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Linguistik-Professor erklärt

Zwischen Ignoranz und Hysterie: Welche Rolle die Sprache in der Corona-Krise spielt

Ob "Hamsterkauf", "Quarantäne" oder "Ausgangssperre" – die Corona-Pandemie ist auch in der Sprache allgegenwärtig. Im BNN-Interview erklärt Linguistik-Professor Ekkehard Felder, was solche Begriffe in den Menschen auslösen und wie Politiker sprachlich durch die Krise steuern.

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Macht der Worte: Durch Sprache wollen Politiker die Menschen in der Corona-Krise davon überzeugen, zuhause zu bleiben – so auch Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Fernsehansprache. Foto: Fabian Strauch/dpa

Von „Quarantäne“ bis „Ausgangssperre“ – die Corona-Pandemie ist im öffentlichen Diskurs derzeit allgegenwärtig. Was diese Begriffe in den Menschen auslösen, welche Rolle die Sprache beim Coronavirus spielt und wie Politiker sprachlich durch die Krise steuern, erzählt der Sprachwissenschaftler Ekkehard Felder. Der 55-Jährige ist Professor für Germanistische Linguistik an der Universität Heidelberg.

Herr Felder, momentan dominieren in der öffentlichen Auseinandersetzung Wörter wie „Epidemie“, „Pandemie“ oder „Quarantäne“. Was lösen diese in den Menschen aus?

Das ist pauschal schwer zu sagen. „Quarantäne“ erinnert zunächst an Tiere, an einen medizinischen Kontext. Das löst mit Sicherheit großen Schrecken aus. „Pandemie“ war in meinem Bekanntenkreis unbekannter, weswegen das für einige erst einmal harmloser klang, obwohl dies fachsprachlich falsch ist. Prinzipiell hängt die Wortbedeutung stark von der Perspektive ab.

Was bedeutet das?

Nehmen wir etwa das Wort „Grenze“. Man kann es aus zwei verschiedenen Perspektiven sehen: Eine Grenze von innen bedeutet Schutz, gleichzeitig aber auch Einschränkung. Für einen Außenstehenden sind Grenzen dagegen auch Hindernisse, irgendwo hineinzukommen.

Die meisten Begriffe in dieser Krise sind sehr drastisch und vermitteln Negatives. Wäre nicht manchmal eine positivere Sprache möglich?

Die Situation ist ja unstrittig etwas Negatives und dieser Konsens zeigt sich auch in der sprachlichen Herangehensweise. Somit bleiben nur Schattierungsmöglichkeiten, ob wir etwas drastischer oder weniger drastisch formulieren. Interessant sind Metaphern wie „ein Licht am Ende des Tunnels sehen“. Auch diese optimistischen Formulierungen gibt es im Kontext der negativen Bezeichnungen.

Wie ist es zu erklären, dass manche Menschen auf die Corona-Krise und das Vokabular panisch reagieren, mache gelassen und wieder andere nahezu gleichgültig?

In der Gesellschaft gibt es viele verschiedene Charaktere mit unterschiedlichen Wissensvoraussetzungen. Deshalb ist es für die politisch Handelnden auch so schwierig, eine Sprache zu finden, die bei allen das Gleiche auslöst. Es muss quasi ein Mittelweg gewählt werden, der weder Ignoranz noch Hysterie befördert. Ich denke, das ist Frau Merkel vergangene Woche ganz gut gelungen.

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Gerade in der Corona-Krise ist es für Politiker schwierig, die richtigen Worte zu finden, sagt Linguistik-Professor Ekkehard Felder. Foto: Universität Heidelberg/Benjamin

Was genau hat die Bundeskanzlerin in ihrer Fernsehansprache denn gut gemacht?

Trotz ihrer eher nüchternen Art als Naturwissenschaftlerin hat sie einerseits Empathie gezeigt und damit an unser Verantwortungsbewusstsein appelliert, andererseits aber auch nichts beschönigt.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Merkel hat den drastischen Ausdruck „Ausgangssperre“ in ihrer Rede bewusst gemieden. Trotzdem hat sie klargemacht, dass die Regierung die Maßnahmen jederzeit verschärfen, aber auch wieder lockern kann – je nachdem, ob sich die Bevölkerung an die vereinbarten Regeln hält.

Der Söder ist der Söder und Frau Merkel ist Frau Merkel. Es gibt keine allgemeingültigen Sprachstrategien.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat das Wort „Ausgangssperre“ dagegen schon früh in den Mund genommen. Wieso?

Markus Söder möchte strategisch deutlich machen, dass er ein Mann des Anpackens ist. Entsprechend ist das vielleicht auch ein Stück weit der kernigen, bayerischen Art geschuldet. Dieses Energische soll auch mit einer klaren, nicht beschönigenden Sprache zum Ausdruck kommen, soll Vertrauen wecken. Und an diesen Beispielen sieht man schön: Der Söder ist der Söder und Frau Merkel ist Frau Merkel. Es gibt keine allgemeingültigen Sprachstrategien, sie müssen immer zum Menschen passen, zur Region, zum Aufgabenbereich.

Merkel sprach aber auch von einer „historischen Aufgabe“. Dieses Pathos passt eigentlich nicht zu ihrer sonst eher nüchternen Sprache oder?

Das stimmt. Und deshalb erlangt diese Aussage großes Gewicht – weil Angela Merkel so etwas selten verwendet. Wenn Wörter häufig gebraucht werden, haben sie schnell eine entleerende Wirkung.

Die Sprache scheint in dieser Krise also generell eine sehr wichtige Rolle zu spielen.

Absolut. Wie kann die Politik die Menschen von einer bestimmten Verhaltensweise überzeugen? Durch Sprache. Man kann auch mit Bildern arbeiten. Aber sobald man an die Solidarität der Menschen appellieren und Empathie aufbauen möchte, geschieht das letztlich über Sprache. Sie ist deshalb momentan ein zentrales Mittel zur Steuerung der Verhaltensweisen.

Die Corona-Krise ist sehr dynamisch. Zeigt sich dies auch in der Sprache? Verändern sich Wortbedeutungen in der Krise?

Die Frage lässt sich am Beispiel „Hamsterkauf“ erklären, ein Wort, das in der Bundesrepublik bisher nicht mit einer unmittelbaren Lebenserfahrung verknüpft war. Durch Bilder der leeren Regale bekommt das Wort für uns in Deutschland eine neue, erlebbare Bedeutung. „Hamsterkauf“ ist unmittelbar mit Verantwortungsbewusstsein verknüpft. Mit diesem einzelnen Wort wird also eine Verhaltensweise stigmatisiert, und niemand, der sich für verantwortungsbewusst hält, will sich das Wort anheften lassen.

Zur Person: Seit 2005 ist Ekkehard Felder Professor für Germanistische Linguistik an der Universität Heidelberg. Der 55-Jährige ist zudem einer der Direktoren des Europäischen Zentrums für Sprachwissenschaften (EZS). Neben der Fachkommunikation und der Diskurslinguistik zählt unter anderem die Politische Sprachanalyse zu seinen Forschungsschwerpunkten.

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