Skip to main content

Hilfe für Abhängige

Suchtberatungsstellen in Bruchsal und Bretten rechnen mit mehr Fällen durch Corona-Krise

Wo Menschen schon suchtkrank sind, manche von ihnen am Rand der Gesellschaft leben, sind sie in der Pandemie noch höher belastet und gefährdet. Rückfälle drohen umso mehr, je einsamer jemand sich zuhause fühlt.

Alleine in der Pandemie: Ängste und Einsamkeit führen auch im Raum Bretten und Bruchsal in der aktuellen Situation zu einer erhöhten Rückfallgefahr für suchtkranke Menschen, bestätigen Fachleute.
Alleine in der Pandemie: Ängste und Einsamkeit führen auch im Raum Bretten und Bruchsal in der aktuellen Situation zu einer erhöhten Rückfallgefahr für suchtkranke Menschen, bestätigen Fachleute. Foto: Symbolbild: Ingo Wagner/dpa

Mehr Hilfesuchende pro Woche als üblich verzeichnet derzeit die Brettener Beratungsstelle für Suchtfragen. Bei den Anlaufstellen hofft man, dass ein zweiter Lockdown ausbleibt. Die Situation sei schon in der Lockerung schlimm genug. Abstandsregeln und Ängste, auch vor Ansteckung, führten zum Rückzug ins Häusliche und so zu geringerer sozialer Kontrolle. Das erhöhe für Suchtkranke potenziell die Gefahr von Rückfällen, bestätigen Petra Müller und Susanne Striegel, Suchtberaterinnen in Bruchsal und Bretten.

Petra Müller arbeitet beim Bruchsaler BWLV (Baden-Württembergischer Landesverband für Prävention und Rehabilitation). Sie beruft sich auch auf Erkenntnisse von Wissenschaft und Forschung. Oft sei es Kurzarbeit, die Erwachsene derzeit in den eigenen vier Wänden hält, Menschen befänden sich in Quarantäne, und Schulkinder blieben als präventive Maßnahme zu Hause. Weil Unternehmen im Corona-Jahr in der Krise steckten, käme es zu Arbeitsplatzverlusten.

In der häuslichen Enge kann einem Streit auch Gewalt folgen
Susanne Striegel, Brettener Suchtberatungsstelle der Evangelischen Stadtmission Heidelberg

Mütter verlieren häufig ihre Minijobs, wenn sie wegen der Kinder wieder bei der Arbeit fehlen. „In der ungewohnten Enge zu Hause bricht sich manchmal Energie Bahn, und dem Streit kann Gewalt folgen“, sagt Striegel. Die Mitarbeiterin der Brettener Suchtberatung in Trägerschaft der Evangelischen Stadtmission Heidelberg bestätigt: Als Suchtgefährdeter derzeit nicht rückfällig zu werden, sei für viele schwerer als je zuvor.

„Wir haben es zu Hause fast nicht mehr ausgehalten“, zitiert Striegel eine Mutter, die Entspannung im leicht verfügbaren Alkohol suchte. Familienbalance lebe auch davon, dass jeder seiner Aufgabe folge. Ohne den gewohnten Tagesrahmen sei mancher überfordert. Sich eigene Strukturen zu geben sei schwer. „Auch wenn man nicht weiß, wie es weitergeht“, sagt Petra Müller. Sie überwinde sich, laufen zu gehen, wenn das Schwimmbad geschlossen hat, sagt Striegel. Aber wer so etwas nicht gelernt habe, wer im Gegenteil gerade erst den halben Berg zur Abstinenz erklommen habe, „der kullert leicht wieder runter“, so Striegel.

Der Weg zur Selbsthilfegruppe war nach dem Lockdown wieder mit Hürden verbunden

„Wir empfehlen immer soziale Kontakte, vor allem zu Selbsthilfegruppen, zu Gleichgesinnten. Wir empfehlen rauszugehen, sich zu bewegen, und das alles fiel lange flach“, so die Brettener Suchtberaterin. Im Rückwärtsgang seit dem Lockdown falle es ihrer Klientel schwerer, den Weg zur Selbsthilfegruppe erneut anzutreten, die Hemmschwelle wieder zu nehmen - umso schwerer, wenn man nicht wisse, ob der nächste Lockdown komme und womöglich wieder ein neuer Anlauf.

Die häusliche Isolation könne zum Anstieg oder einer Verlagerung der Klienten mit Glücksspielsucht führen. „Als die Spielsalons schlossen, wurde der Reiz online befriedigt“, so Striegel. Nicht selten übersteige der Medienkonsum in der Pandemie ein gesundes Maß. Müller und Striegel trafen sich kürzlich mit Kollegen aus anderen Städten des Landkreises. Die Furcht sei, so war bei dem Treffen mehrfach zu hören, dass „da im Nachgang noch einiges auf uns zukommen wird“.

Ein zweiter Lockdown wäre die absolute Katastrophe
Petra Müller, Bruchsaler Beratungsstelle des BWLV

Dabei ging es im Lockdown schon für manche um die nackte Existenz, so Müller. Sie erläutert: Wo Tafeln schlossen, das Betteln kaum etwas einbrachte, weil zu wenig Menschen auf der Straße waren, wo Krankenhäuser oder Entgiftungsstationen den Zugang erschwerten und bald nur noch wenige Lebensmitteltüten an Zäunen baumelten, da kam mancher an den Rand. „Ein zweiter Lockdown wäre eine absolute Katastrophe für unsere Klientel. Im Frühjahr haben einige gehungert. Ein Klient bat in einer Metzgerei um ein Endstück von der Wurst.“

Und obwohl die Beratungsstellen weiter geöffnet hatten, taten, was immer getan werden konnte und musste, so könne kein Telefonat und keine Video-Schalte persönlichen Kontakt ersetzen, sagen die Beraterinnen. Plexiglasscheiben seien nun auch beim Beratungsgespräch normal.

Termine nur nach Vereinbarung bergen Risiken

„Wenn man einen Weinenden vor sich hat, ist es so schwer, sich darauf zu beschränken, nur die Tempos auf den Tisch zu legen“, sagt Striegel. Ein Klient, der sich bis zur Tür der Beratungsstelle geschleppt hatte, wurde durch Zufall entdeckt und gerade noch zur Entgiftung gebracht. Das zeige, wie problematisch es sei, „nur auf Termin“ ansprechbar sein zu dürfen. Akute Not lasse sich nicht verschieben, sagt Striegel.

Zu Gründen eines befürchteten Anstiegs Hilfesuchender verweist Striegel auch auf den alternativen Drogenbericht 2020. Darin heißt es: „Möglicherweise hat die Coronakrise … tendenziell das Bedürfnis erhöht, Alkohol oder Cannabis zu konsumieren; entweder um sich abzulenken, Langeweile zu bekämpfen, sich zu betäuben oder auch schlichtweg aus Genussgründen angesichts ungewohnter Freizeit.“

Die Suchtberaterinnen betonen die Bedeutung einer stabilen Versorgung für ihre Klienten. Die könne tatsächlich überlebenswichtig sein. Für viele sozial Isolierte ohne Unterstützung von außen habe schon ein regelmäßiger Anruf große Bedeutung. „Den Menschen zu sehen“, so Striegel, „das kann jeder tun. Man kann im eigenen Umfeld aufmerksam sein und Menschen ansprechen, wenn man sieht, dass es ihnen vielleicht nicht gut geht oder ihnen Begleitung anbieten“.

Derweil ringen die Beraterinnen vermehrt mit verwaltungstechnischen Schwierigkeiten, Erreichbarkeiten von Kostenträgern und dem Mangel an planbaren Entgiftungsplätzen, das alles sei „zeitintensiv und oft mit Hürden verbunden“, betont Striegel.

nach oben Zurück zum Seitenanfang