Es herrschte schon ein wenig vorweihnachtliche Friedfertigkeit, als der Bruchsaler Gemeinderat mit nur einer Gegenstimme sein politisches Programm für das kommende Jahr beschloss: Der Haushaltsplan sieht ein Gesamtvolumen von über 150 Millionen Euro vor.
Eine kleine finanzielle Sensation gelang den Stadträten dabei mit ihren Anträgen. Hier eine Stelle mehr, dort eine Stelle weniger, ein neues E-Auto für die Carsharing-Flotte – am Ende sorgten diese Verschiebungen für eine Verbesserung im Ergebnishaushalt von immerhin genau 1.000 Euro. Und für eine Verschlechterung im Finanzhaushalt von 10.000 Euro. Das hatten der Leiter der Finanzverwaltung, Steffen Golka, und der für Finanzen zuständige Bürgermeister Andreas Glaser quasi live in einer Sitzungspause berechnet.
Somit ist das 615 Seiten starke Zahlenwerk also verabschiedet und kann umgesetzt werden. Besonders erfolgreich mit ihren Anträgen war die CDU. Mehrheitlich gingen die anderen Stadträte bei allen ihren Vorschlägen mit. Zusammen mit der SPD und ihrem ähnlich lautenden Vorschlag begrenzte der Gemeinderat etwa die neuen Stellen für den Bereich Digitalisierung auf vier.
Zwei neue Stellen sollen Bauanfragen und B-Pläne beschleunigen
Zwei neue Stellen gibt es auf Anregung der CDU im Amt für Liegenschaften und im Stadtplanungsamt. Damit wolle man die Bebauungspläne und Bauanfragen schneller bearbeiten und überholte Bebauungspläne überarbeiten. „Bürokratieabbau und Ansporn für sanierungswillige Bürger ist das Ziel“, so die Begründung.
Die SPD setzte sich mit ihrem Vorschlag durch, die halbe Stelle in der Hausverwaltung für eine Anschlussunterbringung mit einem Sperrvermerk zu versehen, bis die Unterkünfte belegt sind. Abgelehnt hingegen hat der Rat den Antrag der Grünen, ein Display zu installieren, um auf Motorradlärm aufmerksam zu machen.
Erfolgreich waren dagegen die Freien Wähler. Sie pochen darauf, dass es auch in der Kernstadt eine Grüngutannahmestelle geben müsse. Dem Antrag der Grünen/Neue Köpfe, ein weiteres E-Carsharing-Auto samt Ladesäule in der Südstadt zu installieren, wurde mehrheitlich stattgegeben. Ebenso dem Wunsch der SPD, Müllbehälter auszutauschen und so für mehr Sauberkeit im Stadtbild zu sorgen.
Offerta-Teilnahme abgesagt
Auf Wunsch der Freien Wähler wird Bruchsal nicht mehr an der Offerta teilnehmen. Auch die Anregung der SPD, den Bergfried als wichtiges touristisches Ziel aufzuwerten und besser begehbar zu machen, stieß auf Wohlwollen, soll aber im Ausschuss beraten werden. Der Antrag von FDP/Bürgerliste, den jährlichen Stellenzuwachs auf zehn zu begrenzen, fand hingegen keine Mehrheit.
Auch dank guter Steuereinnahmen und wirtschaftlich prosperierender Unternehmen kann die Stadt im kommenden Jahr kräftig investieren. Es werden allein 47 Millionen Euro an Gewerbesteuereinnahmen im Ergebnishaushalt erwartet. Aber auch der Personalaufwand und die Transferleistungen erhöhen sich.
Auf der anderen Seite, im Finanzhaushalt, stehen Investitionen von 24 Millionen Euro. 16 davon gehen in den Bau – die Sanierung der Albert-Schweitzer-Realschule etwa, in den neuen Quartiersplatz in der Bahnstadt, in Neubauten von Kindergärten oder in die Sanierung der Altenbergbrücke in Heidelsheim. Unterm Strich steht ein Fehlbetrag von zehn Millionen Euro. Nach einigen Jahren mit schwarzer Null werden nun wieder Kredite aufgenommen. Liegt die Pro-Kopf-Verschuldung dieses Jahr bei 420 Euro, so könnte sie 2022 auf 918 Euro steigen. 2025 soll sie schon bei 1.215 Euro liegen.
Mit neuem Rederecht im Plenum ausgestattet, begrüßte der Jugendgemeinderat einige Anträge aus den Fraktionen. Zugleich mahnte er an, dass es an einer Radwegebeleuchtung zwischen den Stadtteilen fehle. Die fraktionslose Stadträtin Dela Schmidt (Aufbruch Bruchsal) stimmte gegen den Haushaltsplan. Sie sieht die Wohnungsbau-Gesellschaft finanziell zu schlecht ausgestattet und die Verwaltung zugleich „aufgebläht“. Auf Bruchsal sieht sie ob des Wachstums eine Verkehrslawine zurollen. Der soziale Wohnungsbau hingegen komme ihr zu kurz.
Traditionell stellen bei der Haushaltsverabschiedung die Fraktionen ihre politischen Visionen für das kommende Jahr vor.
Wettbewerb der Modernisierung
Werner Schnatterbeck (CDU): Sorge bereite der CDU der Riss, der durch die Gesellschaft gehe. Schnatterbeck nannte als Beispiel die „schändlichen“ „Judenstern“-Plakate an den Schaufenstern. Was den neuen Rekord-Haushalt angeht, sieht er die Stadt in einem Modernisierungs-Wettbewerb mit anderen Kommunen.
Mit großen Maßnahmen setze Bruchsal Akzente. Er nennt die Bahnhofs-Umgestaltung und neue Verkehrsordnung sowie den Ausbau von Radwegen. „Die originären Bau-Investitionen allein im nächsten Jahr betragen 16 Millionen Euro. Aber der Gegenwert ist eine zukunftsorientierte Stadt, die im Wettbewerb mit anderen Arbeitsplätze, gute Bildungsangebote, Kaufkraft, Attraktivität, Wohnraum, Lebens- und Aufenthaltsqualität behalten und erweitern soll.“ In der Neuordnung des alten Feuerwehrareals und des Umfelds sieht Schnatterbeck eine wesentliche Aufgabe der kommenden Jahre.
Beim Thema Vereinsförderung mahnt die CDU an, dass sie gerecht, auskömmlich, nachvollziehbar und dem Vereinszweck förderlich ist. Hier seien insbesondere mit einigen Vereinen mit starker Jugendarbeit noch „Chefgespräche“ nötig. Schnatterbeck lobte die Innovationskraft von Unternehmen, die Arbeit des Jugendgemeinderats und plädierte für mehr Schwung für die Städtepartnerschaft sowie – im Sinne der Sitzungs-Effizienz – Statements von Stadträten auf die wichtigen Punkte zu konzentrieren.
Tempo 30 in ganz Bruchsal
Ruth Birkle (Grüne/Neue Köpfe): Aus Sicht der Fraktion Grüne/Neue Köpfe besteht dank der Haushaltslage die Chance, die nachhaltige Entwicklung der Stadt voranzutreiben. „Diese benötigt Radwege und Platz für den Fußverkehr statt multifunktionaler Randstreifen auf einer Straßenseite, die den Radverkehr zum Geisterverkehr machen und auch den PKW-Verkehr stressen“, führte die Fraktionsvorsitzende aus. „Für den ruhenden Radverkehr fordern wir ein Fahrradparkhaus am Bahnhof.“
Fördermittel möchte man für Pop-up-Radwege zur weiteren Ausbauplanung und für die Überdachung der Radabstellplätze an den Bruchsaler Schulen einsetzen sowie für ein weiteres Carsharing-Elektro-Auto für Helmsheim und die Südstadt. Die Grünen machen sich für Tempo 30 in ganz Bruchsal und die Fortsetzung der Planung der Stadtbahnlinie 2 über Bruchsal nach Waghäusel stark.
Sparvorschläge im sozialen Bereich lehne man ebenso ab wie eine kostenverursachende Verzögerung des laufenden Digitalisierungsprozesses. Birkle und ihre Fraktion begrüßen den zweigeschossigen Aus- und Neubau von Kindergärten und das Bauprogramm der Wohnungsbaugesellschaft. Das Programm „Mehr Grün im Quartier“ soll mit einem Mahnkonzept fortgesetzt, Vereinsförderrichtlinien gerecht aufgestellt werden. Zu Wohn- und Lebensverhältnissen im Bereich der prekären Beschäftigungsverhältnisse fordere man einen Bericht.
Haushalt mit sozialer Handschrift
Gerhard Schlegel (SPD): „Wohnungsbau, Verkehrswende und Sozialpolitik sind die Eckpfeiler der SPD-Politik.” Die Verwaltung schlage einen Haushalt vor, der in Schulen und Kitas investiert und Personalzuwachs im Wesentlichen im Bereich Soziales und digitale Infrastruktur sieht, begrüßt die SPD-Fraktion. „Diese Schwerpunkte gehen wir gerne mit.“ Der Haushalt müsse die Folgen der Pandemie für die Jugend, die Senioren und auch den Handel im Auge behalten. Hier fordert Schlegel emphatisches aber trotzdem zielorientiertes Handeln der Verwaltung.
Der sogenannte Modal-Split, also das Mobilitätsverhalten, müsse vom motorisierten Individualverkehr weg, hin zu ÖPNV, Rad- und Fußverkehr gelenkt werden. „Der zentrale Busbahnhof wird unser Augenmerk haben.“ Eine B35-Nordumgehung über das Rohrbachtal könne und wolle man sich nicht vorstellen.
Ein Ausbau im Bestand hingegen müsse nach Meinung der SPD massive Lärmschutzmaßnahmen im gesamten Verlauf beinhalten. „Die Region benötigt weitere Anstrengungen für die Planung einer Stadtbahn S2 von Stutensee über Bruchsal nach Wiesental. Die Vereinsförderrichtlinien sollen zwar gerechter werden, aber in keinem Fall Vereine schlechter als vorher stellen, betont Schlegel. Vor allem die Jugendarbeit müsse jetzt endlich eine entsprechende Wertschätzung erfahren.
Realistischere Planung angemahnt
Roland Foos (Freie Wähler): Die Freien Wähler sehen die Stadt finanziell in der Komfortzone. Neben stetig steigenden Personalkosten investiere man aber kräftig in den Neubau von Kitas und in die Sanierung von Schulen. Weil man gar nicht hinterherkomme, wünscht sich der Fraktionssprecher eine realistischere Planung.
Lob gab es für die starken Steuerzahler im Gewerbe, ob große oder kleine Unternehmen, außerdem stehe man hinter der neuen Vereinsförderung. Die Digitalisierung in der Verwaltung müsse als Chance gesehen werden, die Dienstleistungen für die Bürger zu verbessern. Foos sieht eine höhere Schuldenlast auf die Stadt zukommen. In fünf Jahren investiere man 100 Millionen Euro etwa zum Ausbau der Kläranlage, die Sanierung der Realschule, für den Busbahnhof und in die Kinderbetreuung. Zugleich werde man von Pflichtaufgaben und Beschlüssen oberer Ebenen „fast erdrückt“.
Die hohe Kreditaufnahme bereitet den Freien Wählern Sorge. Sie werde aber aufgrund hoher Überschüsse der vergangenen Jahre akzeptiert. Der Wochenmarkt soll nach Willen der Fraktion attraktiver werden, weitere Sozialarbeiterstellen sehe man kritisch ebenso wie eine Teilnahme an der Messe Offerta. Sinnvoll seien Entwicklungen hin zum Naturschutzgebiet Saalbachniederung oder das Landschaftsschutzgebiet Kraichgaurand.
Plädoyer fürs Impfen
Jürgen Wacker (FDP/Bürgerliste): „Wir müssen besonders darauf achten, in Projekte zu investieren, die nachhaltig sind“, erklärte der Fraktionssprecher mit Blick auf steigende Schulden. Bei der Sanierung der Albert-Schweitzer-Realschule diagnostiziert Wacker, dass Deutschland unter einer Verlangsamung leide, bemängelt, dass der Bau erst 2024 beginnt.
Kritisch nimmt Wacker die seit Jahren wachsende Verwaltung unter die Lupe. Allein 2022 sollen 22 neue Stellen geschaffen werden. Dies sei überproportional und zu hinterfragen. Lob gab es für die Bautätigkeit der städtischen Wohnungsbau in der Siemenssiedlung, für den Privatinvestor auf dem Baufeld 5 in der Bahnstadt oder für das Studentenwohnheim. Ausführlich ging Wacker auf die Pandemie ein. 5.200 Impfungen pro Woche allein in Bruchsal zählt er. Trotzdem seien noch immer 31,7 Prozent der Bevölkerung in Baden-Württemberg ungeimpft. „Wer die Impfung aus nicht-medizinischen Gründen verweigert, handelt irrational, denn die Impfung ist nachweislich sicher und wirksam“, so Wacker.
Er fordert eine „verpflichtende Aufklärung zum Impfen durch das Team Vernunft“. Lob gab es am Ende für die Attraktivität der Stadt für neue Veranstaltungsformate trotz Corona und für die neue fahrradtaugliche Schlossachse. Überall in der Stadt kurz umsonst mit dem Auto zu parken – das sei aber eine „Haltung von gestern“.
Verkehrskollaps in einer wachsenden Stadt
Gabriele von Massow (AfD/uBiB): Die Jahrhundertflut im Ahrtal habe den Blick auf den Bevölkerungsschutz und die Katastrophenhilfe gelenkt, befand die Fraktionssprecherin. Daher begrüße ihre Fraktion die Bruchsaler Neukonzeption der Notfallpläne für den Bevölkerungsschutz. Versäumt habe man hingegen, die Kläranlage rechtzeitig zu ertüchtigen. Beim Ausbau des Straßennetzes „vermissen wir hierzu das große Ganze der Planung in Bezug auf den Verkehr in unserer Stadt“, so von Massow. „Bruchsal wächst“ sorge für einen Verkehrskollaps. Auch das Radwegekonzept ähnele nur einem Puzzle.
Mit einer möglichen generellen Einführung von Tempo 30 gegen den Verkehrslärm mache man es sich aus Sicht der AfD/uBiB zu leicht. Dies führe eher zu Ausweichverkehr. Bei der enormen Kostensteigerung beim Neubau des Kindergartens „Guter Hirte“ schlug von Massow vor, den bisher kirchlichen Träger aus der Pflicht zu entlassen und den Kindergarten als ersten in der Stadt unter städtischer Regie zu betreiben.
„Ist es ein Fass ohne Boden?“, fragt von Massow beim Thema Verwaltungsapparat, der jedes Jahr wachse. Hier plädierte sie für eine Beschränkung auf maximal zehn bis zwölf Stellen mehr jährlich. Außerdem mahnte sie an, die Stadt seniorenfreundlicher zu gestalten was Wohnbau angeht, abgesenkte Bordsteine und die Ausstattung der Bushaltestellen.