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Holocaust-Gedenktag

Jetzt halten Zeitzeugen der zweiten Generation in Bruchsal die Geschichte wach

Der 27. Januar 1945, der Tag der Befreiung des KZ Auschwitz, steht für das Grauen des Holocausts. Es gibt kaum noch Zeitzeugen, die davon erzählen können. Längst hat auch in Bruchsal die Suche nach neuen Wegen der Erinnerungskultur begonnen.

Zeitzeugengespräch: Regelmäßig erzählt Bernard Zimmerman aus Kraichtal bei Schulbesuchen über das Schicksal seines Vaters wie hier 2018 im Alfred-Delp-Schulzentrum Ubstadt.
Zeitzeugengespräch: Regelmäßig erzählt Bernard Zimmerman aus Kraichtal bei Schulbesuchen über das Schicksal seines Vaters wie hier 2018 im Alfred-Delp-Schulzentrum Ubstadt. Foto: Yvonne Erler

93 Stolpersteine hat der Künstler Gunter Demnig seit 2015 auf den Gehwegen in der Bruchsaler Innenstadt verlegt. Sie erinnern in Bruchsal an die Opfer von Vertreibung und Verfolgung in der NS-Zeit. Insgesamt 150 Steine sollen es einmal werden, so Florian Jung.

Der Geschichtslehrer am Justus-Knecht-Gymnasium leitet eine Projektgruppe, die derzeit wieder ein Dutzend Biografien erarbeitet. Die Stolpersteine sollen Ende Juni verlegt werden. Jung hofft, dass dann wieder Zeitzeugen oder ihre Nachfahren dabei sein können.

Einer der letzten lebenden Zeitzeugen aus Bruchsal

2021 verhindert Corona, dass etwa Erich Hahn zur Verlegung anreisen kann. Als Sechsjähriger flüchtet der mittlerweile pensionierte Physikprofessor mit seinen Eltern 1939 in die USA. Er dürfte einer der letzten lebenden Zeitzeugen aus Bruchsal sein.

Heute vor 77 Jahren wird das Konzentrationslager in Auschwitz befreit – international ein Gedenktag. Das Datum steht auch bei der Stadt Bruchsal stellvertretend für die Erinnerung an Millionen Holocaust-Opfer. Oberbürgermeisterin Cornelia Petzold-Schick (parteilos) wird wieder Blumen auf das Grab von Ella Weiss legen. Sie lebte seit 1978 in Bruchsal, stammte aber aus Breslau.

Bruchsal, DEU, 27.01.2010: Anlaesslich des Jahrestages der Befreiung von Auschwitz am 27. Januar 1945, hatte die Stadt Bruchsal zu einer kleiner Feierstunde mit Frau Ella Weiss, der einzigen Auschwitz-Ueberlebenden in Bruchsal, eingeladen.
27.01.2010
FOTO: Gustavo ALABISO
Ella Weiss überlebte das KZ Auschwitz und lebte seit 1978 bis zu ihrem Tod 2014 in Bruchsal. Foto: Gustavo Alabiso

Weil ihre Mutter, eine Christin, sich nicht vom Vater, einem sogenannten Halb-Juden und Sinti, trennen will, wird die zwölfköpfige Familie im März 1942 nach Theresienstadt transportiert. Mit einer Schwester wird Weiss später nach Auschwitz verschleppt. Dort erlebt sie das Grauen des Holocausts.

Erst spät kann Weiss, die am 1. Februar 2014 im Alter von 86 Jahren gestorben ist, diese Erinnerungen zulassen, erzählt Frank Eckert aus Forst. Der damalige Sozialamtsleiter in Bruchsal organisierte für Ella Weiss, die in einfachen Verhältnissen lebte, eine städtische Wohnung in der Südstadt.

Mit Schlägen trieben sie uns in die Baracken.
Ella Weiss, KZ-Überlebende

In einem BNN-Gespräch erinnert sie sich 2004 an ihre Ankunft an der Rampe in Auschwitz: „Mit Schlägen trieben sie uns in die Baracken.“ Wer arbeitsfähig war, wurde geschoren und bekam Sträflingskleidung: „Männer und Frauen waren kaum zu unterscheiden“, so Weiss. Die 15-Jährige wird außerdem sterilisiert.

Drei Jahre lang bestimmen Hunger, Gewalt und Zwangsarbeit ihren Alltag. Zu Essen gibt es Kohlrüben und ungeschälte Kartoffeln. Als sie eine heruntergefallene Rübe heimlich aufhebt, werden sie und ihre Schwester mit Stockschlägen bestraft. Bei der Arbeit in den Kohlegruben müssen sie schwere Kisten schleppen, die sie kaum tragen können.

1933 lebten 500 jüdische Bürger in Bruchsal

„Sie hat immer nach vorne geschaut“, daran erinnert sich Gerhard Holler aus Untergrombach. Zusammen mit seiner Frau betreute er Ella Weiss. Nur drei Geschwister überleben die Verfolgung. Zum 75. Jahrestag der Reichspogromnacht im Jahr 2013 trägt Weiss sich in das Goldene Buch der Stadt Bruchsal ein. Sie ist eine der wenigen Opfer des NS-Regimes, die nach Kriegsende in Bruchsal wohnen.

1933 leben 500 jüdische Bewohner in Bruchsal. Sie haben seit Mitte des 19. Jahrhunderts eine wichtige wirtschaftliche Bedeutung für die Stadt und den Kraichgau. Der Tabak- und Hopfengroßhandel liegt fast ausschließlich in ihrer Hand. „Die meisten Mitglieder der jüdischen Gemeinde waren recht wohlhabend. Viele konnten rechtzeitig fliehen“, hat Geschichtslehrer Florian Jung festgestellt.

Theaterstück über Schicksal von Edith Leuchter

Nicht alle: Die letzten 79 jüdischen Einwohner werden am 22. Oktober 1940 in das südfranzösische Lager Gurs deportiert. Unter ihnen auch die damals 13-jährige Edith Löb. Sie ist im NS-Propagandafilm „Bruchsal judenfrei!“ zu sehen. Unter dem Titel „Mädchen mit Hutschachtel“ zeigt die junge BLB ab 11. März ein Theaterstück, mit dem dieses „dunkelste Kapitel deutscher Geschichte“ für Jugendliche erfahrbar werden soll.

Das Stück basiert auf Interviews mit Edith Leuchter, geborene Löb, Tagebucheinträgen und Gerichtsakten. Sie überlebt, versteckt in einem französischen Internat. Heute wohnt sie hochbetagt in Florida. Zur Stolpersteine-Verlegung 2017 in der Friedrichstraße 53 konnte sie aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr kommen. An ihrer Stelle waren ihre Töchter dabei. Ihre Tochter Deborah Stueber hat 2020 beim Holocaust Center of Pittsburgh die Überlebens-Geschichte ihrer Eltern erzählt.

Der qualvolle Tod so vieler Menschen sollte nicht umsonst gewesen sein.
Bernhard Zimmerman, Zeitzeuge der zweiten Generation

Damit ist sie nicht alleine. Auch Bernard Zimmerman aus Kraichtal-Münzesheim hält die Erinnerung an das Schicksal der Verfolgten wach: Mit viel Glück überlebt sein Vater Herman die Flucht mit seiner Familie über Antwerpen, Südfrankreich und die Schweiz.

Bernard Zimmerman wird 1958 in Queens in New York geboren. Als er sechs Jahre ist, geht die Familie wieder zurück nach Deutschland: „Hitler sollte sein Ziel nicht erreicht haben“, zitiert der 63-jährige Zimmerman seinen Vater. Als 13-Jähriger ist er einer der ersten, der seine Bar Mitzwa in der neuen Synagoge Karlsruhe feiert.

Zur Erinnerung: Vor dem Bild seines Vaters zündet Bernard Zimmerman eine Kerze für alle Opfer des Holocoaust an.
Zur Erinnerung: Vor dem Bild seines Vaters zündet Bernard Zimmerman eine Kerze für alle Opfer des Holocoaust an. Foto: Catrin Dederichs

Unter dem Titel „Ein Engel an meiner Seite“ beschreibt Herman Zimmerman die Geschichte seines Überlebens. „Der qualvolle Tod so vieler Menschen sollte nicht umsonst gewesen sein“, so Sohn Bernard. Als Zeitzeuge tritt der Vater in vielen Schulen der Region auf, engagiert sich im Deutsch-Israelische Freundeskreis Karlsruhe.

Nachdem er 2011 gestorben ist, besucht Bernard Zimmerman die Schulklassen und erzählt aus dem jüdischen Leben damals und heute. Auch Tochter Vivien interessiert sich bereits für das Thema. In den vergangenen zwei Jahren sind die Schulbesuche Corona-bedingt weniger geworden, was der 63-Jährige bedauert.

In Schulen hält Bernard Zimmerman das Schicksal der Verfolgten wach

Beim Projekttag im Heisenberg-Gymnasium Anfang Februar ist er dabei. Da geht es um die Vielfalt jüdischen Lebens in Deutschland – auch heute, so Lehrer Lukas Grundmüller. Neben Workshops zu traditionellen jüdischen Gerichten und Tänzen wird es auch Gesprächsangebote geben.

„Die Jugendlichen sind von den Zeitzeugen immer sehr beeindruckt. Das macht Geschichte lebendig“, sagt auch Lehrer Florian Jung vom JKG. Damit das in Zukunft so bleibt, könnten Zeitzeugen-Gespräche als 3D-Animation zum Einsatz kommen.

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