Vor eineinhalb Wochen waren die stetig steigenden Meldungen von Toten infolge einer Infektion mit dem Coronavirus in Alten- und Pflegeheimen noch ganz weit weg. Herborn in Mittelhessen, Würzburg in Unterfranken, Essen im Ruhrgebiet, Wuppertal und natürlich Wolfsburg in Niedersachsen, wo allein 23 Menschen innerhalb von elf Tagen durch Sars-CoV-2 starben.
Am 1. April schlug dann die vor allem für ältere Menschen gefährliche Lungenkrankheit Covid-19 auch in einem Pflegeheim in der Region zu. Zwei Bewohner des Altenwohn- und Pflegeheims Haus Schönblick starben, zudem wurden acht Corona-Infektionen bekannt.
Keine 48 Stunden später war die Zahl der Toten in der Einrichtung in dem Brettener Stadtteil Neibsheim auf fünf gestiegen, insgesamt 68 der rund 190 Bewohner sowie 36 Mitarbeiter waren mit Sars-CoV-2 infiziert.
Coronavirus bestimmt Alltag
„Das ist einfach nur schlimm, aber das ist gerade unser Alltag“, erklärt Clarita Kosel, die Pflegedienstleiterin im Haus Schönblick. Immerhin sind in den vergangenen Stunden keine weiteren Todesfälle dazugekommen, auch die Zahl der Corona-infizierten Personen ist über das Wochenende vergleichsweise gering angestiegen.
Nach Auskunft des Landratsamtes Karlsruhe sind aktuell 82 Bewohner und 48 Mitarbeiter an Covid-19 erkrankt, das sind 14 beziehungsweise zwölf mehr als am Freitag. Die Heimleitung versucht seit Tagen trotz des Fehlens von Schutzausrüstung ihr möglichstes, um die weitere Ausbreitung von Sars-CoV-2 im Haus Schönblick zu verhindern.
Hilfestellung gibt es vom Gesundheitsamt des Landratsamtes. „Das Landratsamt stellt Empfehlungen und Handlungsanweisungen zur Verfügung, die dann vor Ort umgesetzt werden müssen“, erklärt Pressesprecher Martin Zawichowski. Demnach sind alle infizierten Bewohner in Quarantäne, auch die anderen Bewohner sind auf ihren Zimmern.
Wegen Covid-19 geht Pflegeheim das Personal aus
Die infizierten Mitarbeiter sind natürlich ebenfalls in Quarantäne – doch genau hier liegt die Krux, denn langsam aber sicher geht das Pflegepersonal aus. „Wir müssen trotzdem irgendwie versuchen, den Pflegebetrieb aufrecht zu erhalten“, betont Clarita Kosel. Von der etwa 160-köpfigen Gesamtbelegschaft arbeiten rund 100 in der Pflege, von denen nun wiederum 48 mit Corona infiziert sind und somit nicht zur Verfügung stehen.
Eigentlich müsste man ja alle Mitarbeiter in Quarantäne schicken, denn irgendwie ist jeder auch eine Kontaktperson eines Infizierten gewesen.Clarita Kosel, Pflegedienstleiterin im Haus Schönblick
„Eigentlich müsste man ja alle Mitarbeiter in Quarantäne schicken, denn irgendwie ist jeder auch eine Kontaktperson eines Infizierten gewesen“, sagt Pflegedienstleiterin Kosel. Das Haus Schönblick ist zwar seit drei Wochen abgeriegelt, aber es sei schließlich nicht bekannt, wer wen wann und wo angesteckt hat.
Nicht zuletzt deshalb würden auch etliche Mitarbeiter zu Hause bleiben, da sie Angst haben, sich mit dem Coronavirus zu infizieren. Zumindest eine kleine Hilfe sei hier der Aufruf von Brettens Oberbürgermeister Martin Wolff (parteilos) und Landrat Christoph Schnaudigel gewesen, dass sich derzeit nicht in der Pflege aktive Pflegekräfte und Angehörige pflegenaher Berufsgruppen melden sollen, um bei der Bewältigung der Corona-Krise zu helfen.
Ich finde es prima, dass sich Leute trotz dieser schwierigen Lage melden und helfen wollen.Martin Wolff, Oberbürgermeister von Bretten (parteilos)
Sechs Personen hätten sich daraufhin bislang gemeldet, teilt Wolff auf Anfrage mit. „Ich finde es prima, dass sich Leute trotz dieser schwierigen Lage melden und helfen wollen. Schließlich ist man später inmitten von Infizierten“, betont das Stadtoberhaupt.
Bedarf an Schutzkleidung ist immens
Mittlerweile, ergänzt Kosel, verfüge man – zumindest für den Moment – auch wieder über Schutzausrüstung, doch der Bedarf an Schutzmasken, Handschuhen und Schutzkitteln sei nach wie vor immens.
Gerade einmal 15 Kilometer Luftlinie entfernt vom Haus Schönblick liegt das Alten- und Pflegeheim „Auf der Gänsweide“ in Sulzfeld. Dort gibt es weiterhin keinen Corona-Fall, „zum Glück“, sagt Inhaber Armin Schulz.
Neben der Sulzfelder Einrichtung mit 49 Betten betreibt Schulz in Bretten noch einen ambulanten Pflegedienst sowie eine Tagespflege mit 16 Plätzen. Schulz kennt die Sorgen und Nöte, die Clarita Kosel schildert, wenngleich bei ihm Schutzausrüstung ebenso noch ausreichend vorhanden ist wie das Personal.
Ich will gar nicht daran denken, was passiert, wenn wir die Bewohner in ihren Zimmern einschließen müssen.Armin Schulz, Inhaber des Alten- und Pflegeheims „Auf der Gänsweide“ in Sulzfeld
„Auch wir haben natürlich einen Plan C, aber das ist das allerletzte Mittel. Ich will gar nicht daran denken, was passiert, wenn wir die Bewohner in ihren Zimmern einschließen müssen“, betont Schulz. Gerade Demenzkranke würden unter einer Quarantäne extrem leiden. „Diese Patienten sind ja nicht freiwillig bei uns, sondern weil sie krank und hilfsbedürftig sind“, sagt Schulz und fügt an: „Wir haben eine große Verantwortung den Menschen gegenüber.“
Kritik an statistischem Umgang mit Coronavirus-Toten
Was Schulz mit Blick auf die Situation in Alten- und Pflegeheimen in der Corona-Krise generell stört, ist der Umgang mit den Zahlen zu den Covid-19-Toten, die tagtäglich von den Landratsämtern veröffentlicht werden.
Alle aktuellen Entwicklungen zum Coronavirus im Überblick
Derzeit sei jeder Verstorbene mit einer Infektion ein „Corona-Toter“, kritisiert Schulz. Legt man die Umrechnung der Sterbezahlen von 2018 des Statistischen Bundesamtes zugrunde, sterben jeden Tag rund 900 Menschen in deutschen Pflegeheimen. „Und das auch in Jahren ohne Corona“, betont Schulz. Demnach würden in jedem Jahr rund 40 Prozent aller Heimbewohner sterben.