virginia, die 1897 dem Herausgeber der New Yorker Tageszeitung The Sun schrieb: „Ein paar von meinen Freunden sagen, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt. Papa sagt immer: ,Wenn es in der Sun steht, dann stimmt’s.’ Bitte sagen Sie mir die Wahrheit, gibt es den Weihnachtsmann?“
Kita-Kinder aus Durlach schreiben an Senioren
Die Kinder der AWO-Kita Villa in Karlsruhe-Durlach würden das klar bejahen. Oder vielleicht sagen: Nee, aber das Christkind, das gibt es! Die Kita-Villa-Kinder haben in diesem Jahr nämlich in ihrem Wintergarten einen Briefkasten für Nachrichten an eben diese weihnachtlichen Persönlichkeiten stehen. Sie malen oder schreiben ihre Wunschzettel, werfen sie ein – und dann?
„Dann stecken wir ihnen heimlich eine Empfangsbestätigung ins Kindergartentäschle“, sagt Kita-Leiterin Sabine Sauer (54). Ja, natürlich gehe es gerade in diesen schwierigen Corona-Zeiten darum, mit den Kindern die Vorweihnachtszeit recht festlich zu begehen. Aber das sei nicht alles: „Es ist uns auch wichtig, den Kindern zu zeigen, dass es die Kommunikationsform des Briefeschreibens überhaupt gibt“, sagt Sauer.
Schon während des Lockdowns haben die Villa-Kinder Briefe „geschrieben“. An die Senioren-Bewohner des Anna-Leimbach-Hauses, einer Wohn- und Pflegeeinrichtung der AWO. „Wir hatten eine Vorlage gestaltet wie aus einem Freundebuch: Wo wohne ich, was mache ich am liebsten, so etwas stand darauf. Das haben die Kinder gemalt. Und dann hat der Franz der Wilhelmine geschrieben. Ganz persönlich.“ Zurück kamen Fotos, die das Pflegepersonal von den Damen und Herren beim Briefelesen gemacht hatte. Zu sehen waren lauter glückliche Gesichter.
In Speyer war während des Lockdowns gleich die ganze Stadt aufgerufen, Karten und Briefe zu schreiben. Vor allem an Seniorenhäuser und Pflegeheime. So sollte der drohenden Einsamkeit entgegengewirkt werden, heißt es aus dem Rathaus. Siehe: Briefe können heilsame Kräfte haben.
Jeder Zweite will zum Fest Grüße versenden
Dass in Corona-Zeiten landesweit mehr Briefe geschrieben wurden, lässt sich mit den Zahlen der Deutschen Post zwar nicht belegen, aber laut Marktforschungsinstitut Innofact hat in Deutschland jeder Zweite fest vor, zum Fest 2020 weihnachtliche Grüße zu versenden. Kinder wurden nicht befragt. Im vergangenen Jahr haben viele von ihnen ihren Wunschzettel mit der Post geschickt: In der Weihnachtspostfiliale Himmelpfort, wo die meiste Weihnachtspost einging, waren es etwa 294.000 Briefe aus rund 65 Ländern. Es gibt also eifrige Briefeschreiber in aller Welt.
Und der Weihnachtsmann schreibt zurück ...
Und manchmal antwortet ihnen der Weihnachtsmann sogar: Die vier Kinder von J. R. R. Tolkien etwa, dem „Herr der Ringe“-Autor, erhielten jedes Jahr Post von Santa. Oder von seinem Helfer, dem Polarbären, der gerne mal über die Geschenke gefallen war oder die Schokolade aufgegessen hatte.
Papa Tolkien hatte sie geschrieben und mit liebevollen Zeichnungen versehen, 1920 den ersten. Seit die „Briefe vom Weihnachtsmann“ in Buchform erhältlich sind, sind sie ein Renner: Klett-Cotta, wo Tolkiens Werke auf Deutsch erscheinen, hat den Titel seit über 40 Jahren im Programm. In inzwischen acht Ausgaben und insgesamt 22 Auflagen, berichtet der Verlag nicht ohne Stolz. Die neueste kommt als prachtvolle Luxusausgabe im Schuber daher. „Ihr Lieben: Es scheint, dass Ihr jedes Jahr mehr werdet“, schrieb 1927 der Tolkien-Santa an seine inzwischen drei Söhne. „Euch allen alles Liebe und viel Glück im Neuen Jahr. Euer Euch liebender Weihnachtsmann.“
Post von Weihnachtsmann und Co.
Wunschzettel an Nikolaus, Weihnachtsmann oder Christkind schicken? Kein Problem: In Deutschland gibt es dafür sieben Weihnachtspostfilialen. Wer auch eine Antwort erhalten möchte, muss aber unbedingt daran denken, die eigene Adresse anzugeben. Und soll der Antwortbrief mit Motivstempel bis zum Fest ankommen, müssen die Wunschzettel rechtzeitig abgeschickt werden. Genaue Daten finden sich auf der Internetseite der Deutschen Post.
Die Adressen der Weihnachtspostfilialen: An den Weihnachtsmann, Weihnachtspostfiliale, 16798 Himmelpfort. An den Weihnachtsmann, Himmelsthür, 31137 Hildesheim. An das Christkind, 51777 Engelskirchen. An das Christkind, 21709 Himmelpforten. An das Christkind, Kirchplatz 3, 97267 Himmelstadt. An den Nikolaus, 49681 Nikolausdorf. An den Nikolaus, Nikolausplatz, 66351 St. Nikolaus.