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Corona-Vorschriften erschweren den Alltag im Raum Bretten

Weniger Plätze in der Tagespflege: Angehörige von Senioren in Sorge

Seit Ende des Corona-Lockdowns gibt es in der Tagespflege in Bretten halb so viele Plätze wie sonst. Angehörige von Senioren müssen darum oft Pflegekräfte organisieren oder auch selbst für diese einspringen. Und in den Einrichtungen macht Corona den Alltag auch nicht immer leichter.

Eine Helferin reicht einer Seniorin das Essen.
Essen reichen und waschen: Was häusliche Pflege neben einer liebevollen Tagesgestaltung leistet, stellen Angehörige seit Pandemiebeginn vermehrt fest. Denn die Plätze in den Einrichtungen der Tagespflege, die die Familien sonst sehr entlastete, sind aktuell stark begrenzt. Foto: Mascha Brichta picture alliance/dpa

Trost zu spenden, Vertrauen und Gemeinsamkeit zu schaffen – solche Bedingungen erhoffen sich Angehörige von den Pflegeeinrichtungen für ihre Eltern oder Großeltern, neben der körperlichen Versorgung. Auch wird es Ziel der meisten Einrichtungen sein, eine liebevolle, lebenswerte Atmosphäre zu schaffen. Doch corona-bedingt scheint derzeit Einiges ins Rutschen zu geraten. Wo Körperkontakte beschränkt werden oder gemeinsames Singen verboten ist, da reißt die Pandemie schmerzhafte Lücken - in Strukturen, aber auch in seelische Bedürfnisse, ins Zwischenmenschliche, wie Beteiligte aller Seiten den BNN berichten.

Beide Eltern gingen lange nach Sulzfeld in die Tagespflege. Seit dem Tod seines Vaters, berichtet ein 60-jähriger, besuchte seine Mutter bis zum Pandemiebeginn einmal oder zweimal wöchentlich die Tagespflege. Der 60-Jährige war dankbar, auch für den Hol- und Bring-Service. Er und seine Frau sind berufstätig. Denn dank der Tagespflege der Diakonie hatte ihre heimische Pflegekraft auch mal Zeit für sich. „Das ist vollkommen flach gefallen mit Pandemiebeginn. Seine Mutter lebt noch zuhause in den eigenen vier Wänden in Oberderdingen.

Auch Pflegende und Familie brauchen Pausen

Die demente Seniorin spreche nicht mehr viel, könnte nicht alleine leben. So ist das Bruchsaler Ehepaar oft gefordert: Abwechselnd schneiden sich beide, wann immer es geht, aus dem Arbeitsalltag ein paar Stunden oder einen Tag für die Mama frei, um der heimischen Pflegekraft Erholungszeit zu schaffen.

Die Not der Angehörigen, die Überforderung bis hin zur Erschöpfung kennt man in den Tagespflegeeinrichtungen. Trotz schlechtem Gewissen und Schuldgefühlen gegenüber den Eltern, so Armin Schulz vom gleichnamigen Pflegedienst in Bretten, suchten Angehörige verzweifelt nach Lösungen. Die Nachkommen der Senioren sind selbst oft in fortgeschrittenem Alter, brauchen selbst auch Ruhephasen.

Während das Haus Edelberg in Oberderdingen keine Tagespflegeplätze anbietet, da diese räumlich nicht separierbar wären, kennt man die Not im Seniorenzentrum „Im Brückle“ in Bretten und in der Einrichtung der Diakonie Sulzfeld. Laut Schulz steigere die häusliche Mehrbelastung die Nachfrage nach Plätzen. Simone Schmidt bestätigt dies für die Plätzen der Tagespflege „Im Brückle“.

Es bleiben oft gerade die zuhause, die Betreuung dringend nötig hätten  
Armin Schulz, Inhaber eines Pflegedienstes in Bretten

Die befragten Einrichtungen können in die Tagespflege aktuell die Hälfte ihrer Gästezahl aufnehmen. Schulz: „So bleiben zurzeit auch Kunden zuhause, die die Betreuung aufgrund ihrer demenziellen Erkrankung dringend nötig hätten.“ Denn gerade dementen Menschen fehle somit viel von der stabilisierenden Tagesstruktur. Wo regelmäßige Tätigkeiten entfielen, fehlten auch Punkte im Tagesablauf, die dem Ziel dienten, die Selbstständigkeit der Senioren zu erhalten.

So könnten sich die Gäste nicht mehr selbst bedienen. Das Essen wie zuvor am gemeinsam am Buffet auszusuchen, habe auch „Gemeinschaft geschaffen“, sagt Simone Schmidt. Das Angebot - Backen, Kochen oder Gesellschaftsspiele - sei unter den Hygienevorschriften vom Personal seltener oder unter erheblichem Mehraufwand leistbar laut Schmidt und Schulz. Zumal, wenn wie bei der Einrichtung der Diakonie Sulzfeld etwa Personal fehle, da es zur Risikogruppe gehöre, so Pflegedienstleiterin Heike Schwarz.

Der Mehraufwand betrifft auch den Hol- und Bring-Service, schildert Simone Schmidt. Im Auto sitze der Fahrer – selbst in Schutzkleidung – je mit nur zwei Gästen. Müssten mehr Gäste geholt werden, seien mehrere Fahrten nötig., so Schmidt. Mit dem gleichen Personal wie sonst 12 Gäste, betreue man „Im Brückle“ allerdings derzeit sechs Menschen in der Tagespflege. Denn das Personal dürfe nicht wohnbereichsübergreifend eingesetzt werden.

Berührung fehlt und mit ihr ein Stück Sicherheit

Deshalb empfinde sie aber die Begleitung durchaus als gut und ein Fehlen zwischenmenschlichen Kontakts nicht als so schwerwiegend, wie Armin Schulz. Der Körperkontakt beschränke sich ihm zufolge auf unerlässliche Tätigkeiten, wie etwa den Toilettengang. Besonders schwer sei der Mangel an Körperkontakt aber gerade für Menschen mit Demenz, die auf physische Kommunikation angewiesen sind. „Berührungen spenden Trost, schaffen Vertrauen und bieten Orientierung und Sicherheit“, sagt Schulz.

Auch fehle vielen das Singen. „Dabei ist es ein wichtiges Element in der Erinnerungsarbeit.“ Wer singe, fühle sich wohl in dem Moment, geborgen, etwa im Lied aus der Kindheit. Das Fehlen solcher „Glücksmomente“ und das Vorgenannte verstärke und beschleunige den körperlichen und geistigen Abbau der Pflegebedürftigen, wertet Schulz. Auch dürften sich die Senioren nicht gegenseitig unterstützen, einander das Essen reichen, wie zuvor. Das bestätigt Simone Schmidt, ebenfalls mit Bedauern.

Menschen mit Demenz wiederholt an die Hygieneregeln erinnern zu müssen, verursache bei den Senioren zudem häufig das Gefühl „wieder etwas falsch gemacht zu haben“, sagt er. Das sei konzeptwidrig, fördere Rückzug und Passivität, so Schulz. Ein Gast sei am Dienstag „zum ersten Mal nach dreiwöchiger Kurzzeitpflege wieder in der Tagespflege“ gewesen. Er habe gesagt, „es war wie in einer Goldgrube“ und auch für seine Tochter wichtig, mal zur Ruhe zu kommen.

Trotz ihrer Angst vor eventueller erneuter Schließung seien viele Gäste froh und dankbar für etwas Gemeinsamkeit in der Tagespflege, für die Lebensfreude. Gut für die Gäste sei laut Simone Schmidt auch, dass stets die gleiche Gruppenzusammensetzung in der Tagespflege beibehalten werden solle. Da seien auch schon Freundschaften entstanden.

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