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Mondsüchtig aus Leidenschaft

Was ist dran an den Vollmond-Mythen? Zu Besuch beim Experten der Sternwarte Gondelsheim

Die Sache mit dem Mond ist die: Obwohl die Wissenschaft schon so viel über ihn herausgefunden hat, ranken sich um ihn weiter Mythen und Legenden. Alles Hokuspokus?

Gelber Vollmond an blauem Nachthimmel.
„Der Mond ist aufgegangen ...“ So dichteten schon die Romantiker. Doch auch heute ist die Faszination der Menschen für den Vollmond ungebrochen. Foto: Bernd Lamm/Imago

Der Mond hängt über dem Turmberg. Der Berg ist nur ein schwarzer Schatten, der Himmel dunkelblau und der Mond so groß und gelb, dass die kleine Familie am Fenster, unten am Fuß des Durlacher Hausbergs, nur noch staunen kann. In ihrer Andacht steht sie nicht alleine da.

Seit Menschengedenken ist der Mond Objekt der Bewunderung, der Verehrung und der Anbetung gar. Besungen wurde er, bedichtet und gemalt. Wie er da so hängt, erinnert er an Bilder von Casper David Friedrich. An in Öl gepinselte Wanderer, die in einer vom Mondlicht versilberten Landschaft stehen. An Verse aus Kindertagen. „Der Mond ist aufgegangen, die goldnen Sternlein prangen“ reimte Matthias Claudius für sein „Abendlied“. Ja, die Romantiker feierten die Natur – und den Mond. Er ist aber auch schön.

„Mama“, will das älteste Kind wissen, „wieso ist der Mond heute so riesig?“ Mama hat keine Ahnung. Google leider so spontan auch nicht. Weil der Mond gerade aufgeht? Weil er der Erde heute besonders nahe ist? Lauter Vermutungen bloß. Da hilft nur, einen echten Fachmann zu fragen.

Warum sieht der Mond manchmal so groß aus?

Wer von Durlach nach Nord-Osten fährt, immer weiter und weiter, über die Bergdörfer Richtung Kraichtal, kommt irgendwann nach Gondelsheim. Und dort steht seit bald 40 Jahren eine Sternwarte. Sie steht hoch. Über den Tälern, mitten im Grünen. Und so steht sie vor allem nachts im Dunklen. Das ist Absicht, denn nur, wenn es absolut finster ist, lässt sich erfolgreich in den Himmel schauen. Erklärt Georg Henneges.

Georg Henneges (74) ist Vorsitzender des Vereins Kraichgau-Sternwarte Gondelsheim seit der Gründung 1985 und seit über 60 Jahren Hobby-Astronom. Obwohl: Hobby klingt nicht genug nach Expertise. Genau die hat Henneges aber. Henneges ist promovierter Physiker. Hätte man in seiner Jugend an deutschen Universitäten Astronomie studieren können, hätte er das getan. Konnte man aber nicht.

Der Funke sprang schon über, als er noch ein Junge in Mainz war und auf ein Buch mit Sternbildern stieß. Das war’s. Er baute sich sein erstes Fernrohr aus Pappe, besorgte sich eine Linse beim Optiker und fing an, Objekte am Himmel zu suchen. „Als erstes natürlich den Mond“, erinnert sich Henneges. Warum?

Hat der Mond mystische Kräfte?

Die Sache mit dem Mond ist die: „Er ist das hellste Objekt am Nachthimmel. Und das einzige, das seine Gestalt verändert. Natürlich zieht er die Blicke auf sich. Das war schon immer so.“ Im finsteren Mittelalter und ähnlich düsteren Epochen war er nachts ja auch die einzige Lichtquelle. Nachvollziehbar, dass er zum Mittelpunkt von Religionen wurde und die Menschen Mondgötter verehrten. Bei den alten Römern war es Luna. Der ihr gewidmete Tag ist heute unser Montag, also der Tag des Mondes.

Mystische Kräfte werden ihm immer noch zugeschrieben. Schlecht geschlafen? Es war Vollmond. Auffällig viele Kinder auf die Welt gekommen? Es war Vollmond. Dass er die Gezeiten bestimmt, ist belegt. Sonst? „Schöne Geschichten“, sagt Georg Henneges. „Viel Hokuspokus.“

Schöne Geschichten. Viel Hokuspokus.
Georg Henneges, Vorsitzender des Vereins Kraichgau-Sternwarte Gondelsheim

Ihm geht es um die Wissenschaft. Schon als Junge begann er, den Himmel zu kartografieren. Und weil ihn dabei die Straßenbeleuchtung störte und weil man damals noch Gaslaternen hatte, marschierte er einfach nach draußen und löschte das Licht. Heute geht das nicht mehr. Ist aber auf diesem Gondelsheimer Hügel, auf dem die Sternwarte thront, auch gar nicht nötig.

Davon kann man sich überzeugen an jedem ersten Mittwoch im Monat, an dem mit einem klaren Himmel zu rechnen ist. Immer dann, wenn Henneges und sein Verein die Menschen einladen, ihre Sternwarte zu besuchen und zu den Gestirnen hinauf zu schauen.

In der Region sind einige solche Beobachtungsposten verteilt, doch normalerweise innerorts, auf Schulgeländen nämlich. In Karlsruhe etwa gibt es eine Sternwarte auf dem Max-Planck-Gymnasium, in Durmersheim eine bei der Realschule. Gute Sache das, findet Henneges. Aber, ach, die Lichtverschmutzung. Ihm ist sein Hügel lieber.

Sternwarte in Gondelsheim wird oft besucht

Henneges steht wartend am Feldrand. Obwohl nicht der erste Mittwoch im Monat ist. Er hält Ausschau nach seiner nächtlichen Besucherin. Ob sie den Weg wohl findet im rasch schwindenden Tageslicht? Tut sie. Es ist fast 22 Uhr, als ich ankomme.

Georg Henneges hebt grüßend die Hand, während ihn die Scheinwerferkegel meines Autos erfassen. Ein Hase verschwindet im Feld, dann sind wir allein.

Finden die Menschen denn oft den Weg hier herauf? Oh ja, sagt Henneges zufrieden. Die kommen. Einmal, das weiß Georg Henneges noch, sollte ein Komet am Himmel auftauchen. Nur wann würde freie Sicht sein? Das Zeitfenster ließ sich nicht genau bemessen. Und so erschienen eine Woche lang jede Nacht zwischen 2 und 4 Uhr früh um die 40 Menschen bei der Sternwarte. Einfach auf Verdacht. Geduldig. Gespannt. Alles für einen Blick durchs Teleskop. „Das ist eben ganz anders, wenn man durchs Fernglas guckt“, erklärt Georg Henneges.

Durch ein Teleskop sieht der Mond ganz anders aus

Wir sind jetzt drinnen, in dem kleinen quadratischen Raum unter der drehbaren Kuppel. Henneges hat sie schon geöffnet. Das Teleskop, ein Fernglas mit Linse, ist gen Westen gerichtet. Jenseits der Öffnung spannt sich der Himmel. Noch ist die Nacht da draußen nicht pechschwarz, sondern samtblau. Etwas Zwielicht sickert herein.

Henneges trägt für alle Fälle eine Stirnlampe, würde sich im Zweifel aber auch ohne zurechtfinden. Er kennt hier jeden Winkel. Hat er die Sternwarte doch mit seinen eigenen Händen gebaut. Er hilft dabei, den Weg die paar Stufen hinauf zum Teleskop zu finden. Jetzt nur noch hindurchschauen. Ein bisschen Ausprobieren muss sein, wie nah dran und wie weit weg vom Okular muss man sein.

Und dann: Da ist er, der Mond. Aber oh, wie sieht er anders aus als sonst. So hell. Zu hell fast. Als würde er doch aus eigener Kraft leuchten und nicht nur Sonnenlicht zurückwerfen. „Das liegt an dem Spiegel im Teleskop“, erklärt Henneges. Es ist so, als habe man statt einer menschlichen Pupille mit sieben Millimetern Durchmesser plötzlich eine mit 25 Zentimetern. Ja, da geht eine Menge Licht durch. Schlieren ziehen über die Silbersichel, verdecken die Sicht. Wolken. Das Ärgernis der Astronomen. Geduld müssen sie haben.

Wir warten, dann zeigt der Mond sich noch einmal. Und da sind sie, diese Krater, von denen man weiß, die man mit bloßem Auge aber noch nie gesehen hat. Die man kennt von Fotos, von alten Aufnahmen, die Neil Armstrongs Schritte auf dem Mond zeigen. Schritte, die die Welt veränderten. Wo warst du, als Armstrong 1969 auf dem Mond spazieren ging? Die Mondlandung hat sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt.

Im Planetarium Mannheim hat man nie Probleme mit Wolken

Nacherleben lässt sie sich im Planetarium Mannheim. Sie ist Teil der Show „Faszination Mond“. Anders als bei einer Sternwarte, von der aus die Menschen direkt in den Himmel schauen, können sie in einem Planetarium Projektionen bestaunen. Sonne, Mond und Sterne in höchster Brillianz. „Die Kuppelerfahrung“, nennt das Mathias Jäger (39), wissenschaftlicher und technischer Leiter des Mannheimer Planetariums. Der Vorteil? „Wir sind wetterunabhängig“, sagt er gut gelaunt. Also kein Problem mit Wolken.

Jäger hat Astronomie studiert. In Österreich, da geht das schon lange. Andere Länder, andere Sitten? Ja, aber die Legenden vom Mond kennt man dort auch. Jägers Mutter etwa war Krankenschwester. Und schwor, dass ihre Patienten in Vollmondnächten toll wurden. Wissenschaftlich ist die Sache mit den Schlafstörungen allerdings widerlegt, erklären sowohl Mathias Jäger als auch Georg Henneges. Es sei wohl eher so, dass Menschen nachts aufwachen, den Vollmond sehen und denken: Ach deshalb kann ich nicht schlafen!

Ohne die wissenschaftliche Kenntnisse ist der Mond ein ganz großes Mysterium
Mathias Jäger, technischer und wissenschaftlicher Leiter vom Planetarium Mannheim

„Ohne die wissenschaftliche Kenntnisse ist der Mond ein ganz großes Mysterium“, sagt Jäger. „Heute wissen wir, dass der Mond um die Erde kreist, da macht das Sinn, dass er seine Lichtgestalt ändert. Vor 5.000 Jahren sah das anders aus. Das war ja erst Galileo Galilei, der das herausgefunden hat.“

5.000 Jahre später nun wird munter weitergeforscht. Eine neuere Studie spekuliert, dass der weibliche Zyklus, mit dem Mondzyklus übereinstimmt. Was ist davon zu halten? „Das sind sehr kleine Studien“, beruhigt Jäger. „Das Thema bleibt noch unerforscht. Wie wir Wissenschaftler immer sagen: Mehr Daten, mehr Daten.“

Daten und Bilder für alle gibt es am 16. Juli im Mannheimer Planetarium beim Tag der offenen Tür. Meist kommen da so um die 5.000 Besucher, erzählt Jäger. Denn: „Astronomie funktioniert.“ Mehr noch: „Astronomie ist die Einstiegsdroge in die Naturwissenschaften.“

Jäger findet es deshalb empörend bis kurzsichtig, dass sie aus den Lehrplänen deutscher Schulen verschwunden ist. Und freut sich über jedes Kind, das fragt: Aber warum ist der Mond denn jetzt so klein über dem Gondelsheimer Hügel? Und war über dem Turmberg so riesig?

Größerer Mond ist nur eine Illusion

„Das macht unser Gehirn. Das spielt uns das nur vor“, erklärt Georg Henneges. „Der Mond ist beim Aufgehen genauso groß wie fünf Stunden später, wenn er weiter oben steht.“

Und wer das nicht glauben kann, der soll das ausprobieren: Den Zeigefinger ausstrecken und zum Himmel recken. Dann ist der Mond so groß wie der Fingernagel. Und diese Größe hat er immer, egal, ob er gerade auf- oder untergeht. „Der Unterschied ist nur, dass man ihn beim Aufgehen mit Bäumen und Kirchtürmen vergleichen kann.“ Oder mit dem Turmberg. Irgendwie ernüchternd diese Erklärung. Obwohl der Mond so märchenhaft schön ist, ist die Astronomie eben eine Wissenschaft.

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