
Das Durchschnittsalter von Männergesangsvereinen ist bekanntlich eher hoch als niedrig. Beim MGV Freundschaft aus Diedelsheim liegt es bei etwa 70 Jahren. Wie also schafft man es, die nun doch schon betagten Herren zum Carl-Maria-von-Weber-Festival nach Pokój in Oberschlesien zu bekommen? Die einfache Fahrt dauert – wenn es gut läuft – etwa zwölf Stunden, dann ein Auftritt und wieder zurück. Selbst für jüngere Menschen wäre das eine Strapaze.
Vorsitzender überzeugt skeptische Mitglieder
Bei einem Spaziergang hatte Eberhard Schallhorn, stellvertretender Vorsitzender des Vereins, eine Idee. „Wir leben im digitalen Zeitalter und Corona hat gezeigt, dass Anwesenheit auch ohne Präsenz geht“, erzählt der pensionierte Geografielehrer. Also könnte der MGV doch zu Hause ein Konzert geben und dies live nach Pokój streamen. „Ich habe die Idee dann meinen Sangeskollegen unterbreitet und die waren zunächst skeptisch“, sagt Schallhorn.
Durch Zufall stieß Schallhorn auf Susanne Labsch, Pfarrerin in der Christuskirche in Karlsruhe – eine frühere Schülerin von ihm. Nun muss man wissen, dass Pokój vor dem Zweiten Weltkrieg den Namen Carlsruhe trug. Die Namensgleichheit mit der badischen Residenzstadt kommt nicht von ungefähr. Beiden Orten liegt ein fast identischer Gründungsmythos zugrunde. An beiden Orten hat demzufolge der damalige Landesfürst ein Nickerchen nach der Jagd gehalten, geträumt und daraufhin ein Jagdschloss nebst umliegender Ortschaft errichtet. In Oberschlesien etwa 40 Jahre später, weshalb die badische Stadt als Vorbild diente.
Auftritt soll in Karlsruhe stattfinden
„Als ich Pokój kennengelernt habe, war ich fasziniert von seiner Geschichte“, berichtet Schallhorn, der mittlerweile schon mehrere Male dort war und gute Kontakte geknüpft hat. Die Idee „Von Diedelsheim über Karlsruhe nach Carlsruhe“ nahm Gestalt an. Erst recht nach einem Telefonat mit Pfarrerin Labsch. „Sie sagte mir, dass die Christuskirche wie geschaffen für Auftritte und ein solches Projekt sei“, so Schallhorn.
Dann folgten viele Gespräche mit dem Kantor der Kirche und den Veranstaltern des Carl-Maria-von-Weber-Festivals und natürlich immer wieder mit seinem Vorstand und den Sängerkollegen. „Denn natürlich muss in Pokój auch die entsprechende Empfangstechnik vorhanden sein“, so Schallhorn.
Für eine dieser Besprechungen war Hubert Kolodziej, Abgeordneter im Regionalparlament (Sejmik) Oppeln und einer der Bekannten von Schallhorn, Mitte August beim MGV in Diedelsheim. Sowohl in Diedelsheim als auch in Carlsruhe freut man sich auf das innovative Projekt – wenn denn die organisatorischen und finanziellen Voraussetzungen erfüllt werden können. Nicht zuletzt die Kosten für die Technik und die Miete für die Kirche müssen erst noch aufgebracht werden.
Rund 10.000 Euro wird es wohl kosten. Ein Betrag, den der Verein nicht einfach mal so aus der Kasse bezahlen kann, Unterstützer sind willkommen. „Bevor wir endgültige Zusagen machen, muss erst die Finanzierung stehen“, sagt auch MGV-Vorsitzender Wolfgang Horn. Geplant ist die Übertragung für 2025 am Fronleichnamstag. „Carl Maria von Weber hat einige Zeit in Pokój gelebt und komponiert. Deshalb wird dort jedes Jahr besagtes Festival veranstaltet“, erklärt Schallhorn. „Eigentlich müssten wir dann auch zumindest ein Stück von Weber singen“, überlegt Vorsitzender Horn und ist sich sicher, dass noch irgendwo Noten für den Jägerchor aus dem „Freischütz“ liegen müssen.