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Angst vor Ansteckung

Coronavirus: Desinfektionsmittel-Klau an Kliniken unter anderem in Bruchsal, Baden-Baden und Rastatt

Das Coronavirus breitet sich immer weiter aus – und damit auch die Angst vor der Ansteckung in der Region. Die Folgen sind aber nicht nur leer gekaufte Supermarktregale. In der Fürst-Stirum-Klinik in Bruchsal wurden Desinfektionsmittel geklaut – so wie auch in anderen Kliniken der Region.

In der Region wurde an mehreren Kliniken Desinfektionsmittel geklaut.
In der Region wurde an mehreren Kliniken Desinfektionsmittel geklaut. Foto: Kamleitner

Wozu sind Menschen nur in der Lage? Diese Frage stellt sich bei der aktuellen Entwicklung der Folgen um den Coronavirus. Inzwischen sind nicht längst nicht mehr nur etwa Vorräte an Desinfektionsmitteln in den Läden ausverkauft. Kliniken und Arztpraxen klagen darüber, dass aus Praxen und Krankenhäusern Desinfektionsmittel und Schutzmasken gestohlen wurden. „Die Schutzkleidung wird jetzt verschlossen aufbewahrt und regelmäßiger kontrolliert“, erklärt etwa Sybille Müller-Zuber, Sprecherin des Klinikums Mittelbaden, mit Standorten in Baden-Baden-Balg, Rastatt, Bühl, Gernsbach und Forbach.

Sie bestätigt auf Anfrage entsprechende Vorfälle in Balg und Rastatt und geht davon aus, dass es in den anderen Häusern ähnlich sei. Einerseits seien die Desinfektionsmittel aus den öffentlich zugänglichen Bereichen, also wahrscheinlich von Besuchern, aus den aufgestellten Spendern entwendet worden. Andererseits habe es auch Diebstähle von Mundschutz-Masken in internen Bereichen gegeben, die nur für Mitarbeiter erreichbar sind. Die Spender für Besucher seien nicht so leicht zu überwachen. Es könne nicht an jedem eine Videokamera installiert werden. Die Vorräte zwar nicht unendlich, aber noch ausreichend.

Auch in Bruchsal wird Desinfektionsmitteln gestohlen

In den vergangenen Tagen wurden auch in der Fürst-Stirum-Klinik Bruchsal aus den Besuchertoiletten Desinfektionsmittel gestohlen. Da alle Kliniken der Regionalen Kliniken Holding (RKH) von Diebstahl betroffen sind, haben die Verantwortlichen am Mittwoch eine Regelung beschlossen. Bis auf weiteres soll kein Desinfektionsmittel mehr in den öffentlichen Toiletten der Krankenhäuser nachgefüllt werden.

Dreister Fall in Baden-Baden – war es ein Mitarbeiter?

Besonders dreist klingt ein Fall aus der Fachklinik Gunzenbachhof in Baden-Baden. In der Einrichtung des Berliner Unternehmens Median Klinik sind „fast sämtliche Schutzausrüstungen und kartonweise Desinfektionsmittel gestohlen worden“, heißt es in einer Mail des Kaufmännischen Leiters Julius Charlton an die Mitarbeiter, die den BNN im Wortlaut vorliegt.

Demnach seien diese Vorräte der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie eigens zur Vorbereitung auf mögliche Corona-Virus-Infektionen gekauft worden. Die Bestände seien nur Mitarbeitern zugänglich gewesen. Vieles deute daher darauf hin, „dass es jemand aus unseren Reihen war.“ Das Urteil des Kaufmännischen Leiters fällt eindeutig aus: „Es ist ein beschämendes, unmoralisches Verhalten eines Einzelnen oder einiger Weniger.“ Wer dabei erwischt wird, dem drohe nicht nur die fristlose Kündigung, sondern auch eine Strafanzeige und die Entziehung seiner Berufserlaubnis.

In der Rundmail werden Mitarbeiter zudem aufgefordert, Vorfälle der Klinikleitung anzuzeigen. „Seien Sie mutig. Stehen Sie auf der richtigen Seite“, schreibt Charlton. Der Betrieb der Einrichtung sei aber nicht gefährdet, heißt es. Es seien noch weitere Vorräte anderer Mittel vorhanden. Die seien genauso wirksam.

Angebrochene Flasche in Baden-Baden entwendet

Die Acura-Kliniken in Baden-Baden bestätigen ähnliche Vorfälle. Dabei seien teilweise angebrochene Flaschen aus den Spendern entnommen worden. Mitarbeiter würden nicht verdächtigt. Das Haus sei so groß und weitläufig, dass sich vor allem am Wochenende der Zutritt nur schwer überprüfen lasse. Ähnliches wird von Arztpraxen berichtet. Überall, wo Desinfektionsmittel für die Allgemeinheit zugänglich seien, komme es zu solchen Diebstählen, bestätigte der Vorstand der Baden-Badener Ärzteschaft, Patrick Fischer.

Auch im Ortenau Klinikum wurden laut Sprecher Christian Eggersglüß wiederholt Flaschen mit Desinfektionsmitteln gestohlen. Diese hängen in Spendern an allen Eingängen der acht Krankenhäuser. Man werde konsequent Anzeige erstatten, so Eggersglüß auf Anfrage.

Zahnarztpraxis in Au am Rhein erwägte Schließung

„Unfassbar“ – so kommentiert Katja Hristov den Diebstahl einer Desinfektionsflasche aus dem Behandlungszimmer ihrer Zahnarztpraxis in Au am Rhein. Es sei die letzte Flasche gewesen für den Spender gewesen. In einem unbeobachteten Moment sei sie offenbar mitgenommen worden. Es gebe zwar einen Verdacht, wer es gewesen sein könnte, dies sei aber wohl nicht zu beweisen: „So etwas zu machen, ist wirklich total dreist“. Zwischenzeitlich habe die vorübergehende Schließung erwogen werden müssen.

Per Facebook veröffentlichte Hristov ihre Notlage und bekam Unterstützung: „Eine Putzfirma und die Apotheke in Au haben uns geholfen.“. Zudem habe sie per ebay „zu einem Wucherpreis von 100 Euro“ einen Kanister mit Desinfektionsmittel bestellt. Die Ärztin glaubt, dass sie so zumindest die nächsten ein bis zwei Wochen über die Runden kommen wird. Sorge bereitet Hristov die zur Neige gehenden Restbestände für den Mundschutz, wo große Lieferengpässe herrschen. Übrigens: Die Desinfektionsmitteln sollen künftig auf keinen Fall mehr offen in den Praxisräumen stehen: „Sie werden künftig weggeschlossen, so dass sie niemand mehr mitnehmen kann“.

Alle Vorträge in RKH-Kliniken abgesagt

Der Pressesprecher der RKH, Alexander Tsongas, sagte: „Wir spüren zwar noch keine Lieferengpässe, wollen aber dem Schwund vorbeugen. Als Alternative reicht es auch, die Hände nach dem Toilettengang gründlich zu waschen.“ Außerdem wurden in den nächsten vier Wochen alle Vorträge der RKH-Kliniken abgesagt. Betroffen ist auch die Vortragsveranstaltung des Darmzentrums Bruchsal „Gemeinsam gegen Darmkrebs“ am Mittwoch, 12. März. „Es soll verhindert werden, dass sich neben den Gästen die teilnehmenden Ärzte anstecken, was gerade sehr schlecht wäre“, erläuterte Tsongas.

Bruchsal verschiebt den Bürgerempfang

Die Stadt Bruchsal beschloss außerdem, den Bürgerempfang auf einen späteren Tag im Jahr zu verschieben. „Im Sinne der Bruchsaler Bürgerinnen und Bürger wollen wir kein leicht vermeidbares Risiko eingehen“, sagte Oberbürgermeisterin Cornelia Petzold-Schick. Der Bürgerempfang ist mit über 900 Teilnehmern und etwa 150 Mitwirkenden die größte Indoor-Veranstaltung mit Begegnungscharakter in Bruchsal.

Gesprächsthema Nummer eins auf dem Markt

Auch auf dem Markt in der Innenstadt kommen regelmäßig viele Menschen zusammen. „Ich schnappe häufig Unterhaltungen über das Virus auf. Aber einen Rückgang an Käufern kann ich hier nicht feststellen“, sagte Robin Gerweck, Junior-Chef des Obst- und Gemüsehandels Gerweck. Trotzdem spüre er einen leichten Anstieg beim Verkauf von Kartoffeln, die lange haltbar sind. Dabei sei ein direkter Zusammenhang mit dem Coronavirus denkbar.

Der Marktbesucher Gerhard Barnert gab sich gelassen und betonte: „Ich habe trotz der Corona-Krise kein Problem damit, an öffentliche Orte zu gehen. Hygiene ist wichtig, darauf achtete ich aber schon vor dem Ausbruch.“ Er hat sich zwar ein paar Dosen als Vorrat für den Ernstfall geholt, aber kaufe ansonsten frisch vom Markt ein. Derweil äußerte die Marktbesucherin Kerstin Grobs ebenfalls keine Bedenken. Sie halte die Angst vor dem Virus für übertrieben – anders wäre es, gab sie zu, wenn ein Fall in Bruchsal bekannt würde. „Ich habe bisher nichts auf Vorrat gekauft“, fügte sie hinzu.

Doch auch auf dem Markt gab es laut Matthias Schneider Hamsterkäufe. „Die Leute haben meine Saucen und Nudeln am vergangenen Wochenende leer gekauft. Jetzt scheinen sie aber weitestgehend eingedeckt zu sein“, erklärte der Chef des Geflügelhofs Schneider. Zudem habe er den Eindruck, dass die Menschen nun verstärkt zu Hause kochen. Deshalb bestehe auch eine große Nachfrage nach seinen Frischwaren.

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