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Japanischer Weg der Blume

Oberderdinger Mario Mintel ist fasziniert von der Ikebana-Kunst

Was wegen mit gesundheitlichen Problemen begann, hat sein Leben positiv verändert. Mario Mintel berichtet von seinen Erfahrungen mit der Kunst des Ikebana.

Mario Mintel fertigt ein Blumenarrangement nach der japanischen Kunst des Ikebana.
Mario Mintel fertigt am Tisch im Lokal einer Freundin ein Blumenarrangement. Hier hat er drei Stiele einer wilden Möhre als Hauptzweige bereits gesteckt und ergänzt sie mit kürzeren Zweigen als Hilfslinien. Foto: Irmeli Thienes

Drei Zweige stellen drei Hauptlinien dar und diese stehen für Himmel, Erde und Menschheit: Shin, Soe und Tai. Mario Mintel steckt den längsten der Zweige einer wilden Möhre auf den Kenzan. Dieses Nagelkissen ruht flach im Wasser einer Vase.

Mintel sagt, er kam zum Ikebana wegen erhöhter Leberwerte. Er schmunzelt. Es freut ihn sichtlich, in Rätseln zu sprechen, um Fragen zu erzwingen. Die Bewegungen des 63-Jährigen sind ruhig, während er sich im Brettener Lokal Carpe Diem von Konny Joaquim, einer Freundin, dem Gesteck widmet. Er arrangiert es nach japanischen Regeln.

Seine vegetarische Ernährung führte zu den hohen Leberwerten, sagt Mintel. Er kaufte ein Kochbuch mit japanischen Rezepten. Es enthielt das Foto eines zauberhaften Ikebana und es „triggerte“ ihn. Das war 2007. Er versuchte sich sofort im Ikebana und war gefangen.

Mintel legt die Schere geräuschlos auf ein weiches Tuch. Alles soll still vonstattengehen beim Ikebana. Schweigen sei die Regel. Heute macht er eine Ausnahme.

Am Straßenrand findet der Oberderdinger manche Schönheit

„Es gibt etwa 2.000 Regeln beim Ikebana“, sagt Mintel. Vorsichtig steckt er den zweiten Stängel fest. Die Vase hat die für Shoka typische Form. Shoka, Ikenobo und Rikka heißen die drei Schulen im Ikebana. Der 63-Jährige kürzt einen dritten Stiel ein. Die Vase steht auf schmalem Fuß und weitet sich nach oben.

Ein Ikebana-Gesteck, gefertigt vom Oberderdinger Mario Mintel im Stile des Shoka, einer der Richtungen des Ikebana.
Ein Ikebana-Gesteck, gefertigt vom Oberderdinger Mario Mintel im Stile des Shoka, einer der Richtungen des Ikebana. Foto: Irmeli Thienes

Mintel bevorzugt Shoka. Zwei Gestecke will er in diesem freieren Stil erstellen: das in der Vase und eine kleine Uferlandschaft in einer handgetöpferten Schale. Mario Mintel hat sie beim Töpfer Wenzel in Oberderdingen bekommen, wo er lebt.

Ich habe immer ein scharfes Messer im Auto. 
Mario Mintel
Maschinenbautechniker mit Liebe zum Ikebana

„Ich habe immer ein scharfes Messer im Auto“, sagt er, „und ich schaue fortwährend nach links und rechts.“ So findet er „Schönheiten, die sonst keiner sieht.“ Tatsächlich würde man die wilde Möhre am Straßenrand kaum wahrnehmen, obwohl sich über den feinen Stielen hunderte winziger, weißer Blütenblättchen zu einem lichten Schirmchen wölben.

Inzwischen denke er japanisch, sagt Mintel. „Man wird ein anderer Mensch durch Ikebana, wird ruhiger und entdeckt, dass Blumen wie Menschen sind, so unterschiedlich. Manche benötigen viel, andere wenig Wasser, die einen viel, andere wenig Licht.“

Oberderdinger fertigt Ikebana aus Freude für Freunde

Er macht die Gestecke nicht für Geld. Seine Ikebana entstehen aus Freude für Freunde. Man sieht, dass Mario Mintel bei seiner Arbeit ganz bei sich zu sein scheint. Sein Tun hat etwas Meditatives. Ja, das sei für ihn ein Ausgleich zum Beruf als Maschinenbautechniker, sagt Mintel.

„Die Samurai haben vor der Schlacht solche zarten Kunstwerke gesteckt, um sich zu fokussieren“, sagt Mintel. „Denn Multitasking ist Quatsch“, sagt Mintel.

Perfektion ist nicht das Ziel

In der japanischen Kunst des Blumensteckens stehe auch das Vergängliche im Zentrum, daher die japanische Faszination für Kirschblüten. Mintel zeigt ein kleines Funkienblatt, das am Rand eine vergilbte Stelle aufweist. Er wählt es bewusst dennoch für seine Uferlandschaft. „Natur blüht und vergeht, sie ist krumm und stirbt“.

Manche Ikebana-Meister schnitten kleine Löcher in die Blätter, um Schneckenfraß zu imitieren, sagt er. Die Natur, sagt er, sei so schön, „weil sie nie perfekt ist.“ Perfektion sei darum beim Ikebana nicht das Ziel.

„Würde Perfektion erreicht, müsste der Meister aufhören“, erklärt der Oberderdinger etwas von der japanischen Denkweise und arbeitet weiter an seinem kleinen, bezaubernden Kosmos.

Drei Gestaltungsmerkmale ordnen Mintels „Uferlandschaft“ in der Schale: Rohrkolben, die er am Morgen im Schilf fand, ragen hoch auf. Funkienblätter bilden die Fläche an der Basis. Zweige einer Spirea, Spiere, lockern mit kleinen Blättern wie zarte Tupfen die Optik. „Und Luft soll dazwischen bleiben, damit ein Schmetterling hindurchfliegen kann“, nennt Mintel eine weitere Regel.

Es geht um Vergänglichkeit, Demut und Selbstdisziplin

Es freut ihn, dass manche Brettener für seine Gestecke den Weg ins Lokal Carpe Diem finden oder zum benachbarten Friseur AigenArt an der Pforzheimer Straße. Für seine Freunde Konny und Antonio fertigt er etwa zweiwöchentlich Arrangements, oft im Carpe Diem.

Den Beginn seines Lernens machte er rund zehn Jahre lang bei Ikebana-Meisterin Anne Kern aus Oberderdingen. Heute weist ihm Ikebana-Meisterin Silke Klopsch den Weg. Sie hat selbst einst in Kyoto gelernt. „Meine Meisterin hat schon an meinem Arrangement gesehen, wie es mir ging“, sagt Mintel. „Hast du ein gutes Herz, hast du ein gutes Gesteck.“ Das sei eines der geflügelten Worte rund um Ikebana.

„Vergänglich wie Tau ist ein anderes“, sagt Mintel. Das Arrangement diene der Schönheit des Heims und der Vorbereitung auf lieben Besuch. „Ist der Besuch gegangen, hat das Gesteck im Grunde ausgedient.“ Um Vergänglichkeit zu wissen, erzeuge Demut, es erde.

So ist auch ein Poem zu Ikebana zu verstehen: „Ich betrachte die Blume. Ich, zur Blume geworden, betrachte mich“, rezitiert Mintel. Er sieht wieder fragend über den Brillenrand. Die Blumen spiegeln den Menschen. Es geht darum, auf dem Weg der Blume, dem Kado, als einem der japanischenen Wege – neben dem des Tees, Chado, oder dem des Kendo, des Schwerts – über konzentriertes, praktisches Tun den Geist zu erschließen in Selbstdisziplin, Präsenz und in Achtsamkeit und sich so gefühlvoll fortzuentwickeln.

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